Gesund­heit statt Profit

Für wirk­sa­men Infek­ti­ons­schutz am Arbeitsplatz!

W. A.

Am 27. Janu­ar 2020 ist bei der Fir­ma Web­as­to die ers­te COVID-19-Infek­ti­on in Deutsch­land fest­ge­stellt wor­den. Das war ein Weck­ruf. Doch er ver­hall­te ungehört.

Nicht zuletzt des­we­gen ist die offi­zi­el­le „Coro­na-Poli­tik“ geschei­tert. Selbst die Kanz­le­rin soll am 24. Janu­ar 2021 laut Pres­se gesagt haben: „Uns ist das Ding entglitten.”

Pro­test des Kli­nik­per­so­nals in Saint-Denis am 11. Juni 2020 (Foto:Foto: Copy­right Pho­to­t­hè­que Rouge / JMB)

Gesund­heits­schutz als „Pro­fit­brem­se“?
Eine wesent­li­che Ursa­che für das „Ent­glei­ten“ ist in der Arbeits­welt zu fin­den. Denn Fir­men­lei­tun­gen ver­ste­hen sie zuneh­mend als rechts­frei­en Raum. Betriebs­rä­te, Gesund­heits­schutz und Gewerk­schaf­ten gel­ten dort immer mehr als „Pro­fit­brem­sen“.

Im Früh­jahr 2020 ris­sen pan­de­mie­be­dingt die glo­ba­len Lie­fer­ket­ten gro­ßer Indus­trie­be­trie­be ab. Dadurch ruh­ten in vie­len Fabri­ken die Fer­ti­gun­gen, was das Infek­ti­ons­ge­sche­hen wirk­sam einschränkte.
Statt jetzt end­lich das Unter­lau­fen des seit 1996 gel­ten­den Arbeits­schutz­ge­set­zes (ArbSchG) auf­zu­ge­ben, kün­dig­ten Kapi­tal­ver­bän­de 2020 einen ver­schärf­ten Klas­sen­kampf von oben an. Gesamt­me­tall etwa for­der­te sogar eine wei­te­re Aus­he­be­lung des gesetz­li­chen Gesund­heits­schut­zes im Betrieb.

Belie­big­keit beim Gesundheitsschutz?
Das ArbSchG ver­pflich­tet Unter­neh­men zwin­gend zu einem prä­ven­ti­ven Gesund­heits­schutz am Arbeits­platz. Dem­zu­fol­ge sind – von weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen – über­all ganz­heit­li­che Gefähr­dungs­be­ur­tei­lun­gen (GFB) durchzuführen.

Die­se GFB müs­sen vor allem Gefah­ren­quel­len auf­zei­gen, Gefähr­dun­gen besei­ti­gen bzw. mini­mie­ren und so Belas­tun­gen und Erkran­kun­gen vor­beu­gen. Alle Beschäf­tig­ten sind über den Gesund­heits- schutz umfas­send zu unter­wei­sen. Fest­ge­stell­te phy­si­sche und psy­chi­sche Gefähr­dun­gen sind fort­lau­fend zu dokumentieren.

Geset­zes­bruch ohne Fol­gen?
Die­se Gebo­te gel­ten sowohl für betrieb­li­che Arbeits­plät­ze als auch für das „Home­of­fice“. Jedoch wer­den sie nur in den sel­tens­ten Fäl­len umge­setzt. Es ist bezeich­nend, dass die­se fol­gen­schwe­re Miss­ach­tung in der „Öffent­lich­keit“ kaum dis­ku­tiert wird.

Arbei­ter 250 Meter über Königs Wus­ter­hau­sen – unge­si­chert, aber mit Min­dest­ab­stand (1925) {Foto:Gemeinfrei])

Nur dort, wo das ArbSchG – meist auf­grund akti­ver Betriebs­rä­te – ernst genom­men wird, kann ein wirk­sa­mer Infek­ti­ons­schutz sicher­ge­stellt wer­den. Denn dann wer­den durch kon­kre­te betrieb­li­che Fest­le­gun­gen nicht nur die AHA-L-Regeln ein­ge­hal­ten, son­dern es wird das ele­men­ta­re „TOP-Prin­zip“ des Gesund­heits­schut­zes ver­wirk­licht. Das bedeu­tet, dass in die­ser Rang­fol­ge tech­ni­sche (z. B. Trenn­wän­de), orga­ni­sa­to­ri­sche (z. B. ver­setz­te Arbeits­zei­ten) und per­sön­li­che Schutz­maß­nah­men (z. B. FFP2-Mas­ken) umge­setzt wer­den müs­sen. Dar­auf weist auch die aktu­el­le SARS-CoV-2-Arbeits­schutz­ver­ord­nung von Janu­ar 2021 hin, obwohl sie durch Lob­by­is­mus auf­ge­weicht wor­den ist.

Das anhal­ten­de Ver­sa­gen von Poli­tik, Behör­den, Unter­neh­mens- und Ein­rich­tungs­lei­tun­gen ist offen­sicht­lich. Betriebs­rä­te sind umso mehr gefor­dert, ihrer aus dem Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz resul­tie­ren­den Ver­ant­wor­tung für Gesund­heits­schutz am Arbeits­platz gerecht zu wer­den. Gewerk­schaf­ten müs­sen sie dabei kon­se­quent unterstützen.

Was tun?
Es bedarf eines gesell­schaft­li­chen Akti­ons­plans für die Arbeits­welt. Sei­ne wesent­li­chen Punk­te soll­ten sein: 
1. Die sys­te­ma­ti­sche (mut­ter­sprach­li­che) Auf­klä­rung über die Gefah­ren der Pan­de­mie, über wirk­sa­me Metho­den des Infek­ti­ons­schut­zes am Arbeits­platz sowie über die Rech­te und Pflich­ten von Beschäftigten. 
2. Die schnel­le Ent­wick­lung und kon­ti­nu­ier­li­che Umset­zung eines stan­dar­di­sier­ten, betrieb­lich zu kon­kre­ti­sie­ren­den Infek­ti­ons­schutz­plans – begin­nend in den Brenn­punk­ten der Pan­de­mie (Alten­hei­me, Flücht­lings­un­ter­künf­te, Han­dels- und Indus­trie­be­trie­be, Kitas, Kran­ken­häu­ser, Schulen …). 
3. Die betrieb­li­che und über­be­trieb­li­che Über­prü­fung des Infek­ti­ons­schut­zes nach dem TOP-Prin­zip an allen Arbeitsplätzen.
4. Die gesetz­li­che Pflicht, über­all Betriebs­rä­te und von den Beschäf­tig­ten kon­trol­lier­te Kom­mis­sio­nen für Infek­ti­ons­schutz zu bilden. 
5. Die wirk­sa­me poli­ti­sche und straf­recht­li­che Abwehr von Betriebs­rats­mob­bing und Gewerkschaftsbekämpfung.


* [Die­ser Arti­kel ist für die ers­te Aus­ga­be der Zei­tung Zero­Co­vid ver­fasst und für Avan­ti² leicht über­ar­bei­tet worden.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar März 2021
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