Avanti² sprach nach dem überraschenden Tod der Dichterin und Organisatorin der radikalen Proteste in der südiranischen Stadt Bandar Abbas mit Hassan, einem im Exil lebenden Unterstützer des Aufstands gegen die Mullah-Diktatur.*
In der Nacht zum 27.04.2023 ist Nafiseh Zamanzadeh (Aram) in Bandar Abbas im Iran gestorben. Wer war Nafiseh?
Nafiseh war eine marxistische Dichterin aus dem Iran. Sie wuchs in einer wohlhabenden Familie in Bandar Abbas im Süden des Iran auf, politisierte sich aber vor zwei Jahrzehnten durch ihren alltäglichen Kontakt mit Arbeitern, die aus ärmeren Regionen wie Kurdistan nach Bandar Abbas gekommen waren. Aus der Erfahrung und Reflexion des Alltags der Arbeiterklasse heraus wurde sie zu einer Sozialistin, die sich der Arbeiterklasse tief verbunden fühlte und stets solidarisch handelte. Als sozialistische Aktivistin entwickelte sie Kontakte in Regionen mit stärkerer politischer Aktivität, insbesondere nach Kurdistan und Teheran.
Welche politischen Ansichten vertrat Nafiseh?
Nafiseh war überzeugte Marxistin. Sie war zwar keine Theoretikerin des Marxismus, las aber gerne marxistische Texte, Gedichte und Romane. Sie interessierte sich insbesondere für ästhetische Werke und verfasste auch selbst Gedichte.
Besonders wichtig war ihr der marxistische Feminismus, womit sie sich auch deutlich gegen einen liberalen Feminismus positionierte, der im Iran weit verbreitet ist. Sie setzte keine Hoffnungen in reformistische Forderungen zur Emanzipation der Frau, die letztlich eine Unterstützung des iranischen Staatsapparats bedeuten. Damit grenzte sie sich stark und offen gegen den liberalen Mainstream-Feminismus ab.
Wie war Nafisehs Verhältnis zu den Protesten im Iran seit letztem Herbst? Wie beteiligte sie sich daran?
Nafiseh war eine der Organisatorinnen der radikalen Proteste in Bandar Abbas. Dabei wirkte sie nicht nur vor Ort, sondern verbreitete Bilder, kurze Videos und Parolen aus Bandar Abbas über Instagram und Telegram.
Nafiseh war ein sehr kommunikativer und zutiefst solidarischer Mensch. Sie baute über die Jahre ihres Aktivismus ein breites Netzwerk zu linken Aktivist:innen im Iran und im Ausland auf. So wirkte sie auch wie ein Bindeglied zwischen den linken Teilen der Proteste im Iran und revolutionären Iraner:innen im Exil.
Nafiseh scheute sich nicht, ihren Standpunkt klar und deutlich in der Öffentlichkeit zu formulieren. Dadurch geriet sie auch in Konflikt mit dem Geheimdienst Itlaat. Einige Monate vor ihrem Tod durchsuchten Beamte des Geheimdienstes ihre Wohnung und beschlagnahmten ihr Handy. Bis heute haben sie es nicht wieder herausgerückt.
Um sie zu schützen, verringerten ihre politischen Freunde und ihre Familie im Ausland den Kontakt mit ihr auf ein Minimum. Dass sie in den letzten Monaten vor ihrem Tod fast abgeschieden von uns war, ist besonders schwer zu ertragen.
Was weißt du über die Umstände Ihres Todes?
Ihr Haus ist in der Nacht auf den 27.04. abgebrannt. Sie versuchte offenbar, die Flammen selbst zu löschen, und erlag dabei einer Rauchvergiftung.
Wie es zu dem Brand gekommen ist, konnte bisher nicht geklärt werden. Dem iranischen Regime ist alles zuzutrauen, es kann aber genauso gut auch ein tragisches Unglück gewesen sein.
Ihr habt sowohl im Iran als auch in Deutschland Trauerfeiern für Nafiseh organisiert. Welche Bedeutung haben diese Trauerfeiern für ihre Familie und Genoss:innen?
Wie die Trauerfeier im Iran aussah und wie sie auf ihre Familie und Genoss:innen wirkte, kann ich nicht beurteilen.
Die Trauerfeier in Köln am 6.05.2023 war ein kollektives Erinnern und Gedenken an eine starke Sozialistin. Für ihre Genoss:innen und insbesondere für ihren Bruder mit seiner Familie bedeutete es viel, dass etwa 80 Menschen zusammenkamen, um zu trauern, aber auch um die Erinnerung lebendig zu halten. Erinnern an Nafiseh bedeutet für uns auch, ihren Kampf in unserem Kampf um die Emanzipation der Frauen, Arbeiter:innen und aller Unterdrückten weiterzuführen.
Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien im Februar 2023 schrieb Nafiseh folgendes Gedicht und veröffentlichte es unter ihrem Pseudonym Aram auf Instagram:
„Ich schließe meine naiven, zitternden Hände schützend um dich und schließe meine ängstlichen Augen, damit das, was die Welt auf die Flüchtlinge geworfen hat, mich nicht an die Erdbeben der Kindheit und Jugend erinnert.
Mit einer zerbrochenen Seele werde ich die Flüchtlinge in die Arme nehmen, weil ich nicht Zeugin des Todes von unbesorgt spielenden Kindern werden will.
Eine Welt voll von Armut, Diskriminierung, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und Verbrechen der Herrschenden ist kein Ort für die Geburt neuer Sklaven. Die Geburt von Kindern gehört in eine Welt ohne Unterdrückung, in eine Welt der Gleichheit und des Glückes.
Lasst die Welt sich an uns rächen und unsere Häuser über unseren Köpfen zerstören. Wir sind nur eine traurige Erzählung dieses Universums.“
*[Die Fragen für Avanti² stellte N. B. am 24.05.2023.]