Ein beispielhafter Kampf gegen
fristlose Kündigung*
Vor 10 Jahren wurde Helmut Schmitt, der Vorsitzende der Ortsgruppe Weinheim der IG BCE und damalige Betriebsrat (BR) bei Freudenberg und nora systems in Weinheim, fristlos gekündigt. Der Skandal bei Nora wurde weit über die Region hinaus bekannt. Der für Helmut erfolgreiche Kampf um die Wiedereinstellung war beispielhaft. Avanti² sprach nicht nur deshalb mit Helmut, sondern auch um aktuell von Kündigung bedrohte BR-Mitglieder zum Widerstand zu ermutigen.
Am 2. Juli 2012 hast Du von nora systems die fristlose Kündigung erhalten. Was war der Grund dafür?
Der offizielle Grund − oder besser Vorwand − war, dass ich auf einer Betriebsversammlung einen Beitrag gehalten habe. Ich berichtete über einen für die Belegschaft wichtigen Vorfall in einer Schlichtungsverhandlung, die im Rahmen der damaligen Haustarifrunde bei nora systems stattgefunden hatte. Mir wurde vorgeworfen, dass ich den Betriebsratsvorsitzenden als Verräter an den Interessen der Belegschaft denunziert hätte. Ich hätte ihn beschuldigt, als Mitglied der gewerkschaft- lichen Tarifkommission dem unakzeptablen Angebot der Geschäftsleitung (GL) zugestimmt und damit einen gewerkschaft- lich nicht gewollten Tarifabschluss herbeigeführt zu haben. Durch mein Verhalten hätte ich den Betriebsfrieden massiv gestört und das Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung nachhaltig zerstört. Eine weitere Zusammenarbeit mit mir sei nicht mehr möglich. Dabei hatte ich in meinen Ausführungen weder den Begriff „Verräter“, noch Namen noch Funktion desjenigen genannt. Am 2. Juli 2012, das war ein Montag, wurde mir dann, mit Zustimmung der Betriebsratsmehrheit, fristlos gekündigt.
Am Freitag, den 29. Juni 2012, also unmittelbar vor der fristlosen Kündigung, hatte die BR-Mehrheit, wohl in Abstimmung mit der GL, zusätzlich ein Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat gegen mich eingeleitet. Als „Begründung“ wurde ebenfalls die „Störung des Betriebsfrie- dens“ und ein „zerstörtes Vertrauensverhältnis“ angeführt, weil ich in der Vergan- genheit angeblich jegliche konstruktive Zusammenarbeit im Gremium abgelehnt hätte. Damals war ich schon seit 29 Jahren Betriebsrat.
Ich muss noch den eigentlichen, allerdings nie offiziell geäußerten Grund nennen, warum man mich aus dem Betrieb drängen wollte. Zum Zeitpunkt meiner Kündigung wollten die „Finanzinvestoren“, die nora systems im Jahr 2008 vom Freudenbergkonzern gekauft hatten, die Firma weiterveräußern. Offensichtlich stand ich ihnen als kämpferischer Betriebsrat dabei im Weg. Die Ereignisse um den geplanten Verkauf der Freudenberg Bausysteme KG − der heutigen nora systems GmbH − in den Jahren 2006/2007 waren ihnen bekannt. Als zu dieser Zeit Freudenberg die Bausysteme KG erstmals veräußern wollte, kam es zu massiven Abwehrkämpfen der Belegschaft, die am 19. Januar 2007 in Torblockaden des gesamten Freudenbergkonzerns mündeten. Dadurch konnte der Ver- kauf verhindert werden. Das war ein Sieg der Belegschaft gegen die Willkür der Freudenberg-Konzernleitung, an dem ich selbst als damaliger stellvertretender BR-Vorsitzender maßgeblichen Anteil hatte. Offensichtlich um eine Wiederholung solcher Aktionen zu verhindern, kam der Geschäftsleitung der Vorfall in der Schlichtungsverhandlung gerade recht, um mich noch vor dem anlaufenden Verkaufsprozess loszuwerden.
Haben das Ausschlussverfahren aus dem BR und die Zustimmung zur Kündigung durch die BR-Mehrheit für Dich und Deine Situation eine besondere Bedeutung gehabt?
Ja, dieser Vorgang hat mich damals stark belastet. Wenn Du in einer Situation der Kündigung durch die Geschäftsleitung von Deinem eigenen Gremium bekämpft wirst und die Betriebsrats-Mehrheit auch noch Deiner fristlosen Kündigung zustimmt, dann macht das was mit Dir. Das war ja ein Vorgang, der nicht unbedingt alltäglich ist. Dass die Geschäftsleitung mich als Störfaktor oder Profitbremse begreift, weil ich mich für die Interessen der Belegschaft einsetze, das ist ja nachvollziehbar. Das spiegelt den Interessensgegen- satz zwischen Arbeit und Kapital wider. Darauf muss ich mich als Betriebsrat, der sich für die Interessen der Belegschaft engagiert, einstellen. Da muss ich im schlimmsten Fall auch mit einer Kündigung rechnen. Dass aber das Gremium, in diesem Fall die BR-Mehrheit die fristlose Kündigung eines Betriebsrats-Mitglieds durch die Geschäftsleitung auch noch mit ihrer Zustimmung unterstützt, das ist nicht selbst- verständlich. Dieses Vorgehen steht im völligen Widerspruch zu seiner eigentlichen Aufgabe, betriebliche Willkür und natürlich auch Kündigungen zu verhindern. Spätestens da hatte sich die BR-Mehrheit als skrupellose Erfüllungsgehilfin des Managements geoutet.
