Stoppen!
H. N.
Zum großen Erstaunen der politischen Kaste ist die zweite Welle der COVID-19-Erkrankungen in Deutschland bisher nicht gestoppt. Offensichtlich können die im Auftrag der herrschenden Klasse Regierenden nichts aus ihrem fortgesetzten Versagen lernen.
Bereits im Frühjahr 2020 wurden die tödlichen Gefahren der seit Wochen offenkundigen Pandemie ignoriert oder kleingeredet. Danach ist erneut wertvolle Zeit von Politik, Behörden und Unternehmen aus Unfähigkeit und aus Rücksichtnahme auf die Logik der Profitmaximierung vergeudet worden.
Die prokapitalistische Politik der „Schadensbegrenzung“ hat versagt. Das Systemversagen angesichts des Ausmaßes der Corona-Katastrophe wird immer deutlicher sichtbar. Erinnern wir an die Ursachen: brutale „Globalisierung“ zur Profitmaximierung, radikale Privatisierung und drastischer Abbau zentraler Bereiche des Gesundheitssektors, Abbau des staatlichen Zivilschutzes, Dezimierung der Gewerbeaufsicht, der Gesundheitsämter und des gesamten Gesundheitssystems, Verursachen eines enormen Personalmangels im Pflegebereich, Verlagerung der Produktion von immer noch fehlenden medizinischen und pharmazeutischen Produkten in asiatische „Low-Cost“-Länder …
Vorbeugender Gesundheitsschutz?
Praktisch nicht diskutiert wird in der „Öffentlichkeit“ die fatale Missachtung der Gebote des präventiven Gesundheitsschutzes. 1989 wurde die „EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz“ (89/391/EWG) für alle Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft verabschiedet. In der BRD ist diese verbindliche Vorgabe erst 1996 mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) umgesetzt worden.
Das ArbSchG fordert für alle privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereiche die Durchsetzung eines präventiven Beschäftigtenschutzes. Das heißt: Es gibt eine gesetzliche Pflicht zu einem vorbeugenden ganzheitlichen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Und demzufolge sind überall (mit Ausnahme von Hausangestellten, Beschäftigten auf Seeschiffen und Bergleuten) ganzheitliche Gefährdungsanalysen/Gefährdungsbeurteilungen (GFA/GFB) durchzuführen. Das gilt insbeondere auch für die aktuellen Corona- Brennpunkte: Altenheime, Flüchtlingsunterkünfte, Schulen, Kindertagesstätten, Industriebetriebe, Handelshäuser …
Diese GFA/GFB müssen vor allem Gefahrenquellen aufzeigen, Gefährdungen beseitigen bzw. minimieren, Belastungen und Erkrankungen vorbeugen, alle Beschäftigten für Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz sensibilisieren und alle im Arbeitsleben erfahrenen physischen und psychischen Belastungen fortlaufend dokumentieren.
Skandalöses Mißachten
Skandalöserweise wird das Arbeitsschutzgesetz nur an den wenigsten Arbeitsplätzen umgesetzt. In den seltenen Fällen, in denen es jedoch aufgrund aktiver Betriebsräte ernst genommen wird, kann ein wirksamer Infektionsschutz gegen das Coronavirus sichergestellt werden. Denn dort wird mehr getan, als die AHA-L-Regeln einzuhalten. Es wird das sogenannte TOP-Prinzip des Gesundheitsschutzes verwirklicht. Dies bedeutet, dass in dieser Rangfolge technische (z. B. Trennwände), organisatorische (z. B. versetzte Arbeitszeiten) und persönliche Schutzmaßnahmen (z. B. FFP2-Masken) ergriffen werden müssen.
Ergänzend zum Arbeitsschutzgesetz verpflichtet übrigens das Sozialgesetzbuch VII in § 14 die Berufsgenossenschaften zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren und zur Analyse der Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit. Auch hier herrscht – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das sprichwörtliche „Schweigen im Walde”.
Das Versagen von Politik, Behörden, Unternehmens- und Einrichtungsleitungen aber auch der meisten Gewerkschaften und Betriebsräte hat fatale Folgen. Aktuell steigen die Infektions- und zeitver- zögert auch die Sterbezahlen weiter an. Offiziell über 36.000 Menschen haben wegen der Pandemie bisher ihr Leben verloren, über 1,8 Millionen haben sich infiziert (Stand 05.01.2021). Viele davon leiden auch heute noch an den Folgen ihrer Erkrankung. Dass es anders ginge, zeigen Länder wie Vietnam, Thailand oder Neuseeland.
Was tun?
Corona ist zum Brandbeschleuniger für die Krise der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft geworden. Sie erhöht ständig den Druck auf alle, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen – vor allem aber auf diejenigen, die schon jetzt gezwungen sind, in prekären Verhältnissen zu arbeiten und zu leben.
Wir müssen das Grundrecht „auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ gegen den Zynismus der Herrschenden und ihrer politischen Interessenvertretungen verteidigen. Wir müssen der kapitalistischen Krisen-„Lösung“ Widerstand entgegensetzen.
Erforderlich ist systematische Aufklärung. So können wir sowohl Falschmeldungen bekämpfen als auch Problembewusstsein stärken. Zudem bedarf es eines Aktionsplans gegen Kapitalismus, Corona und Krise. Vor allem aber brauchen wir den Aufbau einer sozialen Front zur Stärkung solidarischer Zusammenarbeit über alle Organisations-, Bereichs- und Staatsgrenzen.