T. S.
So hieß die Veranstaltung am 20. November 2018 im Mannheimer Gewerkschaftshaus. Sie war vom Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen Rhein-Neckar organisiert und von DGB, ver.di und Überbetrieblichem Solidaritätskomitee Rhein-Neckar unterstützt worden.
Rund 60 BesucherInnen mussten ihr Kommen nicht bereuen. Der Vortrag von Dr. Nadja Rakowitz (Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte) führte fundiert in das Thema des Abends ein. Drei kurze ergänzende Erfahrungsberichte aus der Welt der Pflege erleichterten das Verständnis der komplexen Materie. Nadja Rakowitz legte auf informative Weise dar, wie unsere Gesundheit für Profitinteressen aufs Spiel gesetzt wird und was wir dagegen tun können.
Beginnend mit dem neoliberalen Umbau der Gesellschaft ab den 1970er Jahren sei – insbesondere nach 1990 in den neuen Bundesländern – eine Privatisierungswelle losgetreten worden. Durch die Agenda-Politik der „rot-grünen“ Bundesregierung und der nachfolgenden Kabinette, so Rakowitz, seien vor allem die Profitinteressen von Konzernen bedient worden. Im Gesund- heitswesen und speziell im Krankenhausbereich habe dies zu einer massiven Verschlechterung der Situation geführt.
Die Einführung des „DRG-Systems“ (System Diagnosebezogener Fallgruppen) in den Krankenhäusern habe zu Abrechnungen geführt, die in keiner Weise mehr die Realität abbilden würden. Dieses Klassifikationssystem für ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren ordnet „Krankenhaus- fälle“ (PatientInnen) aufgrund medizinischer Daten „Fallgruppen“ zu. Der systematisch organisierte Kostendruck würde dazu führen, dass sich zur Heilung erforderliche Behandlungen nicht mehr „lohnen“. Die Kosten der Krankenhäuser würden nämlich von den Krankenkassen oft nicht mehr in vollem Umfang übernommen.
Deshalb würden die Krankenhäuser ihrerseits zum Beispiel überdurchschnittlich viele Operationen befürworten. Diese sind zu einem großen Teil unnötig oder sogar riskant. Dennoch würden sie – obwohl meistens teurer – von den Krankenkassen kostenmäßig übernommen. Das Nachsehen dabei hätten meistens die PatientInnen. Die ihnen zugemuteten Behandlungen würden sogar viel zu oft eher krankheits- als gesundheitsfördernd wirken. Eine PatientIn mehr pro Pflegekraft (7 statt 6 PatientInnen) erhöht das Sterberisiko. Laut einer internationalen Untersuchung (Aiken 2014) steigt dann die Rate der Todesfälle im Krankenhaus selbst und bis 30 Tage nach der Entlassung um 7 %.
Profite vor Menschen?
Rakowitz zufolge ist es vor allem die Profitorientierung, die auch die Personalpolitik im Pflegebereich bestimme. So kämen in Deutschland auf eine Pflegekraft 13 PatientInnen. In den meisten EU-Ländern sehe es weniger schlecht aus. In Norwegen seien es zum Beispiel nur 5,4 und selbst in Griechenland 10,2 PatientInnen pro Pflegekraft. Dieser unhaltbare Zustand führe zu unzumutbaren Belastungen sowohl für die PatientInnen als auch für die Pflegekräfte. Deshalb sei es seit langem extrem schwierig, neue Pflegekräfte zu gewinnen. Dies liege nicht nur an der hohen arbeitsbedingten Belastung, sondern auch an der geringen Bezahlung dieser Berufsgruppe. Hier sieht Rakowitz einen sofortigen Handlungsbedarf.
In dem jetzt von Gesundheitsminister Spahn vorgelegten „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ sei eine Refinanzierung von Tarifsteigerungen im Krankenhaus mit nachweispflichtigen Wirksamkeitskontrollen verbunden. Die Pflegepersonalkosten würden besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden. Für die Krankenhäuser werde ab 2020 jede zusätzliche und jede aufgestockte Pflegestelle finanziert.
Problematisch sei aber, dass diese Regelung nur für die Pflege gelten solle und nicht für alle im Krankenhaus tätigen KollegInnen.
Probleme gäbe es auch bei der Bemessung der Personaluntergrenze durch die „Personaluntergrenzen-Verordnung“. Maßstab müsse stattdessen der Anspruch sowohl der PatientInnen auf eine qualitativ hochwertige Versorgung als auch der Beschäftigten auf einen wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz sein.
Was tun?
Nadja Rakowitz schlug folgende Perspektiven für den Kampf um ein Gesundheitswesen vor, das den PatientInnen und nicht der Profitmaximierung dient:
• Herausnahme aller Berufsgruppen in den Krankenhäusern aus dem „DRG-* System“.
• Einbeziehung von mehr Krankenhausbelegschaften in die Auseinandersetzung um einen “Tarifvertrag Entlastung”.
• Durchführung von Volksbegehren zum Gesundheitssystem möglichst in allen Bundesländern.
• Durchsetzung einer gesetzlichen Personalbemessung, die eine qualitativ hochwertige Versorgung durch gut ausgebildete und gut bezahlte Pflegekräfte gewährleistet.
• Verhinderung der Repauschalisierung von Pflegekosten.
• Für eine bedarfsgerechte Versorgung mit Selbstkostendeckung.
• Gesellschaftliche Umverteilung von oben nach unten zur Widerherstellung einer öffentlichen „Daseinsvorsorge“ im Gesundheitsbereich.
In diesem Sinne sollen jetzt auch in der Region Rhein-Neckar gemeinsame Aktivitäten gegen den Pflegenotstand verstärkt werden.
Aus Avanti² Rhein-Neckar Dezember 2018