200 Jah­re Karl Marx (5.Teil)

Mate­ria­lis­ti­sche Geschichtsauffassung

 

Manu­el Kellner

 

Auf einer gewis­sen Stu­fe ihrer Ent­wick­lung gera­ten die mate­ri­el­len Pro­duk­tiv­kräf­te der Gesell­schaft in Wider­spruch mit den vor­han­de­nen Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­sen oder, was nur ein juris­ti­scher Aus­druck dafür ist, mit den Eigen­tums­ver­hält­nis­sen, inner­halb derer sie sich bis­her bewegt hat­ten. Aus Ent­wick­lungs­for­men der Pro­duk­tiv­kräf­te schla­gen die­se Ver­hält­nis­se in Fes­seln der­sel­ben um. Es tritt dann eine Peri­ode sozia­ler Revo­lu­ti­on ein.” (MEW 13, S. 9.)

Das Bild von der Spren­gung der Fes­seln mag nicht unbe­dingt tref­fend sein. Zumin­dest heu­te scheint es eher so zu sein, dass die unge­heu­re Ent­wick­lung der Pro­duk­tiv­kräf­te unter kapi­ta­lis­ti­schen Ver­hält­nis­sen immer mas­si­ver in Zer­stö­rungs­kräf­te umschlägt.

Marx-Transparent in Mannheim, 6. Mai 2018. (Foto: „Festkomitee Karl Marx“)

Marx-Trans­pa­rent in Mann­heim, 6. Mai 2018. (Foto: „Fest­ko­mi­tee Karl Marx“)

In gro­ßen Umris­sen kön­nen asia­ti­sche, anti­ke, feu­da­le und modern bür­ger­li­che Pro­duk­ti­ons­wei­sen als pro­gres­si­ve Epo­chen der öko­no­mi­schen Gesell­schafts­for­ma­ti­on bezeich­net wer­den. Die bür­ger­li­chen Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se sind die letz­te ant­ago­nis­ti­sche Form des gesell­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons­pro­zes­ses […], aber die im Schoß der bür­ger­li­chen Gesell­schaft sich ent­wi­ckeln­den Pro­duk­tiv­kräf­te schaf­fen zugleich die mate­ri­el­len Bedin­gun­gen zur Lösung die­ses Ant­ago­nis­mus. Mit die­ser Gesell­schafts­form schließt daher die Vor­ge­schich­te der mensch­li­chen Gesell­schaft ab.” (MEW 13, S. 9.)

Aus die­sen Wor­ten von Karl Marx haben Unbe­ru­fe­ne zu Unrecht ein Sche­ma „gesetz­mä­ßig” auf­ein­an­der fol­gen­der Pro­duk­ti­ons­wei­sen abge­lei­tet. In sei­nen Schrif­ten fin­det sich hin­ge­gen immer wie­der die Bemü­hung, sol­che Pro­zes­se der Rei­fung der Bedin­gun­gen für gro­ße Umwäl­zun­gen kon­kret herauszuarbeiten.

Sein Freund Fried­rich Engels sah sich 1890 zu fol­gen­der Klar­stel­lung veranlasst:„Nach mate­ria­lis­ti­scher Geschichts­auf­fas­sung ist das in letz­ter Instanz bestim­men­de Moment in der Geschich­te die Pro­duk­ti­on und Repro­duk­ti­on des wirk­li­chen Lebens.“ Doch vie­le ande­re Fak­to­ren, poli­ti­sche Sys­te­me und Ideo­lo­gien, Ergeb­nis­se gesell­schaft­li­cher Kämp­fe usw. wir­ken auf die­se öko­no­mi­sche Basis zurück: „Es ist eine Wech­sel­wir­kung aller die­ser Momen­te, wor­in schließ­lich durch alle die unend­li­che Men­ge von Zufäl­lig­kei­ten […] als Not­wen­di­ges die öko­no­mi­sche Bewe­gung sich durch­setzt. Sonst wäre die Anwen­dung der Theo­rie auf eine belie­bi­ge Geschichts­pe­ri­ode ja leich­ter als die Lösung einer ein­fa­chen Glei­chung ers­ten Gra­des.“ (MEW 37, S. 463.)

Im Kapi­tel zur „soge­nann­ten ursprüng­li­chen Akku­mu­la­ti­on” des Kapi­tals im Kapi­tal Band 1 räumt Marx mit der idyl­li­schen Legen­de auf, die Flei­ßi­gen und Spar­sa­men sei­en eben bes­ser als die Fau­len und Ver­schwen­der Kapi­ta­lis­ten gewor­den. Auch erscheint hier die Ent­ste­hung der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se nicht als Aus­druck einer „Gesetz­mä­ßig­keit”. Ver­schie­de­nes muss­te dafür viel­mehr zusam­men­kom­men: Die Tren­nung einer gro­ßen bäu­er­li­chen Mas­se von ihren Pro­duk­ti­ons­mit­teln, die Ent­ste­hung gro­ßer Geld­ka­pi­ta­li­en durch Wucher, betrü­ge­ri­schen Han­del und Aus­rau­bung Süd­ame­ri­kas und bru­ta­le Gewalt, um die Men­schen zur Arbeit in der ent­ste­hen­den Indus­trie zu prügeln.

Tan­tae molis erat [so müh­se­lig war es], die, ewi­gen Natur­ge­set­ze‘ der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se zu ent­bin­den, den Schei­dungs­pro­zess zwi­schen Arbei­tern und Arbeits­be­din­gun­gen zu voll­zie­hen, auf dem einen Pol die gesell­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons- und Lebens­mit­tel in Kapi­tal zu ver­wan­deln, auf dem Gegen­pol die Volks­mas­se in Lohn­ar­bei­ter, in freie ‚arbei­ten­de Arme‘ […]. Wenn das Geld, nach Augier, ‚mit natür­li­chen Blut­fle­cken auf einer Backe zur Welt kommt’, so das Kapi­tal von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutz­trie­fend.” (MEW 23, S. 787 f.)

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juni 2018
Tagged , , , , , , , , . Bookmark the permalink.