Kampf gegen Faschis­mus und Reaktion

 

Hans-Jür­gen Schulz


Redak­tio­nel­le Vorbemerkung 

Den fol­gen­den Text ent­neh­men wir – in gekürz­ter Fas­sung – den Vor­be­mer­kun­gen des von unse­rem Genos­sen Hans-Jür­gen Schulz (1933-1998) her­aus­ge­ge­be­nen Buchs Sie sind wie­der da! (Faschis­mus und Reak­ti­on in Euro­pa, Frank­furt am Main [isp-Ver­lag] 1990).

Die dar­in for­mu­lier­ten Über­le­gun­gen, vom Autor als „ers­ter Bei­trag“ bezeich­net, reflek­tie­ren not­wen­di­ger­wei­se die dama­li­ge Situa­ti­on. Die heu­te grund­le­gen­den Fra­gen des Kampfs gegen die wach­sen­de faschis­ti­sche Gefahr kön­nen aber ohne Kennt­nis der dama­li­gen Debat­ten und Erfah­run­gen nicht ernst­haft beant­wor­tet werden.

Wir haben die dama­li­ge Schreib- und Aus­druck­wei­se bei­be­hal­ten, offen­sicht­li­che Feh­ler kor­ri­giert, weni­ge knap­pe Erläu­te­run­gen und Zwi­schen­über­schrif­ten eingefügt.

H. N., 25. Mai 2025


Hans-Jürgen Schulz. (Foto: Privat.)

Hans-Jür­gen Schulz. (Foto: Privat.)

Die Gefahr für die bür­ger­li­che Demo­kra­tie ist heu­te viel grö­ßer als Ende der sech­zi­ger Jah­re, als nach drei Jah­ren über­ra­schen­der Erfol­ge die NPD noch schnel­ler zer­fiel als sie auf­ge­stie­gen war. Die in die­ser Gesell­schaft durch Dau­er­ar­beits­lo­sig­keit, Lohn- und Sozi­al­ab­bau aus­ge­lös­ten Span­nun­gen sind viel schär­fer als zwei Jahr­zehn­te zuvor. Den eta­blier­ten Kräf­ten wird kei­ne Lösung der Pro­ble­me und den sozia­lis­ti­schen kei­ne glaub­haf­te Alter­na­ti­ve mehr zugetraut.

Bis­her exis­tier­te ein libe­ra­ler Grund­kon­sens aller eta­blier­ten Par­tei­en und Ver­bän­de, der miss­ver­ständ­lich als anti­fa­schis­tisch bezeich­net wird. Ihr poli­ti­sches Ein­ver­ständ­nis bis zu den Kon­ser­va­ti­ven ist bes­ten­falls nicht­fa­schis­tisch und bür­ger­lich demokratisch. […]

Dar­an hat man sich jahr­zehn­te­lang gehal­ten. Das Ver­bot einer Kol­la­bo­ra­ti­on wur­de frei­lich nie auf die Pro­be gestellt, weil die extre­me Rech­te par­la­men­ta­risch fast nicht exis­tier­te und gesell­schaft­lich nir­gend­wo wirk­lich ver­an­kert war, dar­um auch nicht beach­tet wer­den musste.

Die­ser nicht­fa­schis­ti­sche Grund­kon­sens wank­te, als sich die Repu­bli­ka­ner [1983 gegrün­de­te rech­te Par­tei] par­la­men­ta­risch durch­zu­set­zen began­nen. Sofort wur­de argu­men­tiert, sie sei­en kei­ne Faschis­ten – was rich­tig ist. Dar­aus wur­de still­schwei­gend gefol­gert, sie müss­ten Demo­kra­ten sein – was ein­deu­tig falsch ist. Es hieß, sie sei­en zu vie­le, um sie noch aus­gren­zen zu kön­nen. Die Christ­de­mo­kra­ten ver­bo­ten nur zögernd eine Zusam­men­ar­beit, und es bleibt abzu­war­ten, wie lan­ge das gilt. Die Sozi­al­de­mo­kra­ten freu­ten sich eher über die Schwä­chung der Kon­ser­va­ti­ven, als daß sie den Kampf gegen die Repu­bli­ka­ner auf­nah­men. Und die Gewerk­schaf­ten mit ihrer jahr­zehn­te­lan­gen Tra­di­ti­on von Aus­schlüs­sen gegen Kom­mu­nis­ten lehn­ten Unver­ein­bar­keits­be­schlüs­se ab.

