Kapitalistische Barbarei oder Sozialismus?
U. D.
Am 14. November 2020 führte die ISO Rhein-Neckar ihr Herbst-Seminar „Schnell noch die Welt verändern?“ in „hybrider“ Form durch. Wir dokumentieren hier Teil II des Einleitungsreferats in stark gekürzter Fassung.
Aber wenn alles dafür spricht, dass der Kapitalismus abgeschafft werden muss und eine andere Gesellschaft möglich ist, warum hat dann die Arbeiter*innenklasse ihn nicht längst durch eine sozialistische Rätedemokratie ersetzt?
Herrschende Ideen
Im Kommunistischen Manifest schreiben Engels und Marx: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“
Die herrschenden Klassen haben immer ihre Privilegien und ihre Macht verteidigt und die jeweilige Gesellschaft als die einzig mögliche dargestellt. Solange dies gelang, wurde ihre Herrschaft nicht in Frage gestellt.
Dies gilt auch für die herrschende Klasse der Bourgeoisie im Kapitalismus. Im „Normalbetrieb“ ist sie bestrebt, die Arbeiter*innenklasse mit Zugeständnissen, Propaganda, Manipulation, Erziehung, Medien usw. zu integrieren. Im „Notfall“ ist sie bereit, ihre Herrschaft mit Waffengewalt und offener Repression aufrecht zu erhalten.
Historische Niederlagen
Der Kapitalismus wird erst dann grundsätzlich in Frage gestellt, wenn die Interessen der arbeitenden Klassen in einen scharfen und unauflöslichen Widerspruch zu den Interessen des Kapitals geraten. Entstehen daraus massive Kämpfe, kann sich ein antikapitalistisches Massenbewusstsein entwickeln.
Dies war in der Geschichte wiederholt der Fall. Allerdings führten diese Kämpfe und Revolutionen nicht zu einem dauerhaften Erfolg. Im Gegenteil: Im Verlauf der Geschichte hat die sozialistische Bewegung wiederholt schwere Niederlagen erlitten. Nicht zuletzt wurde und wird bis heute „Sozialismus“ zur Bezeichnung blutiger Diktaturen mißbraucht. Durch diese historischen Erfahrungen wurden Hoffnungen enttäuscht und das revolutionäre Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse erschüttert oder sogar zerstört.
Dafür tragen zwei politische Strömungen besondere Verantwortung: die Sozialdemokratie und der Stalinismus.
• Die Sozialdemokratie wechselte mit der Bewilligung der Kriegskredite am 4. August 1914 auf die Seite des kapitalistischen Bürgertums. Sie verriet mit dieser Haltung die Idee des sozialistischen Internationalismus. Noch schwerer wiegt ihre Verantwortung für die Niederwerfung der deutschen Revolution 1918 und die Kapitulation vor dem nach 1930 aufsteigenden Faschismus.
• Der Stalinismus errichtete im Namen des Sozialismus bürokratische Diktaturen. Er unterdrückte die Kritik an der verratenen Revolution und vernichtete die Kritiker*innen vor allem innerhalb der stalinistischen Gesellschaften. Bis heute diskreditieren die Verbrechen des Stalinismus die freiheitliche Idee des Sozialismus.
Diese Entwicklungen waren wesentliche Voraussetzungen für den Sieg des Faschismus 1933. Aber genauso wichtig war die Weigerung von KPD und SPD, zum Ende der Weimarer Republik eine gemeinsame Einheitsfront gegen den Faschismus aufzubauen. Erst dies machte den Weg frei für die Nazis und deren 12-jährige Terrordiktatur.
Lange Schatten der Geschichte
Nach der Befreiung vom deutschen Faschismus im Jahr 1945 konnte die organisierte Arbeiter*innenbewegung in Deutschland ihre alte Stärke nicht wieder erlangen. Hundertausende Aktivist*innen waren durch Faschismus und Krieg ermordet, demoralisiert oder traumatisiert worden.
Auf diesem, vom Faschismus bereiteten Boden konnte in der BRD der Kapitalismus wieder erstarken und in der DDR eine stalinistische Diktatur errichtet werden. Beides hatte mit den freiheitlichen Ideen des Sozialismus nichts zu tun.
Aufgrund dieser Niederlagen der organisierten Arbeiter*innenklasse konnte der Neoliberalismus seinen Siegeszug antreten. Dabei benutzte er zur Durchsetzung seiner Ideologie auch blutig-autoritäre Methoden wie z. B. 1973 in Chile.
Schließlich darf der Niedergang des „stalinistischen Blocks“ nicht vergessen werden. Dieser wird bis heute von der kapitalistischen Propaganda als „Beweis“ dafür genutzt, dass Sozialismus nicht funktioniere und der „demokratische“ Kapitalismus das Beste aller Systeme sei.
Dies alles trug zur Schwächung der Kampfkraft und des Klassenbewusstseins sowie dem Rückgang sozialistischer Ideen in der Arbeiter*innenklasse bei.
Wie wir dies wieder ändern können und was dies für unser Programm sowie unsere politische Arbeit bedeutet, soll im dritten Teil behandelt werden.
*[Teil I wurde in Avanti² von Januar 2021 veröffentlicht, Teil III wird in der nächsten Avanti² folgen.]