O. H.
Vor kurzem wurde ein offensichtlich echtes internes Strategiepapier der AfD bekannt. Darin legen die Rechten detailliert fest, wie sie ihre prokapitalistischen und rassistischen Botschaften im Bundestagswahljahr 2017 verbreiten wollen.
Dies war Grund genug, unseren ISO-Informations- und Diskussionsabend im Februar der kritischen Auseinandersetzung mit der AfD-Strategie zu widmen.
Im Folgenden veröffentlichen wir unser redaktionell überarbeitetes Einleitungsreferat.
„Die nachfolgenden Bemerkungen setzen sich nicht mit der Politik der AfD auseinander, um diese zu bewerten. Es geht vielmehr um die neue Wahl- und Aufbaustrategie der AfD, welche die Partei in weitere Landesparlamente und in den Bundestag katapultieren soll. Um der AfD als rechtspopulistischer und rassistischer Partei wirksam entgegentreten zu können, ist es notwendig, sich mit ihrer Strategie auseinander zu setzen.
Parolen
‚Demokratie wieder herstellen‘ und ‚Dem Volk die Staatsgewalt zurückgeben‘ - mit diesen Parolen beabsichtigt die AfD, bei den anstehenden Landtagswahlen und vor allem bei der Bundestagswahl im Herbst als Sieger hervor- zugehen. Als drittstärkste Partei will sie in den Bundestag einziehen und sich damit dauerhaft politisch etablieren. Gleichzeitig ist es ihr erklärtes Ziel, im Wahlkampf die eigene Basis wesentlich zu stärken.
Wie die AfD das erreichen will, entwickelt sie in einem vertraulichen Strategiepapier, das Ende Dezember 2016 vom Bundesvorstand beschlossen worden ist.
Das Papier macht deutlich:
- Der AfD geht es nicht um sachliche Lösungen, sondern vor allem um gezielte Provokationen, die den Wahlkampf bestimmen sollen. Der erhoffte Effekt ist, dass sich die ‚Altparteien‘ (AfD-Jargon) auf eine solche Auseinandersetzung einlassen und entsprechend reagieren.
‚Je nervöser und je unfairer die Altparteien auf Provokationen reagieren desto besser. Je mehr sie versuchen, die AfD wegen provokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil der AfD.‘ Negative Reaktionen müssten daher ‚ganz bewusst‘ einkalkuliert werden.
- Eindeutig positioniert sich die AfD als reine Protestpartei und formuliert ihr Selbstverständnis, das so bislang nicht ausdrücklich benannt wurde: ‚Die AfD lebt gut von ihrem Ruf als Tabubrecherin und Protestpartei. Sie braucht sich dessen nicht zu schämen, sondern muss sich selbstbewusst zu ihrer Aufgabe bekennen, dem Protest in Deutschland eine politische Richtung und ein Gesicht zu geben.‘
- Bemerkenswert ist, dass die AfD derzeit gar nicht selbst gestalten will, sondern gezielt andere Parteien bzw. das politische Klima verändern will: ‚Viele Wähler gehen nicht davon aus, dass die AfD selbst bei einer Regierungsbeteiligung die von ihr angesprochenen Probleme lösen kann.‘ Aber sie wüssten, dass die AfD allein dadurch wirke, dass sie ‚Unliebsames‘ klar ausspreche. Die AfD löse ‚als Korrektiv Lernprozesse bei den Altparteien aus. Sie wirkt.‘ Dabei will sich die AfD aber weiter als Opfer inszenieren: ‚Nicht die AfD darf das Gespräch verweigern, die Altparteien müssen es ablehnen.‘
Kernthemen
Die AfD will sich auf wenige sogenannte Kernthemen konzentrieren, sonst drohe ‚Beliebigkeit und Verzettelung‘. Um sich ein Image aufzubauen, seien nur ‚wenige, sorgfältig ausgewählte und kontinuierlich bespielte Themen von Bedeutung. Sie müssen so aufbereitet und vermarktet werden, dass die AfD mit ihnen in der Öffentlichkeit identifiziert wird, ihre bisherigen Alleinstellungsmerkmale verteidigt und einige wenige neue hinzugewinnt.‘ Es gehe um ‚eine erfolgreiche AfD‘ und weniger darum, ‚zu möglichst allem etwas zu sagen‘.