Not­wen­dig­keit eige­ner Initiativen
Wie schon beim Wider­stand gegen Atom­rüs­tung und Atom­kraft, beim Kampf zum Schut­ze der Umwelt und zur Siche­rung des Frie­dens bewie­sen die eta­blier­ten Orga­ni­sa­tio­nen, daß Bewe­gun­gen nur gegen oder bes­ten­falls ohne sie auf­ge­baut wer­den kön­nen. Wenn nun der Auf­bau einer Bewe­gung gegen Faschis­mus und Reak­ti­on auf der Tages­ord­nung steht, wird das nicht anders sein. Dar­um gilt es, auf eige­ne Initia­ti­ven zu bau­en und der eige­nen Kraft zu ver­trau­en. Geschieht das nicht, dann wird auch nichts passieren.

Die Dis­kus­si­on dar­über, mit wel­chen Zie­len und For­de­run­gen ange­tre­ten wird, muss noch geführt wer­den. Hier kann nicht mehr als ein ers­ter Bei­trag geleis­tet werden.

Noch haben die alten und neu­en Rech­ten sich als star­ke Kraft poli­tisch und orga­ni­sa­to­risch nicht fes­ti­gen kön­nen. Aber sie nut­zen das weit ver­brei­te­te reak­tio­nä­re Bewusst­sein und haben damit das Wahl­ver­hal­ten ändern kön­nen. Noch schre­cken die meis­ten Gesin­nungs­fa­schis­ten vor dem Akti­ons­fa- schis­mus zurück. Dar­um gelang kein Auf­bau poli­ti­scher Bewe­gun­gen auf Mas­sen­ba­sis, nicht ein­mal Initia­ti­ven zur „Aus­län­der­rück­füh­rung“. Bis­her blie­ben alle Orga­ni­sa­tio­nen schwach und, bis auf die NPD, auch insta­bil. Mit den Erfol­gen der Repu­bli­ka­ner beginnt sich das zu ändern. Wenn die­se Kräf­te poli­tisch geschla­gen und wie­der bedeu­tungs­los wer­den sol­len, dann muss bald mit der Arbeit begon­nen werden.

Vor­be­din­gun­gen erfolg­rei­cher Bekämp­fung ist die genaue Kennt­nis des Fein­des. Gut ana­ly­siert ist die ideo­lo­gi­sche Ent­wick­lung, die Agi­ta­ti­on und der Stand der Orga­ni­sa­tio­nen, wäh­rend über deren inne­res Funk­tio­nie­ren, die Zusam­men­set- zung und Tätig­keit der Mit­glied­schaft und Wäh­ler­schaft oder ihre Moti­ve, über die aktu­el­le Poli­tik und stra­te­gi­schen Pla­nun­gen rela­tiv wenig bekannt ist und die Akti­ons­pla­nun­gen meist ver­bor­gen blei­ben. Völ­lig unzu­rei­chend auf­ge­deckt sind zudem die Finan­zie­rung, die poli­ti­schen Ver­bin­dun­gen zu kon­ser­va­ti­ven Kräf­ten und mög­li­che gehei­me Mit­glied­schaf­ten oder Infil­tra­tio­nen in ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen und im Staats­ap­pa­rat. Zwar lässt sich grund­sätz­lich kon­spi­ra­ti­ve Zusam­men­ar­beit zwi­schen Faschis­ten und Geheim­diens­ten mit den Mit­teln poli­ti­scher Arbeit nicht auf­klä­ren. Doch die poli­ti­sche Infil­tra­ti­on von Faschis­ten und noch mehr von Reak­tio­nä­ren in kon- ser­va­ti­ven Par­tei­en – wie in Frank­reich oder in Eng­land – wäre zu ermit­teln. Schwie­ri­ger, aber nicht unmög­lich ist es, die Beset­zung staat­li­cher Schalt­stel­len und Repres­si­ons­or­ga­ne fest­zu­stel­len. Eben­so ist Wach­sam­keit gegen das Ein­drin­gen in lin­ke Grup­pen gebo­ten. Das wur­de frü­her bei den Grü­nen oder öko­lo­gi­schen Basis­in­itia­ti­ven ver­sucht. Ähn­li­ches unter­nahm die bri­ti­sche NF [Natio­nal Front].

