„Staatsräson“ statt Menschenrechte?
U. D.
Am 7. Oktober 2023 – fast genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg – griff die Hamas mit Raketen Israel an. Zeitgleich überfielen an die 1.500 Kämpfer des Hamas und von Al Dschihad Israel, ermordeten brutal rund 1.500 Menschen und verschleppten etwa 200 weitere als Geiseln.
Opfer dieses menschenverachtenden Überfalls wurden ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter überwiegend Zivilist:innen, darunter kleine Kinder. Diese barbarische Tat darf nicht als „Kollateralschaden“ eines berechtigten Widerstands relativiert werden. Sie ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch nicht durch die jahrzehntelange Besatzungspolitik Israels.
Mit dieser Tat eröffnete die Hamas-Führung einen weiteren, blutigen und sinnlosen Krieg im Nahen Osten. Dabei kalkulierte sie den militärischen Gegenschlag Israels mit ein und nahm bewusst eine große Zahl von zivilen Opfern in Gaza in Kauf.
Israels blutiger Gegenschlag
Die Antwort Israels war vorhersehbar und folgte der Gewaltlogik der Hamas. Mit Artillerie, Raketen, Drohnen, Kampfjets und Bodentruppen griff es Gaza an. Dabei wendet die israelische Armee nach wie vor die Dahiya-Doktrin an, die keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt.
Zudem erschwert oder verhindert Israel in Gaza sogar humanitäre Hilfe, zerstört die Infrastruktur, nimmt mehr als zwei Millionen Menschen in kollektive Geiselhaft und damit eine huma- nitäre Katastrophe in Kauf.
Aus dem Recht Israels sich zu verteidigen, wurde längst ein Rache- und Vertreibungsfeldzug gegen die Palästinenser in Gaza. Bereits jetzt sind mehr als 8.500 Palästinenser:innen – darunter mehrere Tausend Kinder – ums Leben gekommen. Auch dafür gibt es keine Rechtfertigung.
Menschenrechte statt „Staatsräson“
Menschenrechte sind unteilbar und universell. Sie gelten für palästinensische wie für israelische Menschen gleichermaßen. Daher muss Solidarität und Anteilnahme für alle Opfer und deren Angehörige gelten, sowohl in Israel wie auch in Gaza.
Eine uneingeschränkte Solidarität wie sie von der Bundesregierung gegenüber Israel formuliert und zur „Staatsräson“ erklärt wurde, ist falsch und wird der komplizierten Situation im Nahen Osten ebenso wenig gerecht wie eine uneingeschränkte Solidarität mit der Hamas.
Einseitige und unkritische „Solidarität“ bietet keinen Ausweg aus der Spirale der Gewalt im Nahen Osten und wird nur zu neuen Opfern und neuem Leid führen.
Spiel mit dem rechten Feuer
Im Einklang mit der „westlichen Wertegemeinschaft“ setzen die Ampelparteien ihre einseitige Solidarität mit Israel um. Applaus und tatkräftige Hilfe erhalten sie von CDU/CSU und der rassistischen und in weiten Teilen antisemitischen AfD.
Dabei wird versucht, jegliche Solidarität mit den Palästinenser:innen zu unterdrücken und als Terrorunterstützung zu kriminalisieren. Jegliche Israel-Kritik wird als antisemitisch diffa- miert. Die mit dieser „offiziellen Politik“ verbundenen Angriffe und Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit stellen einen massiven Angriff auf demokratische Grundrechte dar.
Darüber hinaus wird der Hamas-Angriff politisch genutzt, um eine anti-arabische Stimmung anzuheizen und Fliehende aus arabischen Ländern unter einen terroristischen Generalverdacht zu stellen. Damit soll eine weitere Aushöhlung des Asylrechts „demokratisch“ begründet und durchgesetzt werden.
Die sogenannte „bürgerliche Mitte“ bedient sich hierbei rassistischer Parolen der extremen Rechten, um letztendlich eine von AfD & Co. geforderte Politik umzusetzen. So wird die bedrohliche Rechtsentwicklung nicht gestoppt, sondern beschleunigt.
Unsere Perspektive
Wir unterstützen all jene, die im Nahen Osten für Frieden und Solidarität eintreten; die eine Gesellschaft wollen, die nicht im rassistisch-religiösen Morast versinkt; die für die Einhaltung der Menschenrechte für alle Menschen kämpfen.
Unsere Perspektive ist ein vereintes, freies und sozialistisches Palästina, in dem alle dort lebenden Menschen die gleichen sozialen und politischen Rechte haben.
Diese Utopie scheint weiter entfernt zu sein denn je, aber es gibt dazu keine bessere Alternative.