Gesund­heit als Ware … Wie krank ist das denn?”

T. S.

So hieß die Ver­an­stal­tung am 20. Novem­ber 2018 im Mann­hei­mer Gewerk­schafts­haus. Sie war vom Bünd­nis für mehr Per­so­nal im Gesund­heits­we­sen Rhein-Neckar orga­ni­siert und von DGB, ver.di und Über­be­trieb­li­chem Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee Rhein-Neckar unter­stützt wor­den.

Rund 60 Besu­che­rIn­nen muss­ten ihr Kom­men nicht bereu­en. Der Vor­trag von Dr. Nad­ja Rako­witz (Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te) führ­te fun­diert in das The­ma des Abends ein. Drei kur­ze ergän­zen­de Erfah­rungs­be­rich­te aus der Welt der Pfle­ge erleich­ter­ten das Ver­ständ­nis der kom­ple­xen Mate­rie.  Nad­ja Rako­witz leg­te auf infor­ma­ti­ve Wei­se dar, wie unse­re Gesund­heit für Pro­fit­in­ter­es­sen aufs Spiel gesetzt wird und was wir dage­gen tun können. 

Die jüngsten Beteiligten am Warnstreik des Uni-Klinikums Heidelberg, 25.01.2018 (Foto: Avanti²)

Die jüngs­ten Betei­lig­ten am Warn­streik des Uni-Kli­ni­kums Hei­del­berg, 25.01.2018 (Foto: Avanti²)

Begin­nend mit dem neo­li­be­ra­len Umbau der Gesell­schaft ab den 1970er Jah­ren sei – ins­be­son­de­re nach  1990 in den neu­en Bun­des­län­dern – eine Pri­va­ti­sie­rungs­wel­le los­ge­tre­ten wor­den. Durch die Agen­da-Poli­tik der „rot-grü­nen“ Bun­des­re­gie­rung und der nach­fol­gen­den Kabi­net­te, so Rako­witz, sei­en vor allem die Pro­fit­in­ter­es­sen von Kon­zer­nen bedient wor­den. Im Gesund- heits­we­sen und spe­zi­ell im Kran­ken­haus­be­reich habe dies zu einer mas­si­ven Ver­schlech­te­rung der Situa­ti­on geführt.

Die Ein­füh­rung des „DRG-Sys­tems“ (Sys­tem Dia­gno­se­be­zo­ge­ner Fall­grup­pen) in den Kran­ken­häu­sern habe zu Abrech­nun­gen geführt, die in kei­ner Wei­se mehr die Rea­li­tät abbil­den wür­den. Die­ses Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­tem für ein pau­scha­lier­tes Abrech­nungs­ver­fah­ren ord­net „Kran­ken­haus- fäl­le“ (Pati­en­tIn­nen) auf­grund medi­zi­ni­scher Daten „Fall­grup­pen“ zu. Der sys­te­ma­tisch orga­ni­sier­te Kos­ten­druck wür­de dazu füh­ren, dass sich zur Hei­lung erfor­der­li­che Behand­lun­gen nicht mehr „loh­nen“. Die Kos­ten der Kran­ken­häu­ser wür­den näm­lich von den Kran­ken­kas­sen oft nicht mehr in vol­lem Umfang übernommen.

Des­halb wür­den die Kran­ken­häu­ser ihrer­seits zum Bei­spiel über­durch­schnitt­lich vie­le Ope­ra­tio­nen befür­wor­ten. Die­se sind zu einem gro­ßen Teil unnö­tig oder sogar ris­kant. Den­noch wür­den sie – obwohl meis­tens teu­rer – von den Kran­ken­kas­sen kos­ten­mä­ßig über­nom­men. Das Nach­se­hen dabei hät­ten meis­tens die Pati­en­tIn­nen. Die ihnen zuge­mu­te­ten Behand­lun­gen wür­den sogar viel zu oft eher krank­heits- als gesund­heits­för­dernd wir­ken. Eine Pati­en­tIn mehr pro Pfle­ge­kraft (7 statt 6 Pati­en­tIn­nen) erhöht das Ster­be­ri­si­ko. Laut einer inter­na­tio­na­len Unter­su­chung (Aiken 2014) steigt dann die Rate der Todes­fäl­le im Kran­ken­haus selbst und bis 30 Tage nach der Ent­las­sung um 7 %.