Gegen­wär­tig wer­den von anti­fa­schis­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen die zugäng­li­chen Mate­ria­li­en sorg­fäl­tig aus­ge­wer­tet und vie­le Aktio­nen beob­ach­tet. Damit wird sich die all­ge­mei­ne Kennt­nis lang­fris­tig wesent­lich ver­bes­sern. Inter­ne Infor­ma­tio­nen las­sen sich meist, wenn noch nicht aus­schließ­lich, frei­lich nur durch zumin­dest zeit­wei­se Mit­ar­beit in sol­chen Orga­ni­sa­tio­nen erlan­gen, wie Anna Tris­tan es in der fran­zö­si­schen FN [Front Natio­nal] erprob­te. Wenn sie über­haupt mög­lich ist, wird sie nur bemer­kens­wer­te Aus­nah­me blei­ben. Gele­gent­li­che Beu­te­zü­ge wie die des „MAK“ (Mili­tan­tes Anti­fa­schis­ti­sches Kom­man­do) dürf­ten noch sel­te­ner sein, zumal sie ohne soli­de Kennt­nis aller Umstän­de völ­lig unmög­lich sind.

Auf­klä­rung über Ver­bre­chen des Faschismus
Die Erar­bei­tung sol­cher Infor­ma­tio­nen ist nötig, um eine ziel­ge­rich­te­te Tak­tik und eine ent­spre­chen­de Poli­tik ent­wi­ckeln zu kön­nen. Unab­hän­gig davon bleibt eine Grund­la­ge der anti­fa­schis­ti­schen Arbeit die nim­mer­mü­de Auf­klä­rung über die Ver­bre­chen des deut­schen Faschis­mus aber auch die ande­rer Bewe­gun­gen die­ser Art und die Auf­klä­rung über ihre gegen­wär­ti­gen Theo­rien und Pro­gram­me. Zwar wer­den durch Infor­ma­tio­nen über die Geschich­te weder Faschis­ten noch Kon- ser­va­ti­ve über­zeugt, aber die nach­wach­sen­de Gene­ra­ti­on wird erzo­gen und – was sehr wich­tig ist – vie­le für ein anti­fa­schis­ti­sches Enga­ge­ment moti­viert. Auch wird die Reha­bi­li­tie­rung der Ver­bre­cher ver­hin­dert. Denn anders als die Erben Sta­lins sind schon die Kon­ser­va­ti­ven und erst recht offe­ne Reak­tio­nä­re oder Faschis­ten an der Ver­klä­rung und nicht an der Auf­klä­rung [der Ver­bre­chen des Faschis­mus] interessiert.

Dar­um beschäf­tigt sich eine gan­ze His­to­ri­ker­schu­le in der BRD nicht mit der Ermitt­lung und Erklä­rung der Ver­bre­chen, son­dern mit der Baga­tel­li­sie­rung und Rechtfertigung.

