Frau­en­be­frei­ung und Arbeiterbewegung*

Cin­zia Arruzza

Die Frau­en- und die Arbei­ter­be­we­gung bli­cken auf eine wech­sel­sei­ti­ge Geschich­te aus Alli­an­zen, ver­pass­ten Gele­gen­hei­ten, offe­ner Feind­se­lig­keit, Annä­he­rung und Ent­frem­dung zurück. Als Pro­dukt der bür­ger­li­chen Revo­lu­tio­nen kam der Femi­nis­mus recht bald mit den sozia­len Bewe­gun­gen und Umwäl­zun­gen in Berüh­rung. Durch sie wur­den jeweils neue demo­kra­ti­sche Frei­räu­me geschaf­fen, die den Frau­en ermög­licht haben, bis dahin unbe­kann­te Rech­te zu erlan­gen, öffent­lich das Wort zu ergrei­fen und sich am poli­ti­schen Leben aktiv zu beteiligen.

1. Mai-Kundgebung 2020 in Mannheim. (Foto: B.Straube)

1. Mai-Kund­ge­bung 2020 in Mann­heim. (Foto: B.Straube)

Als die erdrü­cken­den Mau­ern jahr­tau­sen­de­lan­ger Unter­drü­ckung Ris­se bekom­men hat­ten, lern­ten die Frau­en, sich als sol­che zu orga­ni­sie­ren und unab­hän­gig für ihre Befrei­ung zu kämp­fen. Die­ser Pro­zess ver­lief frei­lich nicht ohne Wider­sprü­che, son­dern stieß viel­mehr häu­fig auf Gering­schät­zung und Miss­trau­en unter den Orga­ni­sa­tio­nen der tra­di­tio­nel­len Arbei­ter­be­we­gung und der Neu­en Lin­ken. Die Fol­gen dar­aus waren unter­schied­lich und reich­ten vom müh­sa­men Unter­fan­gen, die schwie­ri­gen Bezie­hun­gen auf­recht­zu­er­hal­ten, bis hin zu regel­rech­ten Zerwürfnissen.

Die­se wech­sel­vol­le Dyna­mik spie­gel­te sich auch auf dem Feld der Theo­rie wider. Auf der Suche nach ent­spre­chen­den Ant­wor­ten auf die Pro­ble­me, die durch den hart umkämpf­ten Selbst­fin­dungs­pro­zess der Frau­en auf­ge­wor­fen wur­den, ent­wi­ckel­ten die Vor­den­ke­rin­nen der Frau­en­be­frei­ung die unter­schied­lichs­ten Vor­stel­lun­gen über das Ver­hält­nis zwi­schen Geschlecht und Klas­se und zwi­schen Patri­ar­chat und Kapi­ta­lis­mus. Es gab bei­spiels­wei­se Ver­su­che, die Geschlech­ter­fra­ge in den Kate­go­rien der Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie zu inter­pre­tie­ren, die Frau­en­un- ter­drü­ckung aus dem Aus­beu­tungs­ver­hält­nis zwi­schen Kapi­tal und Arbeit abzu­lei­ten oder das Ver­hält­nis zwi­schen Mann und Frau als Aus­druck des Klas­sen­ant­ago­nis­mus zu sehen oder gar der patri­ar­cha­li­schen Unter­drü­ckung gegen­über der kapi­ta­lis­ti- schen Aus­beu­tung den Vor­rang zu geben. Ande­rer­seits gab es Ten­den­zen, das Ver­hält­nis zwi­schen Kapi­ta­lis­mus und Patri­ar­chat als Ver­flech- tung zwei­er auto­no­mer Sys­te­me zu deu­ten oder umge­kehrt dar­auf abzu­he­ben, in wel­cher Art der Kapi­ta­lis­mus die patri­ar­cha­li­sche Unter­drü­ckung unter­ge­ord­net und tief­grei­fend ver­än­dert hat. […]