Was hat Dir geholfen, die Zeit bis zum entscheidenden Gerichtstermin durchzustehen?
Hätte ich damals nicht die Sympathien der Kolleginnen und Kollegen im Betrieb gespürt, dann weiß ich nicht, wie lange ich durchgehalten hätte. Das gilt auch für die Unterstützung durch einen BR-Kollegen, der mich die ganze Zeit über im Gremium verteidigt hat, und das gilt für die meisten Vertrauensleute der Gewerkschaft IG BCE. Ich durfte ja aufgrund der fristlosen Kündigung und wegen des Ausschlussverfahrens aus dem Betriebsrat nicht mehr in den Betrieb hinein. Aber es hatten mich damals, neben den Vertrauensleuten, auch viele andere Kolleginnen und Kollegen angerufen, um mir ihre Solidarität zu bekunden.
Wichtig war auch die Unterstützung durch die Gewerkschaft und den Konzernbetriebsrat Freudenberg. Unmittelbar nach der Kündigung haben die Vertrauensleute ein gewerkschaftliches Flugblatt und ein Flugblatt des Konzernbetriebsrats gegen die Kündigung und gegen die Machenschaften der Betriebsrats-Mehrheit verteilt. Die Vorgänge erhielten dadurch eine erhöhte Publizität in den Medien, was sich als sehr wichtig herausgestellt hat.
In der Folge hat sich sogar ein überbetriebliches Komitee „Solidarität mit Helmut Schmitt!“ gegründet und sich für die Rücknahme meiner Kündigung eingesetzt. Unter anderem hat das Komitee am 28. September 2012 eine große Soliveranstaltung in Weinheim organisiert. Es ist heute noch als „Komitee Solidarität gegen BR-Mobbing!“ in Mannheim aktiv, weil sich bald gezeigt hat, dass der Skandal bei Nora kein Einzelfall war. Es meldeten sich weitere Kolleginnen und Kollegen vor allem aus der Region, die ebenfalls BR-Mobbing ausgesetzt waren oder auch noch sind. Sie unterstützen wir in ihren Auseinandersetzungen nach Kräften.
Jedenfalls haben neben meinem guten Rechtsanwalt all diese Aktivitäten und am Schluss auch die Solidaritätsbekundung vieler Kolleginnen und Kollegen bei der Verhandlung am 23. August 2012 vor dem Arbeitsgericht in Mannheim zur erfolgreichen Gegenwehr beigetragen. Ende 2012 erklärte das Gericht sowohl mei- ne Kündigung als auch den Rausschmiss aus dem Betriebsrat für unwirksam. Ab dem 2. Januar 2013 konnte ich wieder ganz normal als BR-Mitglied im Unternehmen weiterarbeiten.
Als Du den Kündigungsschutzprozess gewonnen hattest, wurdest Du dann in Ruhe gelassen?
Da muss ich erwähnen, dass ja gleichzeitig mit meiner Kündigung der Verkaufsprozess für nora systems wieder an- gelaufen ist, mit dem Ziel, ihn bis zum Jahresende abzuschließen. Dies ist nicht gelungen, weil offensichtlich die vielen Berichte über meine Kündigung im Internet und die damit verbundenen Negativschlagzeilen für nora systems potenzielle Kunden vom Kauf abgehalten haben. Dies zeigt sich auch daran, dass am 6. Februar 2013 der damalige Geschäftsführer von nora systems von den Finanzinvestoren wegen Erfolglosigkeit geschasst worden ist. Ob das wegen meiner erfolglosen Kündigung oder wegen des erfolglosen Verkaufs erfolgt ist oder wegen beidem zusammen, darüber kann man spekulieren. Auf jeden Fall hat dies die neue Geschäftsleitung bewogen, mich nach diesen Vorfällen weitgehend in Ruhe zu lassen. Dies trifft allerdings nicht auf die damalige BR-Mehrheit zu, die auch nach ihrer Niederlage nichts unversucht gelassen hat, um mir an den Karren zu fahren.
Wie hast Du oder wie habt Ihr es geschafft, in diesem Gremium zu überleben und damit den Weg für die Aktiven der IG BCE zu ebnen, die seit der letzten BR-Wahl die Mehrheit stellen?
Für mich oder für uns war immer wichtig, den Kontakt zu den Beschäftigten zu pflegen, zu wissen was ihre Probleme sind und mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen. Die Belegschaft muss wissen und spüren, dass Du sie unterstützt und dass Du glaubwürdig bist. Du brauchst bei solchen Auseinandersetzungen Verbündete, auf die Du Dich verlassen kannst, sonst hast Du verloren. Zielsetzung muss sein, Mehrheiten aus der Belegschaft zu gewinnen, das allein schützt schon vor Angriffen.