Lahm­ge­legt? BR-Arbeit in der Pandemie

Ein Gespräch mit Betriebs­rä­ten (Teil I)*

 

Im letz­ten Jahr hat­ten wir zwei­mal mit akti­ven Gewerkschafter*innen und Betriebsrät*innen aus der Rhein-Neckar-Regi­on über ihre Situa­ti­on in der Pan­de­mie gespro­chen. Alle hat­ten über zusätz­li­che Her­aus­for­de­run­gen berichtet.

Betriebsversammlung in Pandemiezeiten bei Bombardier Mannheim, 16. Juli 2020 (Foto: helmut-roos@web.de)

Betriebs­ver­samm­lung in Pan­de­mie­zei­ten bei Bom­bar­dier Mann­heim, 16. Juli 2020 (Foto: helmut-roos@web.de)

Einer­seits durch die Pan­de­mie selbst. Zum Bei­spiel auf­grund der ein­ge­schränk­ten Kon­takt­mög­lich­kei­ten mit den Kolleg*innen oder wegen der Schwie­rig­kei­ten Sit­zun­gen und Betriebs­ver­samm­lun­gen durchzuführen.

Ande­rer­seits durch die jewei­li­ge Unter­neh­mens­füh­rung: Die­se hat­ten ja ihre Stra­te­gie, Pro­fit­zie­le, Umstruk­tu­rie­run­gen, „Opti­mie­run­gen“ usw. wäh­rend der Pan­de­mie nicht plötz­lich auf Eis gelegt, son­dern ver­folg­ten die­se wei­ter. Und sie grif­fen dabei im „Schat­ten der Pan­de­mie“ in unter­schied­li­chem Maß Betriebs­rä­te und deren Mit­be­stim­mungs­rech­te an.

Grund genug also, dies­mal mit den Kolleg*innen über Ihre Arbeit und Erfah­run­gen zu reden.


Die Wein­hei­mer Nach­rich­ten befrag­ten vor kur­zem Unter­neh­men zur Pan­de­mie. Die­se waren sich einig: Der Gesund­heits­schutz wird beach­tet und wei­ter­ge­hen­de gesetz­li­che Rege­lun­gen sei­en nicht not­wen­dig. Unse­res Wis­sens gab es dar­auf kei­ne Reak­tio­nen von Gewerk­schaf­ten und Betriebs­rä­ten. Macht das Manage­ment tat­säch­lich einen guten Pan­de­mie-Job oder legt Coro­na die Betriebs­rä­te lahm?

Cla­ra: In den letz­ten Gesprä­chen wur­de ja schon deut­lich, dass die Pan­de­mie für uns eine ziem­li­che Her­aus­for­de­rung war und ist. Ich glau­be, das trifft auf alle in die­ser Run­de zu. Bis wir kapiert hat­ten, was da auf uns zukommt, waren wir schon mit­ten in der ers­ten Wel­le. Und plötz­lich war nichts mehr wie zuvor. Die Unter­neh­mens­füh­rung war schnel­ler als der Betriebsrat.

Auch wenn Arbeits- und Gesund­heits­schutz für uns vor­her schon wich­tig war, waren wir ehr­li­cher­wei­se über­for­dert. Und vie­len Betriebs­rä­ten in unse­rem Gewerk­schafts­be­zirk ging es ähnlich.

Hei­ko: Ich muss Cla­ra zustim­men. Von jetzt auf nach­her stan­den ganz ande­re The­men auf der Tages­ord­nung. Wir haben zwar arbei­ten­de BR-Struk­tu­ren, und Arbeits­schutz ist bei uns seit Jah­ren ein zen­tra­les The­ma, aber auf so etwas waren wir nicht vorbereitet.

Wir muss­ten die Geschäfts­füh­rung nicht zum Han­deln bewe­gen. Klar, anfangs hat sie Coro­na als „chi­ne­si­sches Pro­blem“ abge­tan. Aber als sie die Ent­wick­lung und die mög­li­chen nega­ti­ven Fol­gen für das Unter­neh­men sah, hat sie sofort gehandelt.

Eini­ge Vor­ge­setz­te sind dabei mit ihren Maß­nah­men zu weit gegan­gen und woll­ten uns aus ihren Ent­schei­dun­gen raus­hal­ten. Die muss­ten wir erst wie­der ein­fan­gen und dabei auf unse­re Mit­be­stim­mungs­rech­te pochen. Ich glau­be, das ist uns gelungen.

Kevin: Bei uns hat die Füh­rung auch reagiert. Aber ein guter Job sieht anders aus. Die bin­den uns zwar ein, aber das ist nur Anstrich­far­be, denn gleich­zei­tig haben sie ihre Angrif­fe auf uns verschärft.

