Kri­se der Gewerkschaften?

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H. S.

Nur noch ins­ge­samt 5.578.915 Men­schen waren Ende 2024 Mit­glied in einer der acht im DGB orga­ni­sier­ten Ein­zel­ge­werk­schaf­ten. 1990 hat­te der DGB noch 11,8 Mil­lio­nen Mitglieder.

Kämpferische Alstom-Demo in Mannheim, 2.11.2010. (Foto: Helmut Roos.)

Kämp­fe­ri­sche Als­tom-Demo in Mann­heim, 2.11.2010. (Foto: Hel­mut Roos.)

Der Anteil der Beschäf­tig­ten, die Mit­glied einer DGB-Gewerk­schaft sind, lag Ende 2024 bei knapp zehn Pro­zent. Die­se Ent­wick­lung ist für die Gewerk­schaf­ten fatal, denn wo es kei­ne oder zu weni­ge Mit­glie­der gibt, sind Durch­set­zungs­fä­hig­keit und Streik­fä­hig­keit in gefähr­det oder gar nicht (mehr) vorhanden.

Der seit Jah­ren in den meis­ten Ein­zel­ge­werk­schaf­ten anhal­ten­de Mit­glie­der­rück­gang hat aller­dings bis­lang nicht dazu geführt, die eigent­li­chen Ursa­chen die­ser gefähr­li­chen Ent­wick­lung zu ana­ly­sie­ren und die erfor­der­li­chen Schlüs­se dar­aus zu ziehen.

Natür­lich gibt es für die Schwä­chung der Gewerk­schaf­ten auch „objek­ti­ve“ Grün­de wie zum Bei­spiel Betriebs­schlie­ßun­gen, Ver­la­ge­run­gen ins Aus­land, eine hohe ver­fes­tig­te Arbeits­lo­sig­keit, das Abdrän­gen von Men­schen in Hartz-IV/­Bür­ger­geld, die Zunah­me pre­kä­rer Beschäf­ti­gung mit der damit ver­bun­de­nen Spal­tung der Beleg­schaf­ten und die durch den Rechts­ruck verur- sach­te Gewerkschaftsfeindlichkeit.

Aber die zen­tra­le Ursa­che für die Mit­glie­der­rück­gän­ge ist das feh­len­de Bewusst­sein der abhän­gig Beschäf­tig­ten. Ohne das soli­da­ri­sche Selbst­ver­ständ­nis als sozia­le Klas­se ist es nicht mög­lich, spür­ba­re Ver­bes­se­run­gen für sich selbst und die Gesell­schaft zu erreichen.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg ver­stan­den sich die Gewerk­schaf­ten als Kampf­or­ga­ni­sa­tio­nen, die für die Durch­set­zung der Mit­glie­der­in­ter­es­sen regel­mä­ßig streik­ten. Dies hat­te nicht nur eine hohe Kampf­be­reit­schaft zur Fol­ge, son­dern hat­te sich auch in hohen Mit­glie­der­zah­len niedergeschlagen.

Sozi­al­part­ner­schaft“ schwächt Gewerkschaften
Der mitt­ler­wei­le von fast allen Gewerk­schaf­ten prak­ti­zier­te, Erzwin­gungs­streiks ver­mei­den­de „sozi­al­part­ner­schaft­li­che“ Kurs gegen­über den Kapi­tal­eig­nern, führt zwangs­läu­fig zu mehr oder weni­ger fau­len Kom­pro­mis­sen und zur Ent­po­li­ti­sie­rung der Beschäftigten.

Die Beschäf­tig­ten wer­den dar­an gehin­dert, wich­ti­ge Kampf­erfah­run­gen zu machen und den grund­sätz­li­chen Wider­spruch zwi­schen Arbeit und Kapi­tal zu erkennen. 
Es braucht aber die Kampf­erfah­rung der Kolleg:innen, um das Ver­trau­en der Beleg­schaf­ten in die eige­ne Kraft, aber auch das Ver­trau­en in ihre gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­on selbst zu entwickeln.

Das in vie­len Betrie­ben prak­ti­zier­te Co-Manage­ment durch gewerk­schaft­lich orga­ni­sier­te Betriebs­rä­te hat in Ver­bin­dung mit einer „sozi­al­part­ner­schaft­li­chen“ Tarif­po­li­tik zuneh­mend nega­ti­ve­re Fol­gen. Unter ande­rem sind die rea­len Tarif­löh­ne inzwi­schen auf das Niveau von 2016 zurück­ge­fal­len. Das hat auf brei­ter Front Glaub­wür­dig­keit und Ver­trau­en in die Gewerk­schaf­ten zerstört.

Gegen­macht stärkt Gewerkschaften
Vor die­sem Hin­ter­grund ist die Ände­rung der poli­ti­schen Aus­rich­tung der Gewerk­schaf­ten hin zu Kampf­or­ga­ni­sa­tio­nen zur Durch­set­zung der Beschäf­tig­ten­in­ter­es­sen unab­ding­bar. Sie wür­de die Bereit­schaft der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen för­dern, sich für die eige­nen Anlie­gen in den Gewerk­schaf­ten zu engagieren.

Dazu müs­sen die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, ins­be­son­de­re die Ver­trau­ens­leu­te, stär­ker in demo­kra­ti­sche Ent­schei­dungs­ab­läu­fe ein­ge­bun­den und infor­miert wer­den. Ohne eine ent­wi­ckel­te Ver­trau­ens­leu­te­ar­beit, die auch gesamt­ge­sell­schaft­li­che The­men ein­be­zieht, kann es kei­ne gute Gewerk­schafts- und Betriebs­rats­ar­beit geben.

Das Streik­recht ist in Deutsch­land mas­siv ein­ge­schränkt. Umso mehr sind Gewerk­schaf­ten ver­pflich­tet, es zu stär­ken. Die Ver­tei­di­gung der Tages­in­ter­es­sen muss des­halb in eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Per­spek­ti­ve der kämp­fe­ri­schen Gegen­macht ein- gebet­tet werden.

Die Gewerk­schaf­ten soll­ten offen­si­ver als bis­her die Zusam­men­ar­beit mit den sozia­len Bewe­gun­gen suchen, die für sozia­len Woh­nungs­bau und bezahl­ba­re Mie­ten (ein­schließ­lich der Ent­eig­nung pri­va­ter Immo­bi­li­en­kon­zer­ne), für Kli­ma- und Umwelt- schutz ein­tre­ten, die Soli­da­ri­tät mit Geflüch­te­ten ein­for­dern und der AfD und Neo­na­zis ent­schlos­sen entgegentreten.

Ins­be­son­de­re die Frie­dens­be­we­gung bedarf in Zei­ten der Mili­ta­ri­sie­rung der Gesell­schaft und der pro­agier­ten „Kriegs­tüch­tig­keit“ drin­gend der akti­ven Unter­stüt­zung der Gewerkschaften.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2025
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