Durch Ver­brei­tung der geschicht­li­chen Wahr­heit wer­den jene in die Defen­si­ve gedrängt, die Kol­la­bo­ra­teu­re und Täter, deren Vor­bil­der und Erb­las­ser ver­tei­di­gen – die deut­sche Wehr­macht, die Finanz­ka­pi­ta­lis­ten, den Staats­ap­pa­rat und das ehr­ba­re Bür- ger­tum. Die­se Auf­klä­rung unter­gräbt jede mora­li­sche Glaub­wür­dig­keit aller Rech­ten, die dar­um nicht zufäl­lig Ehren­er­klä­run­gen für Ver­bre­cher for­dern oder die Dis­kus­si­on über die­se Fra­ge ver­mei­den wol­len. Durch Popu­la­ri­sie­rung des wirk­li­chen Wider­stan­des könn­te zudem die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Opfern und anti­fa­schis­ti­sches Enga­ge­ment heu­te geför­dert werden.

Medi­en und Schu­len infor­mie­ren, aber sie klä­ren nicht auf. Sie ver­schwei­gen meist den eigent­lich ver­brei­te­ten, näm­lich den kom­mu­nis­ti­schen Wider­stand und idea­li­sie­ren den des 20. Juli [1944], obwohl des­sen trei­ben­de Kräf­te fast alle zumin­dest Kol­la­bo­ra­teu­re der Nazis waren und Zie­le ver­tra­ten, die heu­te nicht ein­mal die Repu­bli­ka­ner wagen öffent­lich zu ver­brei­ten. Aus­ge­klam­mert wer­den auch die Ver­bre­chen der Wehr­macht, ins­be­son­de­re wenn sie in der Sowjet­uni­on ver­übt wur­den. Der deut­sche Faschis­mus erscheint dar­um als ein unver­ständ­li­ches Unglück, dass nicht erklärt und oft genug mit wenig über­zeu­gen­der Mora­li­tät ver­ur­teilt wird. Dar­um ist es not­wen­dig, ihn aus sei­nen gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen und die Taten aus dem Pro­gramm und der Ideo­lo­gie her­aus ver­ständ­lich zu machen.

Wird von Pro­vo­ka­tio­nen wie der „His­to­riker­de­bat­te“ [1986/87] abge­se­hen, dann wird reak­tio­nä­res Den­ken in Wahr­heit sel­ten bekämpft. Das gilt noch mehr für den moder­nen Anti­se­mi­tis­mus, näm­lich die Aus­län­der­feind­lich­keit, die gedul­det, viel­leicht beklagt, aber doch hin­ge­nom­men oder nur mora­lisch ver­ur­teilt wird. Dabei ist sie das wich­tigs­te Mit­tel reak­tio­nä­rer Bewusst­seins­ver­än­de­run­gen und die Ein­bruchs­stel­le faschis­ti­scher Agi­ta­ti­on. Nicht ein­mal die Gewerk­schafts­pres­se nimmt das wirk­lich ernst, obwohl gera­de in den Betrie­ben das Pro­blem unüber­hör­bar und unüber­seh­bar ist. Wenn es nicht gelingt, die eigent­li­chen Ursa­chen der Kri­se der Gesell­schaft zu erklä­ren, dann wer­den Losun­gen wie „die Aus­län­der sind an allem schuld“ und „Aus­län­der raus“ eine Lawi­ne aus­lö­sen, die jede Frei­heit über­rol­len wird. Gegen­wär­tig ist noch nicht ein­mal die Ein­sicht in die­se Gefahr wirk­lich ver­brei­tet, geschwei­ge denn daß Kon­se­quen­zen gezo­gen würden.

