Vor 10 Jah­ren: Der Skan­dal bei Nora

Ein bei­spiel­haf­ter Kampf gegen
frist­lo­se Kündigung*

 

Vor 10 Jah­ren wur­de Hel­mut Schmitt, der Vor­sit­zen­de der Orts­grup­pe Wein­heim der IG BCE und dama­li­ge Betriebs­rat (BR) bei Freu­den­berg und nora sys­tems in Wein­heim, frist­los gekün­digt. Der Skan­dal bei Nora wur­de weit über die Regi­on hin­aus bekannt. Der für Hel­mut erfolg­rei­che Kampf um die Wie­der­ein­stel­lung war bei­spiel­haft. Avan­ti² sprach nicht nur des­halb mit Hel­mut, son­dern auch um aktu­ell von Kün­di­gung bedroh­te BR-Mit­glie­der zum Wider­stand zu ermutigen.

Arbeitsgerichtstermin in Mannheim, 23. August 2012. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Arbeits­ge­richts­ter­min in Mann­heim, 23. August 2012. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Am 2. Juli 2012 hast Du von nora sys­tems die frist­lo­se Kün­di­gung erhal­ten. Was war der Grund dafür?
Der offi­zi­el­le Grund − oder bes­ser Vor­wand − war, dass ich auf einer Betriebs­ver­samm­lung einen Bei­trag gehal­ten habe. Ich berich­te­te über einen für die Beleg­schaft wich­ti­gen Vor­fall in einer Schlich­tungs­ver­hand­lung, die im Rah­men der dama­li­gen Haus­ta­rif­run­de bei nora sys­tems statt­ge­fun­den hat­te. Mir wur­de vor­ge­wor­fen, dass ich den Betriebs­rats­vor­sit­zen­den als Ver­rä­ter an den Inter­es­sen der Beleg­schaft denun­ziert hät­te. Ich hät­te ihn beschul­digt, als Mit­glied der gewerk­schaft- lichen Tarif­kom­mis­si­on dem unak­zep­ta­blen Ange­bot der Geschäfts­lei­tung (GL) zuge­stimmt und damit einen gewerk­schaft- lich nicht gewoll­ten Tarif­ab­schluss her­bei­ge­führt zu haben. Durch mein Ver­hal­ten hät­te ich den Betriebs­frie­den mas­siv gestört und das Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Betriebs­rat und Geschäfts­lei­tung nach­hal­tig zer­stört. Eine wei­te­re Zusam­men­ar­beit mit mir sei nicht mehr mög­lich. Dabei hat­te ich in mei­nen Aus­füh­run­gen weder den Begriff „Ver­rä­ter“, noch Namen noch Funk­ti­on des­je­ni­gen genannt. Am 2. Juli 2012, das war ein Mon­tag, wur­de mir dann, mit Zustim­mung der Betriebs­rats­mehr­heit, frist­los gekündigt.

Am Frei­tag, den 29. Juni 2012, also unmit­tel­bar vor der frist­lo­sen Kün­di­gung, hat­te die BR-Mehr­heit, wohl in Abstim­mung mit der GL, zusätz­lich ein Aus­schluss­ver­fah­ren aus dem Betriebs­rat gegen mich ein­ge­lei­tet. Als „Begrün­dung“ wur­de eben­falls die „Stö­rung des Betriebs­frie- dens“ und ein „zer­stör­tes Ver­trau­ens­ver­hält­nis“ ange­führt, weil ich in der Ver­gan- gen­heit angeb­lich jeg­li­che kon­struk­ti­ve Zusam­men­ar­beit im Gre­mi­um abge­lehnt hät­te. Damals war ich schon seit 29 Jah­ren Betriebsrat.