Seit Jah­ren müs­sen wir um unse­re Mit­be­stim­mungs­rech­te gera­de auch beim Arbeits­schutz kämp­fen und jetzt tun die so, als gin­ge es ihnen nur ums Wohl der Beleg­schaft. Die wol­len doch nur eines, dass der Laden stö­rungs­frei wei­ter­läuft. Solan­ge wir ihre Maß­nah­men „kon­struk­tiv“ abni­cken, ist es gut, wenn wir eige­ne Vor­stel­lun­gen haben, sind wir der Unter­gang des Unternehmens.

Soweit ich das für unse­re Geschäfts­stel­le beur­tei­len kann, trifft das was Cla­ra sagt zu. Vie­le Betriebs­rä­te, aber auch die Gewerk­schafts­haupt­amt­li­chen, waren plötz­lich mit etwas völ­lig Uner­war­te­tem kon­fron­tiert und über­for­dert und wuss­ten nicht, wie sie damit umge­hen sol­len. Die „sanf­ten“ Betriebs­rä­te, die eh nur kuschen und kuscheln, die wir ja auch ken­nen, die sind noch wei­ter abgetaucht.

Solidarität mit der Belegschaft von Bombardier in Mannheim, 16. Juli 2020 (Foto: helmut-roos@web.de)

Soli­da­ri­tät mit der Beleg­schaft von Bom­bar­dier in Mann­heim, 16. Juli 2020 (Foto: helmut-roos@web.de)

Also ist mein Ein­druck rich­tig, dass die Pan­de­mie bei Euch eine gewis­se Rat­lo­sig­keit und viel­leicht sogar eine Schock­star­re verursachte?

Hei­ko: Von einer Schock­star­re wür­de ich bei uns nicht reden. Wir haben, wenn auch mit Ein­schrän­kun­gen, arbeits­fä­hi­ge Struk­tu­ren. Das war natür­lich ein Rie­sen­vor­teil. Auch dass der Arbeits- und Gesund­heits­schutz seit Jah­ren gro­ße Bedeu­tung hat, hat uns gehol­fen. Wir haben dazu ein­fach schon Wis­sen und Klar­heit über unse­re Rechte.

Trotz­dem droh­ten uns, neben den Schnell­schüs­sen des Manage­ments, die Fra­gen und Her­aus­for­de­run­gen der Pan­de­mie zu über­rol­len. Zum Bei­spiel, wie und wo kön­nen wir uns zu unse­rer Sit­zung tref­fen? Wie kön­nen wir trotz Hygie­ne­be­stim­mun­gen und „Home-Office“ Kon­takt mit den Beschäf­tig­ten hal­ten? Krie­gen wir Video-Sit­zun­gen hin? Kön­nen wir online rechts­si­cher abstim­men? Und eini­ge Betriebs­rä­te haben ver­sucht, sich noch stär­ker als bis­her ein­zu­gra­ben und nichts zu machen. Dage­gen anzu­ge­hen, war sehr schwer.

Cla­ra: So gut sieht es bei uns nicht aus. In unse­rem Betriebs­rat gab es schon eine gewis­se Hand­lungs­un­fä­hig­keit. Das traf auch auf uns von der akti­ven Min­der­heit zu. Quer durch die Strö­mun­gen haben wir gemerkt, wie Coro­na uns bean­sprucht, auch ganz per­sön­lich, und lähmt. Und dann kommt dazu, dass unse­rer Mei­nung nach das Manage­ment Coro­na nutzt, um die Mit­be­stim­mung und unse­re Rech­te in Fra­ge zu stel­len. Die Mehr­heit sieht die­ses Pro­blem nicht.

Auch waren wir selbst zum Pan­de­mie­be­ginn hand­lungs­un­fä­hig. Wir haben aber das Glück, uns mit akti­ven Kolleg*innen ande­rer Betrie­be regel­mä­ßig aus­tau­schen zu kön­nen. Das hat uns immer wie­der akti­viert und Impul­se gegeben.

Tom: Die Logis­tik gilt ja als einer der Pan­de­mie-Hot­spots. Unse­re Nie­der­las­sung gehört da zum Glück nicht dazu. Und ich habe ja schon frü­her dar­über gespro­chen. Wir arbei­ten auch bei ande­ren Fir­men in der Logis­tik und im Ver­sand. Da sind wir auf den jeweils herr­schen­den Gesund­heits­schutz angewiesen.

Unser eige­ner Betriebs­rat ist noch weni­ger zu sehen als zuvor. Klar, wenn du kein frei­ge­stell­ter Betriebs­rat bist und dazu noch an einem ande­ren Ort arbei­test, ist es nicht leicht, Kon­takt zu hal­ten. Aber wäh­rend der Pan­de­mie ist das gleich null.