Wel­che poli­ti­sche Gegenwehr?
So blei­ben Auf­klä­rung und Aus­ein­an­der­set­zung mit faschis­ti­schen und reak­tio­nä­ren Ideen eine bis­her weit­ge­hend unbe­wäl­tig­te Auf­ga­be, wäh­rend der anti­fa­schis­ti­sche Kampf die Sache weni­ger bleibt – und die meis­ten sich auf gele­gent­li­che Pro­tes­te beschrän­ken. Die sind sicher not­wen­dig, weil sie zumin­dest das Pro­blem auf­wer­fen, mit geeig­ne­ten Losun­gen auch Be- wusst­sein schaf­fen und viel­leicht man­che dau­er­haft akti­vie­ren. Sol­che Aktio­nen haben bis vor kur­zem auch die Ver­an­stal­tun­gen von Faschis­ten zumin­dest erschwert und öffent­li­che Agi­ta­ti­on wie über Info­ti­sche oft ver­hin­dert. Dar­um erfol­gen vie­le Pla­nun­gen der Faschis­ten ver­trau­lich und man­ches ist nur unter mas­si­vem Poli­zei­schutz möglich.

Trotz­dem blei­ben sol­che Aktio­nen wei­ter sinn­voll, auch wenn durch sie nicht sehr viel wirk­lich ver­hin­dert wer­den kann. Sie haben Signal­wir­kung und Gesin­nungs­fa­schis­ten wer­den abge­schreckt. Doch sind brei­te­re Mobi­li­sie­run­gen nur rela­tiv sel­ten mög­lich. Sie kön­nen auch nur so lan­ge Erfolg haben, wie Faschis­ten noch zu schwach blei­ben, um die Pro­tes­tie­ren­den wirk­sam angrei­fen zu kön­nen. Gegen Pro­pa­gan­da bei Wah­len wie Wahl­spots, Inse­ra­te oder Post­wurf­sen­dun­gen und über Zeit­schrif­ten oder Bücher greift dies ohne­hin nicht.

Ande­rer­seits kommt es häu­fi­ger zu Über­fäl­len und Schlä­ge­rei­en von Faschis­ten, zu Angrif­fen auf Ver­an­stal­tun­gen und Ein­rich­tun­gen wie mona­te­lang nach Bun­des­li­ga­spie­len in Ham- burg auf die Hafen­stra­ße [ein Zen­trum der lin­ken Sze­ne]. Unter sol­chen Bedin­gun­gen wird die Fähig­keit zur Selbst­ver­tei­di­gung zwin­gen­de Not­wen­dig­keit, so wie sie am Hafen in eini­gen Stadt­tei­len zumin­dest zeit­wei­se auch prak­ti­ziert wur­de. Das ist nur bei kör­per­li­chem Trai­ning und Orga­ni­sie­rung von Grup­pen mög­lich, weil nur gemein­sa­me Abwehr sinn­voll ist. Bedin­gung dafür ist poli­ti­sche Ein­sicht und Ver­ant­wor­tungs­be­wußt- sein, weil anti­fa­schis­ti­sche Schlä­ger­grup­pen mehr scha­den als nüt­zen würden.

Die poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Faschis­ten und Reak­tio­nä­ren wol­len vie­le mit einem Ver­bot lösen. Tei­le der Sozi­al­de­mo­kra­tie und der Gewerk­schaf­ten (12. DGB-Bun­des­kon- greß 1982 und ver­schie­de­ne Ein­zel­ge­werk­schaf­ten) begrün­den das mit den offen­kun­dig anti­de­mo­kra­ti­schen Zie­len (Arti­kel 21[2] des Grund­ge­set­zes). Doch wur­de mit die­ser Recht- fer­ti­gung einst die KPD ver­bo­ten, und lin­ke Orga­ni­sa­tio­nen wer­den noch immer obser­viert. Dar­um argu­men­tie­ren vie­le mit dem alli­ier­ten Ver­bot, das als Rechts­grund­la­ge in das Grund­ge­setz auf­ge­nom­men wur­de (Arti­kel 139). Das bezieht sich auf das Kon­troll­rats­ge­setz Nr. 2, durch das NSDAP, SA und SS sowie Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­tio­nen ver­bo­ten wurden.