Ich muss noch den eigent­li­chen, aller­dings nie offi­zi­ell geäu­ßer­ten Grund nen­nen, war­um man mich aus dem Betrieb drän­gen woll­te. Zum Zeit­punkt mei­ner Kün­di­gung woll­ten die „Finanz­in­ves­to­ren“, die nora sys­tems im Jahr 2008 vom Freu­den­berg­kon­zern gekauft hat­ten, die Fir­ma wei­ter­ver­äu­ßern. Offen­sicht­lich stand ich ihnen als kämp­fe­ri­scher Betriebs­rat dabei im Weg. Die Ereig­nis­se um den geplan­ten Ver­kauf der Freu­den­berg Bau­sys­te­me KG − der heu­ti­gen nora sys­tems GmbH − in den Jah­ren 2006/2007 waren ihnen bekannt. Als zu die­ser Zeit Freu­den­berg die Bau­sys­te­me KG erst­mals ver­äu­ßern woll­te, kam es zu mas­si­ven Abwehr­kämp­fen der Beleg­schaft, die am 19. Janu­ar 2007 in Tor­blo­cka­den des gesam­ten Freu­den­berg­kon­zerns mün­de­ten. Dadurch konn­te der Ver- kauf ver­hin­dert wer­den. Das war ein Sieg der Beleg­schaft gegen die Will­kür der Freu­den­berg-Kon­zern­lei­tung, an dem ich selbst als dama­li­ger stell­ver­tre­ten­der BR-Vor­sit­zen­der maß­geb­li­chen Anteil hat­te. Offen­sicht­lich um eine Wie­der­ho­lung sol­cher Aktio­nen zu ver­hin­dern, kam der Geschäfts­lei­tung der Vor­fall in der Schlich­tungs­ver­hand­lung gera­de recht, um mich noch vor dem anlau­fen­den Ver­kaufs­pro­zess loszuwerden.

Haben das Aus­schluss­ver­fah­ren aus dem BR und die Zustim­mung zur Kün­di­gung durch die BR-Mehr­heit für Dich und Dei­ne Situa­ti­on eine beson­de­re Bedeu­tung gehabt?
Ja, die­ser Vor­gang hat mich damals stark belas­tet. Wenn Du in einer Situa­ti­on der Kün­di­gung durch die Geschäfts­lei­tung von Dei­nem eige­nen Gre­mi­um bekämpft wirst und die Betriebs­rats-Mehr­heit auch noch Dei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung zustimmt, dann macht das was mit Dir. Das war ja ein Vor­gang, der nicht unbe­dingt all­täg­lich ist. Dass die Geschäfts­lei­tung mich als Stör­fak­tor oder Pro­fit­brem­se begreift, weil ich mich für die Inter­es­sen der Beleg­schaft ein­set­ze, das ist ja nach­voll­zieh­bar. Das spie­gelt den Inter­es­sens­ge­gen- satz zwi­schen Arbeit und Kapi­tal wider. Dar­auf muss ich mich als Betriebs­rat, der sich für die Inter­es­sen der Beleg­schaft enga­giert, ein­stel­len. Da muss ich im schlimms­ten Fall auch mit einer Kün­di­gung rech­nen. Dass aber das Gre­mi­um, in die­sem Fall die BR-Mehr­heit die frist­lo­se Kün­di­gung eines Betriebs­rats-Mit­glieds durch die Geschäfts­lei­tung auch noch mit ihrer Zustim­mung unter­stützt, das ist nicht selbst- ver­ständ­lich. Die­ses Vor­ge­hen steht im völ­li­gen Wider­spruch zu sei­ner eigent­li­chen Auf­ga­be, betrieb­li­che Will­kür und natür­lich auch Kün­di­gun­gen zu ver­hin­dern. Spä­tes­tens da hat­te sich die BR-Mehr­heit als skru­pel­lo­se Erfül­lungs­ge­hil­fin des Manage­ments geoutet.

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KBR-Info Freu­den­berg vom 4. Juli 2012.

Was hat Dir gehol­fen, die Zeit bis zum ent­schei­den­den Gerichts­ter­min durchzustehen?
Hät­te ich damals nicht die Sym­pa­thien der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im Betrieb gespürt, dann weiß ich nicht, wie lan­ge ich durch­ge­hal­ten hät­te. Das gilt auch für die Unter­stüt­zung durch einen BR-Kol­le­gen, der mich die gan­ze Zeit über im Gre­mi­um ver­tei­digt hat, und das gilt für die meis­ten Ver­trau­ens­leu­te der Gewerk­schaft IG BCE. Ich durf­te ja auf­grund der frist­lo­sen Kün­di­gung und wegen des Aus­schluss­ver­fah­rens aus dem Betriebs­rat nicht mehr in den Betrieb hin­ein. Aber es hat­ten mich damals, neben den Ver­trau­ens­leu­ten, auch vie­le ande­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ange­ru­fen, um mir ihre Soli­da­ri­tät zu bekunden.

Wich­tig war auch die Unter­stüt­zung durch die Gewerk­schaft und den Kon­zern­be­triebs­rat Freu­den­berg. Unmit­tel­bar nach der Kün­di­gung haben die Ver­trau­ens­leu­te ein gewerk­schaft­li­ches Flug­blatt und ein Flug­blatt des Kon­zern­be­triebs­rats gegen die Kün­di­gung und gegen die Machen­schaf­ten der Betriebs­rats-Mehr­heit ver­teilt. Die Vor­gän­ge erhiel­ten dadurch eine erhöh­te Publi­zi­tät in den Medi­en, was sich als sehr wich­tig her­aus­ge­stellt hat.

