Streik­recht verteidigen

 

U. D.

Deutsch­land ist kein streik­ge­schüt­tel­tes Land. Die Hans-Böck­ler-Stif­tung zähl­te im Zeit­raum 2012 bis 2021 ledig­lich 18 Streik­ta­ge pro 1000 Beschäf­tig­ten. In Bel­gi­en waren es dage­gen 96 und in Frank­reich 92 Streiktage.

Protest bei Alstom Mannheim, 30. Mai 2011. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Pro­test bei Als­tom Mann­heim, 30. Mai 2011. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Trotz­dem for­dern Unter­neh­mens­ver­bän­de und deren poli­ti­sche Hilfs­trup­pen immer wie­der wei­te­re Ein­schrän­kun­gen des Streikrechts.

Streik­recht in Fesseln
Aber das Streik­recht ist in Deutsch­land längst ein­ge­schränkt. Zwar regelt Arti­kel 9 Zif­fer 1 des Grund­ge­set­zes ein­deu­tig die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit, doch das Recht, „Arbeits­kämp­fe […] zur Wah­rung und För­de­rung der Arbeits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen“ füh­ren zu dür­fen, wird aus Arti­kel 9 Zif­fer 3 „nur“ abgeleitet.

Zudem gibt es zahl­rei­che Streik­hemm­nis­se. Zum Bei­spiel im Tarif­ver­trags­ge­setz, im Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz, im Arbeits­för­de­rungs­ge­setz und im Beam­ten­recht. So kön­nen nur tarif­fä­hi­ge Gewerk­schaf­ten zum Streik auf­ru­fen, dür­fen Beam­te nicht strei­ken und sind wäh­rend der Lauf­zeit von Tarif­ver­trä­gen Streiks verboten.

Nicht zuletzt gel­ten poli­ti­sche Streiks als rechts­wid­rig. Grund dafür sind Urtei­le zum „Zei­tungs­streik“ im Jahr 1952. Die­se Urtei­le stütz­ten sich auf ein Gut­ach­ten des Juris­ten Nip­per­dey, der schon wäh­rend der faschis­ti­schen Dik­ta­tur ein wich­ti­ger Arbeits-Unrecht­ler war. Dem­nach dür­fen Streiks nur zur Ver­bes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen geführt wer­den, nicht aber zur Durch­set­zung poli­ti­scher For­de­run­gen. Dies ist bis heu­te die herr­schen­de Rechtsauffassung.

Für Geld tun sie alles …
Aktu­ell nut­zen die neo­li­be­ra­len Scharf­ma­cher die Streiks von GDL, Cock­pit und ver.di, um ein noch schwä­che­res Streik­recht durch­zu­set­zen. Für Isa­bel Cade­mar­to­ri (SPD) über­steigt der GDL-Streik „das Maß des Zumut­ba­ren“. FDP-Gene­ral­se­kre­tär Djir-Sarai will „eine maß­lo­se Streik­gier, wie wir sie erlebt haben, in Zukunft“ unter­bin­den. Ver­kehrs­mi­nis­ter Wis­sing (FDP) will prü­fen, ob „wir eine Ände­rung brau­chen.” Und natür­lich will auch BDA-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Kam­pe­ter Streiks strik­ter regeln.

In Wahr­heit geht es ihnen allei­ne um das stö­rungs- und streik­freie Funk­tio­nie­ren der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­fit­ma­schi­ne. Sie wol­len die Strei­ken­den ver­ant­wort­lich machen für die Schä­den, die Poli­tik und Kapi­tal selbst ange­rich­tet haben. Denn die sind es, die seit Jahr­zehn­ten die Infra­struk­tur und die Öffent­li­chen Diens­te kaputt „spa­ren“.

Neo­li­be­ra­le Ziele
Ange­sicht der sich ver­schär­fen­den Kri­sen des Kapi­ta­lis­mus und mög­li­cher Ver­tei­lungs­kämp­fe, soll ein noch mehr ein­ge­schränk­tes Streik­recht die Gegen­wehr gegen betrieb­li­che, gesetz­li­che und poli­ti­sche Angrif­fe erschwe­ren. Die­se Plä­ne rich­ten sich gegen die gesam­te arbei­ten­de Klas­se und alle Gewerkschaften.

Bereits heu­te ist die Kampf- und Streik­fä­hig­keit der arbei­ten­den Klas­se geschwächt. Denn immer weni­ger Beschäf­tig­te sind gewerk­schaft­lich orga­ni­siert oder arbei­ten in einem Tarif­be­trieb. Sie haben fak­tisch kein Streikrecht.

Wenn es dem Kapi­tal gelingt, das Streik­recht wei­ter ein­zu­schrän­ken, wer­den auch die streik­fä­hi­gen Beleg­schaf­ten geschwächt, und in der Fol­ge wird die Kampf­kraft der gesam­ten arbei­ten­den Klas­se sin­ken. Damit wür­de die soli­da­ri­sche Ver­tei­di­gung kol­lek­ti­ver Inter­es­sen sowie die Mög­lich­keit, gemein­sa­me Kampf­erfah­rung machen zu kön­nen, erheb­lich erschwert werden.

Dies ist eines der zen­tra­len Zie­le des Neo­li­be­ra­lis­mus. Mit der Besei­ti­gung des Streik­rechts soll auch das kol­lek­ti­ve und soli­da­ri­sche Klas­sen­be­wusst­sein besei­tigt wer­den. Sein „Ide­al“ ist nicht der soli­da­ri­sche, son­dern der nur die eige­nen Zie­le ver­fol­gen­de Mensch.

Streik­recht ver­tei­di­gen und ausweiten
Aus die­sem Grund muss das bestehen­de Streik­recht in Deutsch­land gegen jede wei­te­re Ver­schlech­te­rung ver­tei­digt wer­den. Denn jede wei­te­re Ein­schrän­kung macht es der arbei­ten­den Klas­se schwe­rer, inner­halb des kapi­ta­lis­ti­schen Pro­fit­sys­tems für die eige­nen Zie­le zu kämp­fen und sich so der eige­nen Inter­es­sen und Kraft bewusst zu werden.

Dar­über hin­aus muss für ein unein­ge­schränk­tes Streik­recht gekämpft wer­den. Das heißt, dass auch der betrieb­li­che Streik (mit oder ohne Gewerk­schaft), der poli­ti­sche Streik und der Gene­ral­streik recht­mä­ßig und zuläs­sig werden.

Ange­sichts der faschis­ti­schen Gefahr muss gera­de in den Gewerk­schaf­ten der poli­ti­sche Gene­ral­streik ver­stärkt dis­ku­tiert und pro­pa­giert wer­den. Denn nur mit der Fähig­keit und der Bereit­schaft zum Gene­ral­streik und zu zivi­lem Unge­hor­sam kann ein neu­er Faschis­mus ver­hin­dert werden.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar April 2024
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