S. K.
Am 11. Oktober 2025 fand im Mannheimer Gewerkschaftshaus die 12. Konferenz „Betriebsräte im Visier“ statt (siehe hier). Eine im Komitee „Solidarität gegen BR-Mobbing!“ engagierte Kollegin hielt dort den folgenden Impulsvortrag.

12. Konferenz „BR im Visier“ in Mannheim, 11. Oktober 2025. (Foto: I. D.)
Die aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt sind dramatisch. Hemmungslose Angriffe auf demokratische Grund- und Menschenrechte, auf Ar- beitsbedingungen und Arbeits- bzw. Ausbildungsplätze nehmen stark zu.
Erneut wollen Firmenleitungen zehn- tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze in den unterschiedlichsten Branchen vernichten. Davon betroffene Kolleginnen und Kollegen und deren Familien bangen um ihre Existenz und ihre Zukunft.
Welch eine Verkommenheit in einem Land, in dem immer offener von Wirtschaft und Politik unsere Grund- und Menschenrechte ignoriert oder gar offensiv mit Füßen getreten werden. Anscheinend gibt es mitt- lerweile einen neuen Artikel 1 des Grund- gesetzes (GG). Statt des formal geltenden Satzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ soll es nun nach dem Willen von Wirtschaftsbossen real heißen „Die Höhe der Profite ist unantastbar“.
Denn viel zu oft rechtfertigen Unternehmensleitungen mittlerweile ihre Kahlschlagvorhaben in der Arbeitswelt nicht nur mit dem „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ und deshalb „notwendigen Kostensenkungen“, sondern auch ganz offen mit „zu niedrigen Gewinnen“.
Welch ein Skandal in einem Land, in dessen Grundgesetz-Artikel 14 die Rede von einer Sozialbindung des Eigentums ist: [Zitat] „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Warum kommen bis jetzt viel zu wenige in Gewerkschaften, Politik und Öffentlichkeit auf die Idee, diese Verpflichtung lautstark einzufordern?
Bei der Gelegenheit ist auch an den nicht zufällig nachfolgenden, ergänzenden Artikel 15 Grundgesetz zu erinnern [Zitat]: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Laut einer repräsentativen Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit vom 30. Mai 2025 gibt es aktuell lediglich in 23, 7 % der Betriebe tarifvertragliche Regelungen. In nur noch 9,5 % aller Betriebe ab 5 Beschäftigten gibt es einen Betriebs- oder Personalrat.
Diese bedrohlichen Zahlen fallen nicht vom Himmel. Denn skrupellos nutzen Un- ternehmensleitungen und die von ihnen angeheuerten Unrechtsanwälte alle möglichen legalen und illegalen Mittel, um sowohl aktive Betriebs- und Personalräte als auch engagierte Gewerkschaftsmitglieder aus den Betrieben zu drängen.
Widerstand gegen diese skandalösen Zustände ist erforderlich. Vor allem deshalb sind wir heute zur zwölften bundesweiten Konferenz „Betriebsräte im Visier“ im Mannheimer Gewerkschafshaus zusammengekommen.
In der Einladung zu unserer Tagung haben wir geschrieben [Zitat]: „Wer im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregie- rung nach dem Thema Abwehr von BR-Mobbing und Gewerkschaftsbekämpfung sucht, findet – weiße Flecken. Die Ampel-Koalition hatte noch beschlossen, den § 119 Betriebsverfassungsgesetz von einem Antrags- in ein Offizialdelikt umzuwandeln. Passiert ist – nichts.“
Im letzten Jahr haben wir einen Offenen Brief mit der Überschrift „‚Nie wieder ist jetzt!‘: Fortwirken des faschistischen Arbeitsunrechts beenden!“ veröffentlicht. Er ist an die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften und des DGB gerichtet. Erstunterzeichner dieses Schreibens ist Günter Wallraff.
In unserem Offenen Brief heißt es unter anderem [Zitat]: „Die Durchsetzung eines ‚Rechts des Stärkeren‘ und die damit verbundene illegale Bekämpfung von betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessen- vertretungen ist ein extrem beunruhigendes Phänomen.