In der Fol­ge hat sich sogar ein über­be­trieb­li­ches Komi­tee „Soli­da­ri­tät mit Hel­mut Schmitt!“ gegrün­det und sich für die Rück­nah­me mei­ner Kün­di­gung ein­ge­setzt. Unter ande­rem hat das Komi­tee am 28. Sep­tem­ber 2012 eine gro­ße Soli­ver­an­stal­tung in Wein­heim orga­ni­siert. Es ist heu­te noch als „Komi­tee Soli­da­ri­tät gegen BR-Mob­bing!“ in Mann­heim aktiv, weil sich bald gezeigt hat, dass der Skan­dal bei Nora kein Ein­zel­fall war. Es mel­de­ten sich wei­te­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen vor allem aus der Regi­on, die eben­falls BR-Mob­bing aus­ge­setzt waren oder auch noch sind. Sie unter­stüt­zen wir in ihren Aus­ein­an­der­set­zun­gen nach Kräften.

Jeden­falls haben neben mei­nem guten Rechts­an­walt all die­se Akti­vi­tä­ten und am Schluss auch die Soli­da­ri­täts­be­kun­dung vie­ler Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen bei der Ver­hand­lung am 23. August 2012 vor dem Arbeits­ge­richt in Mann­heim zur erfolg­rei­chen Gegen­wehr bei­getra­gen. Ende 2012 erklär­te das Gericht sowohl mei- ne Kün­di­gung als auch den Raus­schmiss aus dem Betriebs­rat für unwirk­sam. Ab dem 2. Janu­ar 2013 konn­te ich wie­der ganz nor­mal als BR-Mit­glied im Unter­neh­men weiterarbeiten.

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Info des Soli­ko­mi­tees vom 6. Novem­ber 2012.

Als Du den Kün­di­gungs­schutz­pro­zess gewon­nen hat­test, wur­dest Du dann in Ruhe gelassen?
Da muss ich erwäh­nen, dass ja gleich­zei­tig mit mei­ner Kün­di­gung der Ver­kaufs­pro­zess für nora sys­tems wie­der an- gelau­fen ist, mit dem Ziel, ihn bis zum Jah­res­en­de abzu­schlie­ßen. Dies ist nicht gelun­gen, weil offen­sicht­lich die vie­len Berich­te über mei­ne Kün­di­gung im Inter­net und die damit ver­bun­de­nen Nega­tiv­schlag­zei­len für nora sys­tems poten­zi­el­le Kun­den vom Kauf abge­hal­ten haben. Dies zeigt sich auch dar­an, dass am 6. Febru­ar 2013 der dama­li­ge Geschäfts­füh­rer von nora sys­tems von den Finanz­in­ves­to­ren wegen Erfolg­lo­sig­keit geschasst wor­den ist. Ob das wegen mei­ner erfolg­lo­sen Kün­di­gung oder wegen des erfolg­lo­sen Ver­kaufs erfolgt ist oder wegen bei­dem zusam­men, dar­über kann man spe­ku­lie­ren. Auf jeden Fall hat dies die neue Geschäfts­lei­tung bewo­gen, mich nach die­sen Vor­fäl­len weit­ge­hend in Ruhe zu las­sen. Dies trifft aller­dings nicht auf die dama­li­ge BR-Mehr­heit zu, die auch nach ihrer Nie­der­la­ge nichts unver­sucht gelas­sen hat, um mir an den Kar­ren zu fahren.

Wie hast Du oder wie habt Ihr es geschafft, in die­sem Gre­mi­um zu über­le­ben und damit den Weg für die Akti­ven der IG BCE zu ebnen, die seit der letz­ten BR-Wahl die Mehr­heit stellen?
Für mich oder für uns war immer wich­tig, den Kon­takt zu den Beschäf­tig­ten zu pfle­gen, zu wis­sen was ihre Pro­ble­me sind und mit ihnen dar­über ins Gespräch zu kom­men. Die Beleg­schaft muss wis­sen und spü­ren, dass Du sie unter­stützt und dass Du glaub­wür­dig bist. Du brauchst bei sol­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen Ver­bün­de­te, auf die Du Dich ver­las­sen kannst, sonst hast Du ver­lo­ren. Ziel­set­zung muss sein, Mehr­hei­ten aus der Beleg­schaft zu gewin­nen, das allein schützt schon vor Angriffen.


Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2022
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