Auch der Betriebs­rat unse­res Auf­trag­ge­bers ist kaum prä­sent. Für uns als Werk­ver­träg­ler ist der ja nicht zustän­dig, aber doch für die eige­nen Leu­te. Ich glau­be, die haben schlicht­weg kei­nen Plan. Die hat­ten schon vor der Pan­de­mie kei­ne gute Kom­mu­ni­ka­ti­on. Woher soll das jetzt plötz­lich her­kom­men. Ich sehe das so, und ich weiß, ich habe da gut reden, wer sich vor einer Kri­se nicht gut auf­stellt, der schafft es wäh­rend der Kri­se erst recht nicht.

Kevin: Anfangs hat es auch uns bei­na­he über­rollt. Aber wir haben ver­sucht, nicht unter die Räder zu kom­men und unse­re Struk­tu­ren und Arbeit auf­recht zu erhal­ten. Das fiel uns zwar ziem­lich schwer, aber Zeit für War­ten und Erstar­rung hat­ten wir gar nicht. Wir muss­ten näm­lich nicht nur auf die Unter­neh­mens­füh­rung reagie­ren, son­dern auch auf die star­ke und unter­neh­mens­ori­en­tier­te Minderheit.

Habt Ihr alle wie bei Hei­ko arbei­ten­de Betriebs­rats­struk­tu­ren? Haben die­se weitergearbeitet?

Cla­ra: Wir haben vie­le Aus­schüs­se. Viel­leicht zu vie­le. Die waren sehr unter­schied­lich aktiv. Man­che haben schon vor­her nichts gemacht. Ein paar arbei­ten wei­ter­hin, aller­dings sehr ein­ge­schränkt. Die Arbeit wird nicht regel­mä­ßig besprochen.

Der Betriebs­rat führt auch kei­ne regel­mä­ßi­gen Sit­zun­gen mehr durch. Ins­ge­samt ist die Arbeit des Betriebs­ra­tes durch die Pan­de­mie deut­lich schlech­ter gewor­den. Wir als Min­der­heit ver­su­chen, dage­gen­zu­hal­ten, aber das ist sehr müh­se­lig. Es ist wirk­lich vie­les in der Pan­de­mie ganz anders als vorher.

Übri­gens füh­ren wir auch kei­ne Betriebs­ver­samm­lun­gen durch. Ich weiß, das müss­ten wir tun, aber dafür haben wir noch kei­ne wirk­li­che Idee.

Tom: Wir haben einen klei­nen Betriebs­rat und kaum Aus­schüs­se. Aber die Arbeit hat sich in der Pan­de­mie auf die bei­den Vor­sit­zen­den kon­zen­triert. Der Rest ist inak­tiv. Es gibt kaum noch Regel­mä­ßig­keit. Und mit der Begrün­dung „Coro­na“ wird fast alles akzep­tiert, was vom Unter­neh­men kommt.

Hei­ko: Ich woll­te kei­nen fal­schen Ein­druck erwe­cken. Auch bei uns läuft nicht alles super. Am Anfang herrsch­te eine sehr gro­ße Unsi­cher­heit. Was dür­fen wir noch? Was kön­nen wir noch? Es hat eini­ge Mona­te und vie­le Dis­kus­sio­nen gebraucht, wie­der Betriebs­rats­ar­beit außer­halb der Pan­de­mie­be­kämp­fung zu orga­ni­sie­ren. Und die­se ist bei wei­tem nicht auf dem Niveau der Vorkrisenzeit.

Kevin: Ja, bei uns haben die Struk­tu­ren wei­ter­ge­ar­bei­tet. Vor allem der Betriebs­aus­schuss hat an Bedeu­tung gewon­nen. Ein Teil der Arbeit kon­zen­triert sich inzwi­schen auf ihn. Das ist nicht glück­lich, aber wir stan­den vor der Wahl, nicht mehr zu funk­tio­nie­ren oder so zu funk­tio­nie­ren. Wir haben regel­mä­ßig unse­re BR-Sit­zun­gen durch­ge­führt und dabei schon früh die Video­kon­fe­renz­tech­nik genutzt. Aber das ist daten­schutz­recht­lich nicht immer ganz einfach.

Die sons­ti­gen Aus­schüs­se funk­tio­nie­ren unter­schied­lich gut, aber spür­bar schlech­ter als zuvor.


*[Das Gespräch fand Ende Janu­ar 2021 statt. Die Namen wur­den zum Schutz der Teil­neh­men­den geän­dert. U. D. stell­te die Fra­gen. Teil II folgt in der März-Aus­ga­be von Avan­ti².]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Febru­ar 2021
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