N. B.
Vor 150 Jahren machte sich die Pariser Kommune daran, die „endlich entdeckte politische Form“ (Marx) der direkten, selbstverwalteten Demokratie zu entwickeln. Anlass für uns, auf die Erfahrungen der Kommune – ihre Errungenschaften, aber auch ihre Fehler – zurückzublicken und sie mit unserer heutigen Situation in Beziehung zu setzen. Einen ganzen Nachmittag lang beschäftigten wir uns daher bei unserem ISO-Sommerseminar am 7. August mit der Pariser Kommune und ließen den Tag mit unserem Sommerfest ausklingen.
In einem ersten Block mit zwei Referaten und anschließender Diskussion befassten wir uns mit den Geschehnissen vor, während und nach der Pariser Kommune. Auf einen allgemeinen historischen Überblick folgte ein Referat über die Rolle der Frauen und ihrer Organisationen in der Kommune.
Die Bedingungen: Elend und Selbstorganisierung
Infolge der Industrialisierung und mehrerer Kriege (zuletzt des Deutsch-Französischen) lebte die Pariser arbeitende Klasse 1870/71 in elenden Verhältnissen. In den Stadtvierteln bildeten sich so in der Zeit der preußischen Belagerung soziale Versorgungsnetzwerke, die insbesondere von Frauen organisiert wurden. Sie sollten auch in der Zeit der Pariser Kommune eine tragende Rolle sowohl in der Sorge und der Versorgung als auch der direkten Verteidigung der Kommune spielen.
Einführung der direkten Demokratie
Als die französische Thiers-Regierung die Kanonen der Nationalgarde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion am 18. März 1871 entwenden wollte, erhoben sich die Pariser*innen. Die Nationalgarde übernahm die Macht, kündigte aber sogleich Wahlen für den 26. März an – mit allgemeinem Männer-Wahlrecht: Das war damals ein großer Fortschritt, obwohl Frauen weiterhin nicht teilnehmen durften.
Als wesentliches, herausstechendes Merkmal der direkten Demokratie der Pariser Kommune hob unser erster Referent hervor, dass die Gewählten rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar waren, sowie den durchschnittlichen Lohn eines Arbeiters erhielten. Im Gemeinderat (der Kommune) waren unterschiedliche politische Strömungen vertreten.
Infrastruktur der Frauen
Während die Frauen von den höchsten Ämtern ausgeschlossen blieben, spielten sie mit ihren Organisationen (insbesondere das Frauenkomitee des Wachsamkeitskomitees Montmartre und der Frauenbund) eine tragende Rolle in der Organisierung des alltäglichen Lebens, der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen, der Umgestaltung der Bildung, der Versorgung der Verwundeten und nicht zuletzt der Verteidigung der Kommune auf den Barrikaden.
Von kleinen und großen Veränderungen
Auf den Referaten aufbauend diskutierten die Teilnehmenden das Verhältnis von Veränderungen in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen wie der Bildung einerseits und revolutionären Umwälzungen der gesamten Gesellschaft andererseits. Dabei kristallisierte sich die Pariser Kommune als hervorragendes Beispiel dafür heraus, wie ein revolutionärer Umsturz, der die Organisierung des gesellschaftlichen Miteinanders in die Hände der arbeitenden Klassen gibt, sich umgehend auf alle gesellschaftlichen Bereiche auswirkt. In den 72 Tagen bis zu ihrer blutigen Niederschlagung durch die Herrschenden der alten und fortdauernden Ordnung unternahmen die arbeitenden Klassen in Paris enorme Schritte in Richtung der Emanzipation und Selbstorganisation der Arbeit, der Bildung, des Wohnens, der Sorge, um nur einige Bereiche zu nennen.
Damals und heute
Im zweiten Block unseres Sommerseminars zur Bedeutung der Pariser Kommune heute wurde besonders deutlich, dass sie uns immer noch eine wichtige politische Inspiration sein kann. Als Rätesystem war sie Vorbild aller späteren proletarischen Revolutionen. Wir diskutierten insbesondere, wie eine direkte sozialistische Demokratie mit einer „arbeitenden Körperschaft“ von Regierung und Gesetzgebung (Exekutive und Legislative) aussehen kann.
Das von den Teilnehmenden sehr positiv bewertete Seminar wurde lebendig gerahmt durch mehrere Kurzfilme und durch Musik. Abgerundet wurde es durch unser anschließendes Sommerfest, bei dem wir zu kühlen Getränken in frischer Sommerabendluft und warmen Speisen vom Grill die Diskussionen des Seminars und des (politischen) Lebens in lockerer Atmosphäre weiterführen konnten.