ISO-Infoabend Mai 2022
R. G.
Gibt es auf die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine Antworten, die den Krieg nicht weiter eskalieren und keiner mörderischen und zerstörerischen Vernichtungs- und Aufrüstungslogik folgen? Dies Frage stand im Zentrum des Mai-Infoabends der ISO Rhein-Neckar.
Ausgangspunkt unseres Referenten waren die ausschließlich militärischen Antworten der ukrainischen Regierung und der NATO-Staaten auf den russischen Einmarsch. Dabei seien die Beweggründe jedoch unterschiedlich: Die Ukraine versuche sich zu verteidigen, die NATO und ihre Führungsmacht USA wollten geopolitische und wirtschaftliche Machtinteressen gegen Russland durchsetzen.
„Totalisierung des Krieges“
Unbestreitbar gebe es in diesem Krieg Angreifer und Angegriffene. Aber sowohl die Ukraine als auch Russland seien inzwischen von der „Totalisierung“ des Krieges beherrscht. Dies erschwere die Beendigung des Krieges am Verhandlungstisch. In beiden Staaten gebe es keine starke Anti-Kriegsbewegung, die in der Lage wäre, den notwendigen Druck auf den herrschenden Machtapparat auszuüben und die Forderung „Die Waffen nieder!“ politisch durchzusetzen.
In Deutschland würde die Rüstungslobby die Lage ausnutzen, um angesichts der angeblich drohenden „russischen Gefahr“ noch mehr Aufrüstung und noch massivere Waffenlieferungen an die Ukraine zu fordern. Schon jetzt werde deutlich, dass damit eine energie-, öko- und sozialpolitische Rolle rückwärts verbunden sei.
Es gebe zudem das grundlegende Dilemma, dass die Ukraine aus ihrer militärischen Verteidigungslogik heraus Waffen fordere, während in Deutschland aus anti-militaristischen und anti-imperialistischen Gründen Waffenlieferungen und jegliche Aufrüstung abzulehnen seien.
Angesichts des Ukraine-Krieges hätten die Friedensbewegung und die politische Linke mehrere Aufgaben: Unter anderem müssten sie in der Öffentlichkeit über die imperialistischen Ziele dieses Krieges aufklären. Sie müssten Krieg und Aufrüstung in einen engen, ursächlichen Zusammenhang mit der ökologischen Katastrophe und der sozialen Frage stellen. Sie müssten solidarisch mit der Antikriegsbewegung in der Ukraine und in Russland sein, und schließlich müssten sie in diesen Ländern anti-stalinistische sozialistische Gruppierungen finanziell und organisatorisch unterstützen.
Großer Diskussionsbedarf
Die auf das Referat folgende Diskussion berührte zahlreiche Aspekte des Krieges und machte deutlich, dass weiterhin ein großer Bedarf besteht, diesen Krieg und seine politischen Folgen zu diskutieren und zu verstehen.
Einige Diskutierende stellten eine militaristische „Gleichschaltung“ der Medien fest, in der antimilitaristische Positionen immer weniger auftauchten oder diffamiert würden. Eine Einzel- meinung kritisierte das als pauschale „Medienschelte“, die nicht die Wirklichkeit abbilde.
Trotz der Schwäche der Friedensbewegung und trotz massiver Propaganda, so ein anderer Diskussionsbeitrag, sei es der herrschenden Politik immer noch nicht gelungen, eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung für Waffenlieferungen und eine massive Erhöhung des Militäretats zu begeistern. Dies zeige, dass es möglich sei, gegen Aufrüstung und Militarisierung und Deutschland eine politische Bewegung aufzubauen.
Für eine antimilitaristische Bewegung
Einen breiteren Raum nahm die Debatte über die Gefahren durch atomare Bewaffnung und ukrainische Atomkraftwerke ein. So hätten aufgrund von Zerstörungen durch russische Soldaten für einige Tage sehr wichtige Mess- und Steuerungssysteme des 1986 havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl nicht funktioniert.
Zudem sei es möglich, dass eine „fehlgeleitete“ russische Rakete ein ukrainisches Atomkraftwerk zerstören und damit eine atomare Katastrophe auslösen könne.
Selbst der Einsatz „kleinerer“ Atomwaffen durch die russische Armee sei nicht auszuschließen. Diese real existierenden atomaren Gefahren müssten in der politischen Aufklärung noch viel deutlicher gemacht werden.
Nicht zuletzt wurde der Versuch der politischen Rechten thematisiert, den Krieg politisch für sich zu nutzen und sich als „Friedenskraft“ dazustellen. Die Rechte versuche dabei, an ihre Erfolge bei den Anti-Corona-Mobilisierungen anzuknüpfen.
Dagegen müsse sich die Linke inhaltlich eindeutig abgrenzen. Sie müsse eine eigenständige, internationale Bewegung für umfassende soziale Verteidigung aufbauen, die sich gegen Krieg, Rüstung und deren ökologische wie gesellschaftliche Folgen richtet.