Frau­en­un­ter­drü­ckung und Ausbeutung
Zunächst den­ke ich, dass es not­wen­di­ger denn je ist, das Ver­hält­nis von Frau­en­un­ter­drü­ckung und Aus­beu­tung und vor allem die Art und Wei­se, wie der Kapi­ta­lis­mus die patri­ar­cha­li­schen Struk­tu­ren inte­griert und grund­le­gend geän­dert hat, zu reflek­tie­ren. Denn einer­seits ist die Unter­drü­ckung der Frau­en ein struk­tu­rel­ler Bestand­teil der Arbeits­tei­lung und gehört damit unmit­tel­bar zu den Fak­to­ren, durch die der Kapi­ta­lis­mus nicht nur sei­ne Herr­schaft in ideo­lo­gi­scher Hin­sicht stärkt, son­dern auch die Aus­beu­tung der leben­di­gen Arbeit und ihre Repro­duk­ti­on bestän­dig orga­ni­siert. Ande­rer­seits hat die Inte­gra­ti­on der patri­ar­cha­li­schen Mecha­nis­men in den Kapi­ta­lis­mus sel­bi­ge grund­le­gend gewan­delt, von der Fami­lie über die Stel­lung der Frau in der Pro­duk­ti­on und das Ver­hält­nis zwi­schen den Geschlech­tern bis hin zur sexu­el­len Iden­ti­tät etc.

1. Mai-Kundgebung 2020 in Mannheim. (Foto: helmut-roos@web.de)

1. Mai-Kund­ge­bung 2020 in Mann­heim. (Foto: helmut-roos@web.de)

Die­se kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge zu erken­nen, ist für den Mar­xis­mus abso­lut unum­gäng­lich, wenn er auf dem Lau­fen­den sein will über die gegen­wär­ti­gen Wand­lun­gen und Kri­sen, vor deren Hin­ter­grund die Glo­ba­li­sie­rung zu einem wach­sen­den Anteil weib­li­cher Arbeits­kräf­te führt und somit zu einem wei­te­ren Wan­del der Geschlech­ter­ver­hält­nis­se. Anstatt die Geschlechts­zu­ge­hö­rig­keit der Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit unter­zu­ord­nen und dar­auf zu ver­trau­en, dass die Befrei­ung von der Aus­beu­tung auto­ma­tisch zur Befrei­ung der Frau und Über­win­dung der Geschlech­ter­rol­len führt, oder umge­kehrt die Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit zu baga­tel­li­sie­ren und die Geschlech­ter­dis­kus­si­on zum ideo­lo­gi­schen Mit­tel­punkt zu über­hö­hen, soll­te eher über die Kom­ple­xi­tät der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft und ihr inne­res Gefü­ge aus Aus­beu­tung, Herr­schaft und Unter­drü­ckung nach­ge­dacht und dabei beque­me, aber wenig nütz­li­che Ver­ein­fa­chun­gen ver­mie­den werden.

Ein wei­te­res, strikt mit dem Ers­ten ver­bun­de­nes Anlie­gen ist, dass auf die theo­re­ti­sche Durch­drin­gung ein Ansatz von poli­ti­scher Orga­ni­sie­rung und Akti­vi­tät fol­gen muss, um die zwi­schen Frau­en­be­we­gung und Klas­sen­kampf ent­stan­de­ne Distanz zu über­win­den. Dabei muss von der über­hol­ten Dia­lek­tik der „Prio­ri­tä­ten“ abge­gan­gen wer­den, die in den frü­he­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen immer dazu geführt hat, den Vor­rang der Klas­se vor dem Geschlecht oder umge­kehrt zu beteuern.

Es geht hier nicht nur um ein theo­re­ti­sches Pro­blem, son­dern auch um Orga­ni­sa­ti­ons­fra­gen und poli­ti­sche Auf­ga­ben. Die Art und Wei­se, wie das Ver­ständ­nis der engen Ver­zah­nung von Kapi­ta­lis­mus und Frau­en­un­ter­drü­ckung in Bewusst­seins­pro­zes­se umge­setzt wer­den kann und Frau­en befä­higt wer­den kön­nen, poli­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen und Betä­ti­gungs­fel­der zu schaf­fen, mit denen sie sich iden­ti­fi­zie­ren kön­nen, ist ein noch immer unge­lös­tes Pro­blem, das nur durch prak­ti­sche Erfah­run­gen über­wun­den wer­den kann. Was wir uns unver­züg­lich aneig­nen müs­sen, ist die Bereit­schaft, uns auf die theo­re­ti­schen, poli­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Grund­la­gen zu besin­nen, wenn wir poli­tisch aktiv sein und den Kampf für die Befrei­ung aller Men­schen füh­ren wol­len, und somit unse­re Erfah­run­gen einem stän­di­gen Pra­xis­test auszusetzen. […]

