Belegschaften als Spielball des Großkapitals
(Teil II*)
S. T.
Ein Gespenst geht um. Auch in der Rhein-Neckar-Region. Immer öfter kommt es zum Kauf beziehungsweise Verkauf von Firmen, ja von ganzen Konzernen. ABB und Hitachi, Alstom und General Electric, Nora und Interface, PFW und Hutchinson, VAG und Aurelius – das sind nur einige der Namen, die in der letzten Zeit bekannt geworden sind.
Aus konkreten betrieblichen Erfahrungen kennen wir die Vorgehensweise im Zusammenhang mit Firmenverkäufen. Die Ansage der neuen Eigner lautet in der Regel etwa so: Macht Euch keine Sorgen, alles wird gut.
Da aber der Zweck einer Übernahme für Belegschaften meist bedrohlich ist, gibt es oft Angst und Misstrauen bei den Beschäftigten. Aggressive „Kostensenkungsziele“ verstärken ihre Verunsicherung.
Häufig verfolgen die neuen Eigentümer das Ziel, in einen für sie günstigeren Tarifvertrag oder sogar in einen tariflosen Bereich (zum Beispiel in einem „Billiglohnland“) zu wechseln.
Schmutziges Spiel der Täuschung
In den allermeisten Fällen beginnt das schmutzige Spiel der Täuschung der Belegschaft schon vor dem Verkauf einer Firma. Die Interessenvertretung einer Belegschaft wird nicht – und schon gar nicht „rechtzeitig und umfassend“ – über den geplanten Verkauf informiert.
Dadurch werden mit einem einfachen Manöver Betriebsrat und Belegschaft um ihr Recht gebracht, sich auf die kommende Entwicklung einzustellen. Eine solidarische Gegenwehr wird damit sehr erschwert.
Bei einer Übernahme oder einem Unternehmenskauf handelt es sich fast immer um einen Betriebsübergang nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dieser Paragraph besagt, dass der neue Unternehmer ein Jahr lang nicht wegen des Betriebsübergangs kündigen kann und den Besitzstand der Belegschaft zu wahren hat.
Die Beschäftigten müssen im Voraus über den Betriebsübergang informiert werden und haben ein Widerspruchsrecht.
Die Belegschaft und ihre Interessenvertretung stehen schon von Anfang an vor einer wesentlichen Frage: Gute Miene machen zum bösen Spiel oder Wiederstand leisten? Die Meisten entscheiden sich für Kooperation statt Kampf.
Der Betriebsrat spielt dabei die entscheidende Rolle. Er muss sich während des gesamten Prozesses immer wieder mit der Frage befassen: Wann ist es genug? Ab wann leisten wir Widerstand?
Wenn er sich einmal für den Weg der „Sozialpartnerschaft“ entschieden hat, wird es, je länger es dauert, immer schwerer, Widerstand im Interesse der Belegschaft zu organisieren.
Alles, was danach noch an Täuschungsmanövern und Gesetzesverstößen seitens der Kapitalseite passiert, wird begründet. Meist mit mehr oder weniger plausiblen Worten, die größtenteils gesellschaftlich akzeptiert sind.
Wenn das nicht möglich ist, erfindet das Management eine passende Geschichte zur Beschwichtigung und gibt diese zum Besten. Außerdem nutzt es schon das erste Jahr nach der Übernahme entgegen der Schutzfrist durch § 613a BGB voll aus. Wo kein Widerstand ist, da gilt meist auch kein Gesetz.
Systematische Gehirnwäsche
Die „Integration“ folgt einem vorher von der Kapitalseite festgelegten, aber geheim gehaltenen Drehbuch.
Zunächst gibt es eine Auftakt-Veranstaltung. Zweck ist die Beschallung der Belegschaft. Euphorisches Geschwätz und systematische Schönfärberei unterlegt die Geschäftsleitung mit farbenfrohen aber nichtssagenden Präsentationen.
Es folgen dann weitere „Kennenlern-Meetings“ auf verschiedenen Ebenen und Bereichen. Das Schema ist aber immer das Gleiche.
Ziemlich schnell wird dann Facebook als „Kommunikationsplattform“ eingesetzt.
Auf der nächsten Stufe lässt das Management dann diverse „Mitarbeiterumfragen“ angeblich „anonym“ durchführen.
Die Geschäftssprache wird Englisch. Für nahezu alle Bezeichnungen und Begriffe werden englische Wörter oder Anglizismen eingeführt, obwohl die Betriebssprache nach wie vor Deutsch ist.
Parallel dazu durchleuchtet eine externe „Beratungsfirma“ das ganze Unternehmen.
Schließlich startet die Geschäftsleitung Programme zur „Kulturveränderung“ – zum Beispiel zur Verbesserung der „Kundenorientierung“. Die Vermittlung und Verankerung einer „Vision“ sowie die Einführung von „Leitbildern“ und „Führungsgrundsätzen“ werden vorangetrieben.
„Cloudbasierte“ Standardsoftware zur „Kommunikation“ wird eingeführt und die Umstellung auf diverse andere IT-Systeme vorbereitet.
Schließlich folgen die Festlegung und die Bekanntgabe von sogenannten Kostensenkungs- und Produktivitätssteigerungs-Zielen. Leider geschieht dies viel zu oft mit Zustimmung eines Betriebsrats, der weder seine gesetzlichen Pflichten erfüllt, noch aktiv für die Interessen der Belegschaft eintritt.
*[Teil I ist in Avanti² Nr. 65 von Januar 2020 erschienen].