Teil II
B. S.
Im zweiten Teil des Artikels zu Werken aus der frühen Sowjetzeit geht es um Literatur, die näher am Alltag der Menschen ist.*
Fjodor Panfjorow (1896 – 1960) schreibt mit seinem Roman Die Genossenschaft der Habenichtse – im Russischen einfach „Brusski“ nach dem Namen des bearbeiteten Brachlandes – 1928 eine Dorfgeschichte in der Umbruchzeit. Er zeigt die Schwierigkeiten bei der Überwindung der Missgunst und des Konkurrenzdenkens der Einzelbauern, die ihr Eigentum hüten. Dem stellt er das Beispiel der kollektiv arbeitenden Habenichtse entgegen. Deren Arbeit wird vom technischen Fortschritt, einem Traktor, unterstützt. Ihre eigentliche Kraft aber besteht im Kollektiv! Auch im gemeinsamen Gesang!
Bei der Kultivierung des Brachlandes muss ein Graben gezogen werden. Jugendliche stimmen ein Lied an, in das einer „mit seinem hellen Tenor“ einstimmt, so „daß alle einen Augenblick still wurden, dann lachten und noch kräftiger in das Lied einstimmten.
…Dann brach das Lied irgendwie ganz von selbst ab. Es verstummte, und man hörte nur den schweren rhythmischen Atem der Menge, das Klirren der Spaten…“. Die gemeinsame Arbeit führt zum Erfolg.
„Der Graben wand sich als schwarzer Spalt wie lebendig dahin.
Da ist sie, die kollektive Arbeit, – sagt, Ognew mit zitternder Stimme. – Wenn wir nur könnten, wenn wir darangingen… könnten wir Berge versetzen…“.
Panfjorow ist ein besonderer Erzähler. Seine Naturbeschreibungen sind ebenso eindrucksvoll wie die Darstellung des Lebens der Landbewohner.
„Auf den Tennen starrten die übriggebliebenen Halme des vorjährigen Heus wie mit einer spöttischen Geste in die Luft, finster blickten die Scheunen, und unter dem Dünger glotzte gelbliches Grün hervor. An den Hängen des Brennesselgrundes glucksten und brausten die Frühlingswasser die Wasserrisse der Schluchten entlang…“.
Panfjorow soll das Buch als Wohnungsloser im Büro geschrieben haben, es war ein Erfolg.
So wundert es nicht, dass es 1933 bei den Bücherverbrennungen der Nazis auf den Scheiterhaufen kam.
Ilja Ehrenburg
Der erste sowjetische Schriftstellerkongress 1934 verkündete den „Sozialistischen Realismus“. Das klingt positiv, war aber von einer Regelwut bestimmt. Im „Sozialismus“ gibt es nichts Negatives, die Realität ist gut! Sie musste positiv beschrieben werden. Verstöße wurden geahndet, das konnte tödlich sein. Nach Stalins Tod gab es beim zweiten Schriftstellerkongress 1954 eine Öffnung – als „Tauwetter“ bezeichnet. Tauwetter heißt der Roman von Ilja Ehrenburg, er gab der Öffnungsperiode seinen Namen.
Der Roman erzählt eine Liebesgeschichte, von der Arbeit in einem Werk, von der Versetzung eines bürokratischen Fabrikdirektors und diskutiert dabei an Beispielen aus Literatur und Malerei die Öffnung der Kulturszene.
Bei einer Leserkonferenz – offensichtlich ein Bestandteil der Kulturszene – fallen die Äußerungen: „Vermutlich war es dem Autor darum zu tun, auf billige Art Spannung hineinzubringen. In Wirklichkeit sind unsere Sowjetmenschen doch innerlich viel sauberer, viel ernsthafter. Subzows Liebe hingegen scheint mir mechanisch aus den Werken bürgerlicher Schriftsteller auf die Seiten eines sowjetischen Romans übertragen zu sein.“
Die Kritik an der Malerei lautet: „Niemand streitet der Landschaftsmalerei die Daseinsberechtigung ab. Was aber zeigt uns Saburow? Auf seinem Bild sehen wir ein Haus aus unserer Arbeitersiedlung. Warum hat er es so wenig ansprechend gemalt? Das ist kein Zufall, Genossen, denn hier haben wir es mit dem offenen Bestreben zu tun, unsere Wirklichkeit zu diffamieren.“ Dagegen wird „Puchows wunderbares Bild“ gesetzt, „das der glücklichen Kindheit unserer Kleinen gewidmet ist. Puchow schneidet jedes Jahr die Probleme an, die uns auf den Nägeln brennen und die in unseren führenden Zeitungen diskutiert werden.“ Nun aber tritt Tauwetter ein.
Der Begriff „Tauwetter“ steht im Roman, als frische Frühlingsluft, die durch eine Lüftungsklappe dringt. „Wera, endlich haben wir Tauwetter…“.
Ilja Ehrenburgs (1891 – 1962) ist außerordentlich vielfältig. Über die Kulturszene in Russland und der Sowjetunion kann mensch in seiner Autobiographie Menschen Jahre Leben viel erfahren. Die große Zahl seiner Kontakte und seiner Betrachtungen ist verblüffend.
Meine Auswahl ist subjektiv, aber ich hoffe, dass ich Neugierde geweckt habe. Es gibt noch viel zu entdecken!
* Fortsetzung und Schluss des gleichnamigen Artikels aus Avanti² Nr. 38.