Ein Geburts­feh­ler
Die Annah­me, das Auf­ein­an­der­tref­fen von Femi­nis­mus und Arbei­ter­be­we­gung sei natur­ge­ge­ben oder frei von Wider­sprü­chen und Pro­ble­men, wäre voll­kom­men irre­füh­rend. Denn ers­tens ent­stand der Femi­nis­mus – wie oben aus­ge­führt – zunächst in dem Frei­raum, den die bür­ger­li­chen Revo­lu­tio­nen eröff­net hat­ten, und die ers­ten theo­re­ti­schen Annä­he­run­gen gin­gen von Frau­en aus, die dem (geho­be­nen) Mit­tel­stand ange­hör­ten. Und zwei­tens war jede Arbei­ter­be­we­gung Resul­tat bestimm­ter his­to­ri­scher Umstän­de und ihre Mit­glie­der, Füh­rer und Theo­re­ti­ker inso­fern kei­nes­wegs frei von Vor­ur­tei­len, Kli­schee­vor­stel­lun­gen und Abnei­gun­gen, die aus einer Jahr­tau­sen­de lang prak­ti­zier­ten Unter­drü­ckung der Frau rührten

1. Mai-Kundgebung 2020 in Mannheim. (Foto: helmut-roos@web.de)

1. Mai-Kund­ge­bung 2020 in Mann­heim. (Foto: helmut-roos@web.de)

Dane­ben gibt es wei­te­re Grün­de, die an spe­zi­fi­sche geschicht­li­che Pro­zes­se gekop­pelt sind, wie die büro­kra­ti­sche Dege­ne­ra­ti­on der Sowjet­uni­on und nach­fol­gend der inter­na­tio­na­len Arbei­ter­be­we­gung oder die Bin­nen­dy­na­mik in den Grup­pie­run­gen der Neu­en Lin­ken in den 60er und 70er Jah­ren. Der jun­ge Marx hat durch­aus, unge­ach­tet des­sen, was sich über sei­ne pri­va­ten Bezie­hun­gen zu den Frau­en sagen lässt, in den Öko­no­misch-phi­lo­so­phi­schen Manu­skrip­ten von 1844 geschrie­ben: „In dem Ver­hält­nis zum Weib, als dem Raub und der Magd der gemein­schaft­li­chen Wol­lust, ist die unend­li­che Degra­da­ti­on aus­ge­spro­chen, in wel­cher der Mensch für sich selbst exis­tiert […]“. Eben­so haben Engels und Bebel zwei Bücher ver­fasst, die lan­ge Zeit als grund­le­gen­de Refe­renz des sozia­lis­ti­schen Femi­nis­mus gal­ten und in denen das Ver­hält­nis zwi­schen Mann und Frau mit dem zwi­schen Kapi­ta­list und Pro­le­ta­ri­er ver­gli­chen wur­de. Wäh­rend Fou­rier in dem Grad der Eman­zi­pa­ti­on der Frau den Grad­mes­ser für die Ent­wick­lungs­stu­fe einer Gesell­schaft sah und die radi­ka­le Infra­ge­stel­lung der Geschlech­ter­rol­len pro­pa­gier­te, zähl­te die auf­kom- men­de Arbei­ter­be­we­gung des 19. Jahr­hun­derts auch Pierre-Joseph Proudhon zu ihren Ahn­her­ren – den wohl größ­ten Frau­en­feind des 19. Jahrhunderts.

Als uner­müd­li­cher Strei­ter für die Fami­lie und die Rol­le, die der Frau dar­in von Natur aus zuge­dacht sei, war er ein strik­ter Geg­ner der Frau­en­er­werbs­ar­beit außer­halb der häus­li­chen Mau­ern. Nicht zufrie­den damit, mein­te er auch noch, dass die Frau dem Man­ne als sein Anhäng­sel unter­tan sein müs­se. Denn die Frau sei ent­ge­gen ihren Ansprü­chen nach Gleich­heit von Natur aus dem Mann in mora­li­scher, phy­si­scher und intel­lek­tu­el­ler Hin­sicht unter­le­gen. Jeder Ver­such zur Selbst­be­frei­ung der Frau­en wur­de daher umstands­los ver­dammt und von sexu­el­ler Frei­heit war erst gar nicht die Rede.