12. Konferenz „BR im Visier“ in Mannheim, 11. Oktober 2025. (Foto: I. D.)
Die Täter werden meist weder rechtlich verfolgt noch belangt. Sie können vielmehr das Mittel der ‚Verdachtskündigung‘ gegen Betriebsräte und gewerkschaftlich Aktive skrupellos anwenden, obwohl es elementaren Rechtsgrundsätzen widerspricht. Denn die gemobbten und gekündigten Opfer müssten ihre Unschuld beweisen!
Dieser Skandal beruht vor allem auf dem Nachwirken des faschistischen Arbeitsunrechts bis heute. Nach der Errichtung der faschistischen Diktatur 1933 wurden Gewerkschaften und Betriebsräte verboten. Das bisherige Arbeitsrecht wurde 1934 mit dem ‚Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit‘ konsequent in Unrecht umgewandelt.
Die dort festgeschriebene Verpflichtung der ‚Betriebsgefolgschaft‘ zur ‚Treue“ gegenüber dem „Betriebsführer‘ war schwerwiegend. Angebliche Verstöße gegen die Treue- pflicht konnten seither mit ‚Verdachtskündigungen“ geahndet werden.
Im Nachkriegsdeutschland passte das Bundesarbeitsgericht (BAG) unter maßgeblicher Beteiligung von bereits in der Nazidiktatur tätigen Juristen wie dem 1. BAG- Präsidenten Nipperdey wesentliche Elemen- te des faschistischen Arbeitsunrechts ‚demokratisch‘ an.
Das hatte insbesondere die massive Einschränkung des Streikrechts zur Folge, das Verbot politischer Betätigung im Betrieb, die ‚Treuepflicht‘ gegenüber dem ‚Arbeitgeber‘, die ‚Betriebsgemeinschaft‘, die ‚vertrauensvolle Zusammenarbeit‘ und nicht zuletzt die ‚Verdachtskündigungen‘. Das BAG hält bis heute an dieser unseligen Tradition nicht nur fest, es hat sogar seine Rechtsprechung durch die Möglichkeit einer ‚grundlosen fristlosen Verdachtskündigung‘ verschärft.
Nach Auffassung von Juristinnen und Juristen stellt die Verdachtskündigung einen Verstoß gegen das Grundgesetz dar – konkret gegen Artikel 12 Absatz 1 (Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes) und Artikel 20 Absatz 3 (Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht). […]
Stattdessen muss der Grundsatz ‚im Zwei- fel für den Angeklagten‘ auf das Arbeitsrecht unter Bezugnahme auf Artikel 6 Absatz 2 (Recht auf ein faires Verfahren) der Europäischen Menschenrechtskonvention übertragen werden. Dort heißt es: ‚Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. ‘ […]
Die mit Verdachtskündigungen einhergehenden schweren Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte haben fatale Folgen: gesundheitlich zerstörte Menschen, schwer geschädigte Familienangehörige, ruinierte berufliche Existenzen und nicht zuletzt eingeschüchterte Belegschaften. […]
‚Nie wieder ist jetzt!‘ gilt daher besonders für die Arbeitswelt. Denn gerade dort, wo faschistisches Unrecht nach wie vor ‚Recht‘ ist, wird Widerstand zur Pflicht! Es ist auch deshalb höchste Zeit, das skandalöse Fortwirken des faschistischen Arbeitsunrechts in Deutschland zu beenden und konkret die ‚Verdachtskündigung‘ zu verbieten.
Es ist die ureigenste Aufgabe des DGB und der Einzelgewerkschaften dies bei Politik und Justiz konsequent einzufordern.“
Mittlerweile haben viele hundert Kolleginnen und Kollegen diesen Aufruf unterstützt. Das reicht aber noch lange nicht aus. Wir werden ihn deshalb verstärkt im Netz noch bekannter machen.
Vor allem aber sollten wir alle unseren Offenen Brief in der Arbeitswelt und in unseren Gewerkschaften verbreiten.
Wir sollten für seine Unterstützung werben, sei es in Betriebsrats- oder Personalratsgremien, in Vertrauenskörpern, Betriebs- versammlungen, in Delegiertenversammlungen oder bei den jetzt anstehenden DGB- Delegiertenkonferenzen.
Wir alle sind aufgefordert, unsere demokratische Gegenmacht in den Betrieben und der Gesellschaft zu stärken. Denn sie ist eine wesentliche Voraussetzung, um Betriebsrats- und Gewerkschaftsbekämpfung sowie den Vormarsch der rechten Demokratiefeinde stoppen zu können.
