Glo­ba­ler Kapi­ta­lis­mus ohne Alter­na­ti­ve? (Teil 2)

 

Abdruck des ers­ten Teils eines wei­te­ren Refe­ra­tes, das auf unse­rem Semi­nar zu „Stra­te­gie-und-Tak­tik“ am 23. April 2016 in Mann­heim gehal­ten wor­den ist. Der ers­te Teil erschien in Avan­ti² Nr. 22 von Juni 2016.


U.D.

The­re ist no alter­na­ti­ve“1
„Kapi­ta­lis­mus ist die legi­ti­me Gau­ne­rei der herr­schen­den Klas­se.“ 2
„Es herrscht Klas­sen­krieg, rich­tig, aber es ist mei­ne Klas­se, die Klas­se der Rei­chen, die Krieg führt, und wir gewin­nen.“ 3

Neo­li­be­ra­lis­mus und kein Ende in Sicht
Bis heu­te ist kein „Ende der Geschich­te“, wie es der US-ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Fuku­ya­ma zu Beginn der 1990er Jah­re ankün­dig­te, erkenn­bar. Wie zuvor skiz­ziert (sie­he Avan­ti² 22), ist der welt­wei­te Kapi­ta­lis­mus weit davon ent­fernt, eine fried­li­che, demo­kra­ti­sche, freie und auf Gleich­heit aller Men­schen auf­bau­en­de Welt zu schaffen. 
Als gäbe es kei­ne kri­sen­haf­te Ent­wick­lung und als hät­te es die Welt­wirt­schafts­kri­se 2008/2009 nicht gege­ben, hal­ten die Herr­schen­den am neo­li­be­ra­len, markt­ra­di­ka­len Umbau der Gesell­schaf­ten fest:

•    Die Kapi­tal- und Waren­strö­me wer­den wei­ter libe­ra­li­siert und dere­gu­liert (z. B. TTIP, CETA). Fol­gen sind unter ande­rem die „Unter­wer­fung“ der regio­na­len (und klein­räu­mi­gen) Öko­no­mien unter den glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus. Damit ein­her geht die Zer­stö­rung der Fähig­keit zur Selbst­ver­sor­gung und der bestehen­den Sozialstrukturen.
•    Die glo­ba­le Kon­kur­renz wird wei­ter ver­schärft. „Glo­ba­li­sie­rung“ und eine angeb­li­che Welt ohne Gren­zen (zumin­dest für Kapi­tal und Waren) bestär­ken Natio­na­lis­mus und Abgren­zung. Han­dels­krie­ge und mehr mili­tä­ri­sche Kon­flik­te sind eine wei­te­re Folge.
•    Immer weni­ger Kon­zer­ne sind für die kapi­ta­lis­ti­sche Welt­wirt­schaft ent­schei­dend. Per­ma­nent fin­den Umstruk­tu­rie­run­gen von Unter­neh­men durch Zukäu­fe, Ver­käu­fe oder Werks­stil­le­gun­gen statt. Gro­ße Unter­neh­men wer­den in immer klei­ne­re Ein­hei­ten auf­ge­spal­ten (frag­men­tiert), gekauft und ver­kauft. Den­noch bleibt die Macht der „gro­ßen“ Kapi­tal­eig­ner erhalten.
•    Bereits im „Nor­mal­be­trieb“ sind die bür­ger­lich-par­la­men­ta­ri­schen Insti­tu­tio­nen dem Kapi­tal weit­ge­hend unter­wor­fen. Sie wer­den zuneh­mend durch unkon­trol­lier­te und intrans­pa­ren­te Pro­zes­se und Insti­tu­tio­nen ersetzt.
•    Mit hohen Kos­ten wird ein star­ker (Über­wa­chungs-) Staat auf­ge­baut. Er soll nach außen die Inter­es­sen des Kapi­tals welt­weit mili­tä­risch durch­set­zen. Nach innen soll er sozia­le Unru­hen unter­drü­cken. Dadurch kann die Umver­tei­lung gesell­schaft­li­chen Reich­tums von unten nach oben orga­ni­siert und abge­si­chert werden. 
•    Die staat­li­che Daseins­für­sor­ge für die Arbei­te­rIn­nen­klas­se (der „Sozi­al­staat“) wird sei­tens der herr­schen­den Klas­se per­ma­nent in Fra­ge gestellt. Sobald es die gesell­schaft­li­chen Kräf­te­ver­hält­nis­se zulas­sen, wird sie immer wei­ter eingeschränkt.
•    Sei­tens des Kapi­tals wur­den „neue“ pre­kä­re und fle­xi­ble For­men der Aus­beu­tung durch­ge­setzt: Leih­ar­beit, Werk­ver­trä­ge, Befris­tun­gen, unge­woll­te Teil­zeit usw. Dadurch wur­de die Arbei­te­rIn­nen­klas­se erfolg­reich gespal­ten und die Her­aus­bil­dung eines gemein­sa­men Klas­sen­be­wusst­seins erschwert.
•    Die zuvor genann­te Umstruk­tu­rie­rung und Frag­men­tie­rung der Pro­duk­ti­on erzeugt in der Arbei­te­rIn­nen­klas­se per­ma­nen­te Unsi­cher­heit und Angst. Sie erschwert somit kol­lek­ti­ve Gegen­wehr oder ver­hin­dert die­se. Sie för­dert selbst inner­halb der Kern­schich­ten der arbei­ten­den Klas­se Ent­so­li­da­ri­sie­rung und Indi­vi­dua­li­sie­rung. Sie trägt also zur Zer­stö­rung kol­lek­ti­ver Iden­ti­tät bei und behin­dert die Ent­wick­lung von Klas­sen­be­wusst­sein. Statt sich als Teil einer unter­drück­ten Klas­se zu ver­ste­hen, sol­len sich abhän­gig Beschäf­tig­te als „Arbeit­neh­mer­un­ter­neh­mer“ im Unter­neh­men sehen und so handeln.
•    Gesell­schaft­li­che Uto­pien von der Mög­lich­keit einer ande­ren (nicht-pro­fit­ori­en­tier­ten, anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen) Welt wer­den sys­te­ma­tisch, poli­tisch wie medi­al, als unsin­nig oder gefähr­lich dar­ge­stellt. Die sta­li­nis­ti­schen und nach­sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tu­ren (z. B. Nord­ko­rea, Chi­na) sind dafür geeig­ne­te, abschre­cken­de Zerrbilder.
•    Die Gewerk­schaf­ten (bzw. der gewerk­schaft­li­che Appa­rat) ver­fol­gen zuse­hends eine Poli­tik, die sich aus­schließ­lich an Inter­es­sen der in ihnen Orga­ni­sier­ten ori­en­tiert. Gesamt­ge­sell­schaft­li­che Betrach­tun­gen und Zie­le sind dabei nach­ran­gig oder gar hin­der­lich. Soli­da­ri­tät bleibt oft nur den 1.-Mai-Reden vor­be­hal­ten. Statt des Prin­zips Klas­sen­kampf wer­den sozi­al­part­ner­schaft­li­che Ideen vertreten.
•    In vie­len Tei­len der Welt sind wir mit einer Erstar­kung reak­tio­nä­rer (natio­na­lis­ti­scher, reli­giö­ser usw.) Bewe­gun­gen kon­fron­tiert. Die­se sind der offen­sicht­lichs­te Aus­druck einer zuse­hends unso­li­da­ri­schen und bar­ba­ri­schen Welt. Sie stel­len für uns und eine soli­da­ri­sche und inter­na­tio­na­lis­ti­sche Poli­tik eine mas­si­ve Gefahr dar.