Die west­li­che „alli­ier­te hohe Kom­mis­si­on“ hat das übri­gens 1949 ein­sei­tig außer Kraft gesetzt. Dar­aus mag den­noch for­ma­les Recht, nicht aber ein anti­fa­schis­ti­scher Cha­rak­ter des Grund­ge­set­zes abge­lei­tet wer­den. Denn das wur­de auf Anwei­sung der west­li­chen Besat­zungs­mäch­te als bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­sche Ver­fas­sung von Leu­ten beschlos­sen, die in ihrer über- gro­ßen Mehr­heit mit den Nazis kol­la­bo­riert, zumin­dest aber nie Wider­stand geleis­tet hat­ten, die dar­um auch die Nazi­be­am­ten wie­der in den Staats­dienst über­nah­men oder mit vol­len Bezü­gen pen­sio­nier­ten (Arti­kel 131), nicht aber wenigs­tens eine mate­ri­el­le Ent­schä­di­gung der Män­ner und Frau­en des Wider­stands regelten.

Die Ver­bots­for­de­rung kann guten Gewis­sens nur erhe­ben, wer den bür­ger­li­chen Staat für eine über den Klas­sen und deren Inter­es­sen ste­hen­de neu­tra­le Ein­rich­tung der Selbst­be­stim­mung eines Vol­kes und nicht für ein Instru­ment zur Ver­tei­di­gung der bestehen­den Ord­nung hält, die not­falls mit jedem Mit­tel ver­tei­digt wird. Da Faschis­ten und ande­re Reak­tio­nä­re offen und getarnt einen auto­ri­tä­ren oder tota­li­tä­ren Staat anstre­ben, könn­ten sie nach der bestehen­den Rechts­la­ge in fast jedem euro­päi­schen Staat ver­bo­ten wer­den. Das ist oft in der Ver­fas­sung (Arti­kel 49 in Ita­li­en, Arti­kel 29 in Grie­chen­land, Arti­kel 6 in Spa­ni­en) oder ähn­li­chen Nor­men (Arti­kel 9 des öster­rei­chi­schen Staats­ver­tra­ges, fin­ni­scher Frie­dens­ver­trag mit der Sowjet­uni­on) gere­gelt. Über­dies ist Ras­sis­mus durch die euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ver­bo­ten, die alle Staa­ten ver­pflich­tet, das auch gesetz­lich durchzusetzen.

Bedeu­tung einer breit ange­leg­ten Strategie
Den­noch wer­den Faschis­ten über­all gedul­det. Ledig­lich Ter­ror­ban­den wer­den, wenn auch nicht immer, wegen Stö­rung der all­ge­mei­nen Sicher­heit ver­folgt. Wer­den aus Grün­den der poli­ti­schen Oppor­tu­ni­tät ein­mal ande­re Orga­ni­sa­tio­nen ver­bo­ten, weil sie etwa dem west­deut­schen Anse­hen im Aus­land scha­den, dann kön­nen sie sich fast unbe­hin­dert neu orga­ni­sie­ren. Die Ver­bots­ge­schich­te der west­deut­schen Nazis, nicht nur um [Micha­el] Küh­nen, ist dafür ein Beleg. Solch ein Ver­bot kann nach aller Erfah­rung weder durch Mobi­li­sie­rung noch sons­ti­gen Druck dem Staat abge­trotzt wer­den. Dar­um ist die Ver­bots­for­de­rung gegen­über dem bür­ger­li­chen Staat Aus­druck erstaun­li­cher Illu­sio­nen, aber auch der Hilf- und Rat­lo­sig­keit gegen­über der Fra­ge, wie der Faschis­mus poli­tisch bekämpft wer­den könnte.

Absurd wird die­se For­de­rung bei den „Repu­bli­ka­nern“. Deren Mit­glie­der oder Sym­pa­thi­san­ten im Staats­ap­pa­rat müss­ten die­ses Ver­bot aus­füh­ren. Unklar bleibt bei den For­dern­den über­dies, was sonst noch alles ver­bo­ten wer­den soll – neben Orga­ni­sa­tio­nen auch Zeit­schrif­ten und Bücher. Wer soll das über­wa­chen und damit betraut wer­den – etwa wie­der die bekann­ten ver­trau­ens­wür­di­gen Staats­or­ga­ne? Damit ist nicht gesagt, die Lega­li­tät von Faschis­ten soll­te von Demo­kra­ten ver­tei­digt, gegen Het­ze oder Gewalt nicht vor­ge­gan­gen wer­den. Aber gene­rel­le Ver­bo­te lösen das Pro­blem nicht.