Der­lei Posi­tio­nen waren kei­ne Aus­nah­me und es war auch kein Zufall, dass in der Ers­ten Inter­na­tio­na­le den Frau­en die Teil­nah­me ver­wehrt war. Die Frau­en­feind­lich­keit hat­te im Fall von Jean­ne Dero­in tra­gi­sche Aus­wir­kun­gen. Als Redak­ti­ons­mit­glied von Voix des femmes und Grün­de­rin einer ande­ren Zei­tung, Opi­ni­on des femmes, war sie in der femi­nis­ti­schen Bewe­gung enga­giert und auf Sei­ten der Arbei­ter in der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on 1848 aktiv. Von August 1849 bis Mai 1850 wid­me­te sie sich dem Auf­bau einer Asso­zia­ti­on von Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen, die auf glei­chen Rech­ten für Mann und Frau grün­de­te, und für die sie auch die pro­gram­ma­ti­schen Schrif­ten ver­fass­te. Im Mai 1850 schlos­sen sich 400 Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen, die aus der 48er Revo­lu­ti­on her­vor­ge­gan­gen waren, zu die­ser Asso­zia­ti­on zusam­men. Als Jean­ne Dero­in am 29. Mai 1850 wegen Ver­schwö­rung ver­haf­tet wur­de, baten die eige­nen Genos­sen sie, ihre Funk­ti­on in der Orga­ni­sa­ti­on nicht offen zu legen, da die Arbei­ter­as­so­zia­ti­on in ein schlech­tes Licht gerückt wür­de, wenn bekannt wür­de, dass eine Frau dahin­ter stün­de und das Pro­gramm ver­fasst hät­te. Hin und her geris­sen zwi­schen ihren eher­nen femi­nis­ti­schen Über­zeu­gun­gen und dem Wunsch, den Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen nicht scha­den zu wol­len, kapi­tu­lier­te Jean­ne Dero­in am Ende und ent­schied sich, das Geheim­nis für sich zu behal­ten. Über ihr Exil in Eng­land nach dem Putsch von Napo­le­on III. geriet auch in Ver­ges­sen­heit, was sie geleis­tet hat­te. Erst mit der zwei­ten femi­nis­ti­schen Wel­le fand sie ihren Platz in der Geschich­te wieder.

1. Mai-Kundgebung 2020 in Mannheim. (Foto: helmut-roos@web.de)

1. Mai-Kund­ge­bung 2020 in Mann­heim. (Foto: helmut-roos@web.de)

Frau­en­er­werbs­ar­beit als Übel?
Gegen Frau­en­er­werbs­ar­beit und für die her­kömm­li­che Fami­lie trat in Deutsch­land auch Fer­di­nand Lass­alle ein, den frei­lich ein in der Arbei­ter­be­we­gung durch­aus gän­gi­ges Motiv umtrieb, näm­lich dass die Erwerbs­tä­tig­keit der Frau­en im All­ge­mei­nen sehr viel schlech­ter bezahlt wur­de als bei Män­nern, die Erwerbs­quo­te unter den Frau­en nied­ri­ger war und inso­fern die Frau­en eine Gefahr für die Arbei­ter dar­stell­ten, da sie als Reser­ve­ar­mee und Reser­voir bil­li­ger Arbeits­kräf­te fun­gier­ten. Um die­sen Unter­bie­tungs­wett­be­werb der Löh­ne zu bekämp­fen, kam Lass­alle nicht in den Sinn, glei­che Löh­ne und Rech­te für Mann und Frau zu for­dern, son­dern viel­mehr die Frau­en auf ihre ange­stamm­te Rol­le inner­halb der Fami­lie zu ver­wei­sen. Die Löh­ne der Män­ner soll­ten aus­rei­chend erhöht wer­den, um davon die gan­ze Fami­lie ernäh­ren zu kön­nen, ohne auf Frau­en- oder Kin­der­ar­beit zurück­grei­fen zu müssen.

Frau­en­er­werbs­ar­beit galt davon abge­se­hen als Mit­tel zu Zer­fall und Kor­rup­ti­on der Arbei­ter­fa­mi­lie. Hier­bei ver­misch­ten sich wirt­schaft­li­che Über­le­gun­gen mit mora­lis­ti­schen und grund­kon­ser­va­ti­ven Moti­ven. Dabei lag der­lei Über­le­gun­gen inner­halb der Arbei­ter­be­we­gung nicht unbe­dingt blo­ßer Sexis­mus oder Kon­ser­va­tis­mus zugrun­de. Man braucht bloß über die Lebens­be­din­gun­gen der Arbei­ter zu lesen, wie sie Engels in Die Lage der arbei­ten­den Klas­se in Eng­land oder Marx im Band I des Kapi­tals beschrie­ben haben. Dar­in schil­dern sie die ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen der ver­schärf-ten indus­tri­el­len Aus­beu­tung auf die Fami­li­en, auf Lebens­er­war­tung und Gesund­heit der Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen ein­schließ­lich der Kin­der. So wird ver­ständ­lich, dass die Ableh­nung der Frau­en- und Kin­der­ar­beit in gewis­ser Wei­se auch dem Selbst­schutz vor der all­um­fas­sen­den Aus­beu­tung diente.