Pro­fi­te vor Menschen?
Rako­witz zufol­ge ist es vor allem die Pro­fit­ori­en­tie­rung, die auch die Per­so­nal­po­li­tik im Pfle­ge­be­reich bestim­me. So kämen in Deutsch­land auf eine Pfle­ge­kraft 13 Pati­en­tIn­nen. In den meis­ten EU-Län­dern sehe es weni­ger schlecht aus. In Nor­we­gen sei­en es zum Bei­spiel nur 5,4 und selbst in Grie­chen­land 10,2 Pati­en­tIn­nen pro Pfle­ge­kraft. Die­ser unhalt­ba­re Zustand füh­re zu unzu­mut­ba­ren Belas­tun­gen sowohl für die Pati­en­tIn­nen als auch für die Pfle­ge­kräf­te. Des­halb sei es seit lan­gem extrem schwie­rig, neue Pfle­ge­kräf­te zu gewin­nen. Dies lie­ge nicht nur an der hohen arbeits­be­ding­ten Belas­tung, son­dern auch an der gerin­gen Bezah­lung die­ser Berufs­grup­pe. Hier sieht Rako­witz einen sofor­ti­gen Handlungsbedarf.

In dem jetzt von Gesund­heits­mi­nis­ter Spahn vor­ge­leg­ten „Pfle­ge­per­so­nal-Stär­kungs­ge­setz“ sei eine Refi­nan­zie­rung von Tarif­stei­ge­run­gen im Kran­ken­haus mit nach­weis­pflich­ti­gen Wirk­sam­keits­kon­trol­len ver­bun­den. Die Pfle­ge­per­so­nal­kos­ten wür­den bes­ser und unab­hän­gig von Fall­pau­scha­len ver­gü­tet wer­den. Für die Kran­ken­häu­ser wer­de ab 2020 jede zusätz­li­che und jede auf­ge­stock­te Pfle­ge­stel­le finanziert.

Pro­ble­ma­tisch sei aber, dass die­se Rege­lung nur für die Pfle­ge gel­ten sol­le und nicht für alle im Kran­ken­haus täti­gen KollegInnen.

Pro­ble­me gäbe es auch bei der Bemes­sung der Per­so­nal­un­ter­gren­ze durch die „Per­so­nal­un­ter­gren­zen-Ver­ord­nung“. Maß­stab müs­se statt­des­sen der Anspruch sowohl der Pati­en­tIn­nen auf eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Ver­sor­gung als auch der Beschäf­tig­ten auf einen wirk­sa­men Arbeits- und Gesund­heits­schutz sein.

Was tun?
Nad­ja Rako­witz schlug fol­gen­de Per­spek­ti­ven für den Kampf um ein Gesund­heits­we­sen vor, das den Pati­en­tIn­nen und nicht der Pro­fit­ma­xi­mie­rung dient:

• Her­aus­nah­me aller Berufs­grup­pen in den Kran­ken­häu­sern aus dem „DRG-* System“.
• Ein­be­zie­hung von mehr Kran­ken­haus­be­leg­schaf­ten in die Aus­ein­an­der­set­zung um einen “Tarif­ver­trag Entlastung”.
• Durch­füh­rung von Volks­be­geh­ren zum Gesund­heits­sys­tem mög­lichst in allen Bundesländern.
• Durch­set­zung einer gesetz­li­chen Per­so­nal­be­mes­sung, die eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Ver­sor­gung durch gut aus­ge­bil­de­te und gut bezahl­te Pfle­ge­kräf­te gewährleistet.
• Ver­hin­de­rung der Repau­scha­li­sie­rung von Pflegekosten.
• Für eine bedarfs­ge­rech­te Ver­sor­gung mit Selbstkostendeckung.
• Gesell­schaft­li­che Umver­tei­lung von oben nach unten zur Wider­her­stel­lung einer öffent­li­chen „Daseins­vor­sor­ge“ im Gesundheitsbereich.

In die­sem Sin­ne sol­len jetzt auch in der Regi­on Rhein-Neckar gemein­sa­me Akti­vi­tä­ten gegen den Pfle­ge­not­stand ver­stärkt werden.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Dezem­ber 2018

 

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