Wich­ti­ger als eine Ver­bots­for­de­rung ist eine breit ange­leg­te Stra­te­gie. Die Repu­bli­ka­ner als reak­tio­nä­re Wahl­par­tei set­zen dar­auf, den Staats­ap­pa­rat poli­tisch zu gewin­nen und ihre eige­nen Zie­le mit des­sen Macht durch­zu­set­zen. Das kann nur bekämpft wer­den, indem Mas­sen­be­wusst­sein und mög­lichst eine Mas­sen­be­we­gung gegen Repres­si­on und Mili­ta­ris­mus auf­ge­baut wird. Die für den Staats­streich vor­ge­se­he­nen Instru­men­te, die Macht­or­ga­ne des Staa­tes, müs­sen mög­lichst neu- tra­li­siert werden.

Statt jähr­lich den Wehr­dienst zu Zehn­tau­sen­den zu ver­wei­gern, soll­ten jun­ge Män­ner in die Bun­des­wehr gehen – nicht allein und iso­liert, son­dern orga­ni­siert und um dort Sol­da­ten­ge­werk­schaf­ten zu bil­den. Wer selbst­si­cher und stark genug ist, soll­te auch zur Poli­zei und deren Gewerk­schaft gehen. Das muss ohne jede Illu­si­on erfol­gen. Zumin­dest ist mit den dort vor­han­de­nen kri­ti­schen Kräf­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten. Auch wenn das alles mas­sen­haft geschieht, wer­den Bun­des­wehr und Poli­zei nicht geän­dert wer­den kön­nen. Aber demo­kra­ti­sche Bewe­gun­gen wis­sen dann wenigs­tens, was im Macht­ap­pa­rat gedacht, geplant, geübt und getan wird, und der wird viel­leicht in Tei­len kein zuver­läs­si­ges Instru­ment des Put­sches oder Staats­strei­ches mehr sein.

Obwohl welt­weit seit Jahr­zehn­ten Dik­ta­tu­ren aus­schließ­lich durch das Mili­tär, allen­falls unter Mit­hil­fe faschis­ti­scher Grup­pen – wie 1965 in Indo­ne­si­en, 1973 in Chi­le oder der Are­na in El Sal­va­dor – getra­gen wer­den, das selbst in Euro­pa mehr­fach so war, wird es in der Bun­des­re­pu­blik ver­drängt und fast alle poli­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen haben die anti­mi­li­ta­ris­ti­sche Arbeit ein­ge­stellt. Obwohl in jedem Jahr auf die­ser Erde mehr­fach bewie­sen wird, daß sich mit der Macht der Geweh­re fast jede wider­spens­ti­ge Mehr­heit unter­drü­cken lässt und selbst Mas­sen­ver­wei­ge­rung nichts als Mas­sen­flucht ist, muss die­se Ein­sicht erst auf­ge­nom­men sein, ehe etwas ver­än­dert wer­den kann.
Sol­che For­de­run­gen gehen heu­te sicher völ­lig am Bewusst­seins­stand der Betrof­fe­nen, aber auch genau­so an dem der Anti­fa­schis­ten vor­bei. Inso­fern sind sie irre­al und wer­den kei­ne unmit­tel­ba­ren Kon­se­quen­zen haben. Aber sie soll­ten zumin­dest dis­ku­tiert und von weni­gen bei­spiel­haft in die Pra­xis um- gesetzt wer­den. Auf Dau­er wird eine demo­kra­ti­sche Bewe­gung jedoch die­se Auf­ga­ben in Angriff neh­men müssen.