Die Posi­tio­nen der Lass­al­lea­ner schu­fen natür­lich zahl­rei­che Pro­ble­me nach der Ver­ei­ni­gung mit der Orga­ni­sa­ti­on von Bebel und der Grün­dung der deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie. Und sie tru­gen dazu bei, Cla­ra Zet­kin Stei­ne in den Weg zu legen, wäh­rend sie ohne­hin schon genug Last mit den damals vor­herr­schen­den frau­en­feind­li­chen Ten­den­zen in der Arbei­ter­klas­se hat­te. Zusätz­li­che Pro­ble­me berei­te­ten spä­ter die Revi­sio­nis­ten in den Jah­ren vor Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs, als die auto­no­men Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen und die Zei­tung Gleich­heit gene­rell revo­lu­tio­nä­re und ein­deu­tig anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Posi­tio­nen ange­nom­men hat­ten. Daher und weil zudem der füh­ren­de Kopf der revo­lu­tio­nä­ren Strö­mung, Rosa Luxem­burg, eine Frau war, dro­schen sie auf die Frau­en und deren Orga­ni­sa­tio­nen und Publi­ka­tio­nen ein, um das revo­lu­tio­nä­re Gedan­ken­gut zu treffen.

1. Mai-Kundgebung 2020 in Mannheim. (Foto: helmut-roos@web.de)

1. Mai-Kund­ge­bung 2020 in Mann­heim. (Foto: helmut-roos@web.de)

Umstrit­te­nes Frauenwahlrecht
In die­ser Hin­sicht war es wäh­rend der Pari­ser Com­mu­ne auch nicht bes­ser gelau­fen, obwohl die Frau­en von Paris dort eine her­aus­ra­gen­de akti­ve Rol­le gespielt hat­ten. Tat­säch­lich stand nie zur Debat­te, das Wahl­recht auf die Frau­en aus­zu­deh­nen und somit war die Hälf­te der Bevöl­ke­rung aus­ge­schlos­sen bei die­sem ers­ten Ver­such, eine Arbei­ter­de­mo­kra­tie und eine Staats­form zu errich­ten, die sich grund­le­gend von der bür­ger­li­chen unterschied.

Ganz gene­rell war die Aus­wei­tung des Wahl­rechts auf die Frau­en inner­halb der Arbei­ter­be­we­gung hef­tig umstrit­ten. Denn man befürch­te­te, dass die Frau­en, die auf­grund ihrer Unter­drü­ckung ein weit­aus weni­ger akti­ves Sozi­al­le­ben führ­ten, in ihrer Mehr­heit anfäl­lig für reli­giö­se Ein­flüs­se, Aber­glau­ben und kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nen sei­en. Ein Frau­en­wahl­recht wür­de somit zu einer Rechts­ver­schie­bung der poli­ti­schen Land­schaft bei­tra­gen und die sozia­lis­ti­schen Par­tei­en bestrafen. […]

Obwohl die [kapi­ta­lis­ti­sche] Pro­duk­ti­ons­wei­se und das patri­ar­cha­li­sche Sys­tem eng mit­ein­an­der ver­bun­den sind, funk­tio­nie­ren bei­de gemäß ihrer inne­ren Logik und ent­lang spe­zi­fi­scher Gesetz­mä­ßig­kei­ten, die wech­sel­sei­tig in Ein­klang ste­hen, aber auch in Kon­flikt gera­ten kön­nen. Auch wenn der Kapi­ta­lis­mus das Patri­ar­chat dazu benutzt hat und auch wei­ter­hin benutzt, die eige­ne Herr­schaft zu sichern und die Aus­beu­tung zu orga­ni­sie­ren, kön­nen unter bestimm­ten Um- stän­den die Bewe­gungs­ge­set­ze des Kapi­tals in ihrer „Geschlechts­blind­heit“ in Wider­spruch mit denen des patri­ar­cha­li­schen Sys­tems gera­ten. Inso­fern muss man die­se den bei­den Sys­te­men eige­nen Gesetz­mä­ßig­kei­ten berück­sich­ti­gen, wenn man das Wesen die­ser Wider­sprü­che erfas­sen will.


* [Redak­tio­nel­le Bear­bei­tung der von MiWe aus dem Ita­lie­ni­schen ins Deut­sche über­setz­ten und zuerst in Inpre­korr Nr. 2 von März/April 2016 ver­öf­fent­lich­ten Text­aus­zü­ge des Buchs Cin­zia Arruz­za, Femi­nis­mus und Mar­xis­mus, Eine Ein­füh­rung, Köln (Neu­er ISP Ver­lag) 2017.]

Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Febru­ar 2022
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