Einige Themen will die Partei sogar möglichst gar nicht ansprechen. Beispielsweise sieht die AfD in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eine große Spaltungsgefahr für ihre Wählerschaft. So soll der neoliberale Kern etwa in der Steuerpolitik oder beim Mindestlohn verdeckt werden. Wörtlich heißt es in dem Strategiepapier, oberstes Ziel sei es, im Wahljahr mit Themen zu werben, ‚die innerhalb der AfD-Wählerschaft nicht zur Spaltung führen‘.
Weiter heißt es: ‚Bei für die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft der AfD nicht auseinanderdividiert. Während Teile des liberal-konservativen Bürgertums auf der einen und Arbeiter und Arbeitslose auf der anderen Seite bei Themen wie Euro / Europa, Sicherheit, Migration / Islam, Demokratie, nationale Identität oder Genderismus durchaus ähnliche Positionen vertreten, kann es Differenzen bei Fragen wie Steuergerechtigkeit, Rentenhöhe, Krankenkassenbeiträge, Mietbremsen oder Arbeitslosenversicherung geben.‘
„Querverbindungen“
Bei Fragen sozialer Gerechtigkeit fühlt sich die AfD also angreifbar. Was für die ‚sozial Schwachen‘ getan werden soll, bleibt dementsprechend weitgehend nebulös. Hier wird eher eine neoliberale Argumentationslinie übernommen und mit einem ausländerfeindlichen Grundton ausgestaltet - in dem Papier als ‚Querverbindungen‘ bezeichnet. Für den Erfolg 2017 komme es vorrangig darauf an, ‚wie schon bisher etwaige Differenzen möglichst im Hintergrund zu lassen und das Gemeinsame der AfD-Wählerschaft zu betonen‘.
Wo dies nicht einfach sei, ‚müssen Querverbindungen zwischen den Kernthemen und den möglicherweise spalterisch wirkenden Themen gezogen werden, also z.B. gezeigt werden, dass die hohen Folgekosten des Asylchaos Steuersenkungen schwierig machen und die sozialen Sicherungssysteme von den Zuwanderern stark beansprucht werden‘.
Die AfD will keine Lösungsvorschläge machen. Sie traut der eigenen Wählerschaft offenbar nicht zu, anspruchsvolle Lösungen zu verstehen. So heißt es in dem Papier, es gehe für den Wahlerfolg nicht darum, ‚zu den zentralen Themen differenzierte Ausarbeitungen und technisch anspruchsvolle Lösungsmodelle vorzulegen und zu verbreiten, die nur Spezialisten aus der politischen Klasse interessieren, die Wähler aber überfordern. Zu umfassende Antworten bergen die Gefahr, sich in technische Details zu verlieren.‘
Es sei wichtiger, ‚den Finger in die Wunde der Altparteien zu legen, als sich in einer Expertendiskussion um Lösungsvorschläge zu verheddern‘. Die stete Wiederholung dessen, wofür man bereits bekannt sei, bringe ‚mehr Erfolg als immer wieder neues zu bringen. Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und provokante Slogans sind wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze, die es allen recht machen wollen.‘
Zielgruppen
Die AfD will gezielt polarisieren und spalten. So definiert die Partei fünf Zielgruppen. Die Reaktionen und Befindlichkeiten anderer Teile der Gesellschaft sei für die AfD ‚von untergeordneter Bedeutung‘. Diese seien ‚eher Zielscheiben als Zielgruppen der AfD‘.
Als eigene Zielgruppen gelten demnach:
• Wähler aus allen sozialen Schichten, Altersgruppen und Teilen Deutschlands, die weitere Euro-Rettungspakete ablehnen
• bürgerliche Wähler mit liberal-konservativer Werteorientierung
• Protestwähler, die mit ‚der Verengung der politischen Debatte auf wenige Themen, mit politisch korrekten Meinungsäußerungen in den Medien sowie ganz allgemein mit Inhalt und Stil der politischen Debatte unzufrieden sind‘
• Nichtwähler, die ‚unter den Altparteien nirgendwo ein akzeptables Angebot finden‘
• Bürger mit unterdurchschnittlichem Einkommen (,kleine Leute‘), die sich zu konservativen Werten wie Leistungsbereitschaft, Ordnung, Sicherheit und Patriotismus bekennen.