Ohne Wider­sprü­che gibt es kei­ne Hoffnung
Die hier unvoll­stän­dig skiz­zier­te Ent­wick­lung hat vie­le nega­ti­ve Vor­zei­chen, aber sie ver­läuft nicht ohne Wider­sprü­che und gesell­schaft­li­chen Widerstand. 
Die gesell­schaft­li­che Kraft, die ange­sichts die­ser Situa­ti­on die Welt erfolg­reich vom Kopf auf die Füße stel­len kann, ist die Arbei­te­rIn­nen­klas­se. Aber dies wird nur so sein, wenn sie sich in ihren täg­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen vom Prin­zip Klas­sen­kampf lei­ten lässt und gegen das neo­li­be­ra­le Gift der Ver­ein­ze­lung wie­der Kol­lek­ti­vi­tät und Soli­da­ri­tät setzt.
Dann wird es auch gelin­gen, in der arbei­ten­den Klas­se und in den sozia­len Bewe­gun­gen wie­der eine gesell­schaft­li­che Uto­pie zu ver­an­kern. Das Ziel, für das es sich zu kämp­fen lohnt, ist eine demo­kra­ti­sche, soli­da­ri­sche und öko­lo­gi­sche Welt ohne Kapitalismus.

1 Das TINA-Prin­zip (Abkür­zung von „The­re is no alter­na­ti­ve“, deutsch: „Es gibt kei­ne Alter­na­ti­ve“) stammt von der „eiser­nen Lady“ Mar­ga­ret That­cher. Sie ver­folg­te im Eng­land der 1980er Jah­re einen har­ten neo­li­be­ra­len und anti­ge­werk­schaft­li­chen Kurs. 1984/84 „besieg­te“ sie die strei­ken­den Berg­ar­bei­ter und füg­te damit der gesam­ten eng­li­schen Arbei­te­rIn­nen­klas­se eine schwe­re Nie­der­la­ge bei.
2 Al Capo­ne war ein - nicht zuletzt durch Gangs­ter-Fil­me auch heu­te immer noch bekann­ter - Ver­bre­cher in den USA der 1920er Jahre.
3 War­ren Buf­fet ist laut der aktu­el­len „For­bes-Lis­te“ mit ca. 60 Mrd. USD der dritt­reichs­te Mensch der Welt.
aus der Rhein-Neckar Bei­la­ge zur Avan­ti 247, Sep­tem­ber 2016
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