Auf­bau einer brei­ten Bewe­gung gegen Rechts
Dies sind Über­le­gun­gen zur Vor­be­rei­tung für den Ernst­fall. Wich­tigs­tes Instru­ment gegen Faschis­mus und Reak­ti­on heu­te ist der Auf­bau einer brei­ten Bewe­gung von Initia­ti­ven gegen Faschis­mus, Reak­ti­on und Ras­sis­mus, die in Orten und Stadt­tei­len, mög­lichst auch in Betrie­ben auf­ge­baut wer­den müss­ten. Dar­in soll­ten alle Orga­ni­sier­ten und Unor­ga­ni­sier­ten mit­ar­bei­ten kön­nen, die jeweils ihre eige­nen poli­ti­schen Auf­fas­sun­gen wei­ter ver­tre­ten könn­ten. In sol­chen Initia­ti­ven wür­den die Betei­lig­ten eher als in eta­blier­ten Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten eigen­stän­di­ge, poli­ti­sche und orga­ni­sa­to­ri­sche Erfah­run­gen sam­meln, denn sie sind oft eine Ein­übung in anti­au­to­ri­tä­rer poli­ti­scher Arbeit.

Sol­che Initia­ti­ven kön­nen auf­klä­ren und demo­kra­ti­sches Bewusst­sein ver­brei­ten, faschis­ti­sche und reak­tio­nä­re Orga­ni­sa­tio­nen poli­tisch bekämp­fen, gegen ihre Wer­bung und Ver­an­stal­tun­gen antre­ten und den Wider­stand gegen Schlä­ger- ban­den orga­ni­sie­ren. Zusam­men mit Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten kann auf die­se Wei­se eine poli­ti­sche Offen­si­ve zur Ver­än­de­rung des Bewusst­seins gestar­tet werden.

Sie muss dort anset­zen, wo die Ein­bruchs­stel­le der reak­tio­nä­ren Agi­ta­ti­on liegt – bei Aus­län­der­feind­lich­keit und Ras­sis­mus, der heu­ti­gen Form des Anti­se­mi­tis­mus. Es gibt kei­nen Grund, das zu dul­den und auch kei­nen, den Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­dern die Men­schen­rech­te zu ver­wei­gern, das heißt die poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Gleich­be­rech­ti­gung. Die­se Arbeit muss im Stadt­teil und vor allem im Betrieb und über die Publi­ka­tio­nen der Gewerk­schaf­ten erfolgen.

Eine Offen­si­ve gegen Faschis­mus und Reak­ti­on kann auf Dau­er viel­leicht den Ein­fluss die­ser Kräf­te ein­gren­zen, aber nicht bre­chen. Es ist nicht mit dem Hin­weis getan, Faschis­mus bedeu­tet die Ein­rich­tung von KZ. Es ist viel­mehr die Ein­sicht zu ver­mit­teln, daß Arbeits­lo­sig­keit, Woh­nungs­not und Rück­gang der rea­len Ein­kom­men nicht Schuld der macht­lo­sen und aus­ge­beu­te­ten tür­ki­schen Kol­le­gin­nen oder kur­di­schen Kol­le­gen sind, son­dern der Ent­schei­dun­gen der Bos­se gro­ßer Kon­zer­ne und ihrer Politiker.

Wenn nicht mas­sen­haft kri­ti­sches Bewusst­sein und befrei­en­de poli­ti­sche Arbeit ent­wi­ckelt wer­den kön­nen, und wenn nicht sehr vie­le die Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit erfaßt, die gesell­schaft­li­chen Ursa­chen von Faschis­mus und Mili­tär­dik­ta­tu­ren ein für alle Mal zu besei­ti­gen, indem eine von Räten selbst ver­wal­te­te sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft erkämpft wird – dann wird die Gefahr des Faschis­mus immer wie­der her­auf­zie­hen. Dann wird der Anti­fa­schis­mus eine ewig unge­lös­te Auf­ga­be bleiben.

Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Juni 2025
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