Potenziale
Derzeit geht die AfD von einem Wählerpotenzial von 20 Prozent aus. Sie betont, dass bei den Landtagswahlen 2016 rund 75 Prozent des Potentials ausgeschöpft wurden. Gleichwohl will sich die AfD ‚perspektivisch stärker gegenüber der politischen Mitte‘ öffnen. Hier hat sie – neben der Wählerschaft von CDU/CSU, SPD und der Linkspartei (im Osten) – vor allem Nichtwähler, die sich für Politik interessieren, im Visier.
Diese Erweiterung könne aber nur funktionieren, wenn sich die AfD deutlicher gegen Rechtsaußen abgrenze, heißt es in dem Papier – was reichlich Konfliktpotenzial in sich birgt. ‚Das heutige Potential der AfD darf nicht zum Ghetto werden, in dem die AfD zwar sicher zweistellige Ergebnisse erzielt, aber über die Marke von bundesweit 20 Prozent nicht hinauswachsen kann‘. Allerdings dürfe eine stärkere Ausrichtung an der politischen Mitte nicht dazu führen, dass die AfD in ihrem heutigen Potenzial an Zustimmung verliert und sich in Inhalt und Stil zu sehr den Altparteien annähert‘.
Das Strategiepapier weist auch auf Schwächen bei der Repräsentation und ein fehlendes Kompetenzteam hin. So wird beklagt, dass sich im Vorstand die Exponenten der verschiedenen Flügel öffentlich bekriegen.
Die Politik der AfD ist also grundsätzlich darauf aus, durch Polarisierung und Provokationen Stimmen zu gewinnen. Ein belastbares politisches Programm liegt bislang nicht vor, auf Lösungskompetenz wird bewusst verzichtet. Deutlich wird zudem das Profil einer rechten Protestpartei, die Konfliktthemen – etwa Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – gezielt ausklammert. Stattdessen will sie Kernthemen wie Zuwanderung und Asyl, die Rolle des Islams oder Sorge um die nationale Identität in den Fokus rücken.
Es ist durchaus nicht unrealistisch, dass die Strategie der AfD für ihre Zielsetzung erfolgreich ist. Sie darf vor diesem Hintergrund keinesfalls unterschätzt werden.
Was tun gegen die AfD?
Es ist unabdingbar, den RechtspopulistInnen und RassistInnen konsequent entgegenzutreten. Gleichzeitig gilt es, geduldig und systematisch eine ‚wehrhafte‘ antifaschistische Bewegung mit Masseneinfluss aufzubauen. Eine möglichst breite Einheit in der Aktion ist also notwendig.
Es geht um die gemeinsame Verteidigung gegen die rechtsextremen und rassistischen Aggressionen. Dafür gilt es, unter allen Beteiligten und Bedrohten – MigrantInnen, Geflüchtete, GewerkschafterInnen und Linke – Absprachen zur gegenseitigen Hilfe und zu gemeinsamen Demonstrationen, Aktionen und Streiks zu treffen.
Aber das allein reicht aber nicht aus. Wir müssen gleichzeitig eine eigene Strategie zur Erreichung unserer Ziele entwickeln und praktisch umsetzen. Hierbei genügt es nicht, einen abstrakten Sozialismus als Alternative zu Kapitalismus und Nationalismus anzupreisen.
Sozialistisches Bewusstsein ist heute viel weniger verbreitet als vor hundert Jahren, als es eine Massenbewegung für den Sozialismus gab. Nur eine vergleichsweise geringe Minderheit will heute die Überwindung des Kapitalismus. Die Glaubwürdigkeitskrise der sozialistischen Ideen als Folge von sozialdemokratischer und von stalinistischer Politik ist noch lange nicht überwunden.
Es hilft allein der geduldige Aufbau einer breiten sozialen und politischen Protestbewegung für konkrete Ziele und gegen die fortgesetzte Abwälzung der Krisenlasten auf die große Mehrheit. Nur aus ihr kann sich der erforderliche antikapitalistische Widerstand entwickeln und in eine starke außerparlamentarische Opposition münden. Erst dann werden glaubwürdige Perspektiven zur Überwindung des Kapitalismus entstehen.
Als kleine, aber aktive Organisation können wir schon heute gemeinsam mit anderen dazu beitragen, den Aufschwung der AfD zu stoppen.