Über den Cha­rak­ter des Zio­nis­mus und der paläs­ti­nen­si­schen Befreiungsbewegung

 

Jakob Taut


Redak­tio­nel­le Vorbemerkung
Der fol­gen­de Bei­trag unsers jüdi­schen Genos­sen Jakob Taut (1913 - 2001) wur­de bereits 1970 im Inter­na­tio­na­len Dis­kus­si­ons­bul­le­tin der IV. Inter­na­tio­na­le erst­mals ver­öf­fent­licht. Aber er ist erstaun­lich aktu­ell, wenn wir davon abse­hen, dass es damals die paläs­ti­nen­si­sche Fatah war, die mit ter­ro­ris­ti­scher Gewalt ver­such­te, ihre Zie­le durch­zu­set­zen. Über­set­zung aus dem Fran­zö­si­schen von Mi. We.


Ver­ständ­li­cher­wei­se befas­sen sich die revo­lu­tio­nä­ren Kräf­te seit dem Sechs-Tage-Krieg [1967] welt­weit und inten­siv mit der Lage im Nahen Osten. Zuwei­len jedoch tau­chen his­to­ri­sche „Fest­stel­lun­gen“ und „Ana­ly­sen“ auf, die ein fal­sches Licht auf die tat­säch­li­che Situa­ti­on wer­fen und nicht die objek­ti­ven Bedin­gun­gen widerspiegeln.

Die Ent­ste­hung des Zio­nis­mus und des Staa­tes Israel
In Qua­triè­me Inter­na­tio­na­le vom Novem­ber 1968 habe ich einen Nach­ruf auf Hersch Men­del (Men­del Stock­fisch) ver­fasst [hier ist der Link zur deut­schen Über­set­zung]. Der am 22. Juli 1968 Ver­stor­be­ne nann­te sich selbst in sei­nen Memoi­ren einen jüdi­schen Revo­lu­tio­när. Tat­säch­lich war er einer der letz­ten Über­le­ben­den aus jener glor­rei­chen Epo­che der Rus­si­schen Revo­lu­ti­on und der zwan­zi­ger Jahre.

Isaac Deut­scher, der ihn seit ihrer gemein­sa­men Arbeit in der pol­ni­schen KP und anschlie­ßend in der trotz­kis­ti­schen Oppo­si­ti­on gut kann­te, cha­rak­te­ri­sier­te ihn so: „Hersch Men­del ver­kör­pert den Typus des wah­ren Hel­den – so wie ihn sei­ne alten Freun­de gekannt haben – eine Figur wie aus einer Fabel oder einer Legen­de und den­noch sehr wirk­lich, das Mus­ter­bild eines jüdi­schen Arbei­ters aus dem War­schau der Vor­kriegs­zeit.“ (Aus dem Vor­wort I. Deut­schers zu dem Buch von H. M., das ich aus dem Jid­di­schen über­setzt habe.)

In dem Nach­ruf, den ich ihm gewid­met habe – wäh­rend der letz­ten 10 Jah­re sei­nes Lebens habe ich ihn gut ken­nen­ge­lernt – schrieb ich: „Hersch Men­del ist in einem jüdi­schen Milieu groß gewor­den, das vom Zaris­mus und spä­ter von der pol­ni­schen Reak­ti­on unter­drückt wur­de. Die­se Umstän­de mach­ten aus ihm einen Revo­lu­tio­när im Kampf gegen die Bar­ba­rei und zu einem inter­na­tio­na­lis­ti­schen Kom­mu­nis­ten, des­sen Hori­zont weit über die beschränk­te Sicht­wei­se der gepei­nig­ten Juden in Ost­eu­ro­pa hin­aus­ging. Er lern­te zu ver­ste­hen, dass nur ein welt­weit durch­ge­setz­ter Sozia­lis­mus zur Lösung der jüdi­schen Fra­ge in der Lage ist. Geprägt wur­de Hersch Men­del durch die jüdi­sche Arbei­ter­klas­se in War­schau und Lodz und die Mas­se der klei­nen jüdi­schen Hand­wer­ker in den Klein­städ­ten Polens, Weiß­russ­lands und der Ukrai­ne. Die­ser Hin­ter­grund, die­ses Milieu, ist durch die Nazi-Bar­ba­rei phy­sisch kom­plett aus­ge­rot­tet wor­den und mit ihm die Fami­lie und die Freun­de Hersch Mendels.“

Das Schick­sal die­ses außer­ge­wöhn­li­chen Men­schen lehrt uns nicht nur zu ver­ste­hen, wie ein Volk zer­stört wur­de und wie die­se Zer­stö­rung dem Zio­nis­mus den Auf­bau eines ana­chro­nis­ti­schen Staa­tes ermög­lich­te. Es macht auf exem­pla­ri­sche Wei­se deut­lich, wie objek­ti­ve Umstän­de dem Zio­nis­mus die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen lie­fer­ten, nach dem Zwei­ten Welt­krieg einen Staat zu errichten.

Den obi­gen Satz habe ich des­we­gen her­vor­ge­ho­ben, weil er nicht nur eine per­sön­li­che Tra­gö­die benennt, son­dern die einer gan­zen Gene­ra­ti­on der euro­päi­schen Juden. Die­se Tra­gö­die, in der sechs Mil­lio­nen Juden aus­ge­löscht wur­den, ein­fach weil sie Juden waren, macht ver­ständ­lich, wie die­ser unglück­li­che „jüdi­sche Staat“ ent­ste­hen konn­te und auch heu­te noch Ein­fluss aus­üben kann.

Unter die­sem Aspekt ist das in Young Socia­list erschie­ne­ne Zitat aus Free Pal­es­ti­ne absurd: „… das natio­na­le Ter­ri­to­ri­um (wur­de) von Kräf­ten erobert und besie­delt, die ihre Wur­zeln im reli­giö­sen Sek­tie­rer­tum und Ras­sen­hass haben und gegen­über Chris­ten und ara­bi­schen Mos­lems in Paläs­ti­na eine Poli­tik der Dis­kri­mi­nie­rung und Ver­fol­gung praktizieren.“

Hier zeigt sich ein völ­li­ges Unver­ständ­nis der rea­len Situa­ti­on. Weder der Zio­nis­mus noch der Staat Isra­el beru­hen auf „reli­giö­sem Sek­tie­rer­tum“. Der zwei­te Teil des Sat­zes („gegen­über ara­bi­schen Chris­ten und Mos­lems“) setzt noch eins drauf, indem er sich auf pri­mi­ti­ve reli­giö­se Gefüh­le stützt. Sol­che Metho­den kön­nen nur die ara­bi­sche Reak­ti­on begüns­ti­gen und dafür sor­gen, dass sich die jüdi­sche Bevöl­ke­rung in Isra­el um den fins­ters­ten zio­nis­ti­schen Chau­vi­nis­mus schart.

Die Ent­ste­hungs­be­din­gun­gen des Zio­nis­mus und des Staa­tes Isra­el haben mit reli­giö­sem Fana­tis­mus nichts zu tun. Klar gibt es das auch in Isra­el in bestimm­ten Bevöl­ke­rungs­schich­ten genau wie in den ara­bi­schen Staa­ten und in vie­len ande­ren Tei­len der Welt. Prä­gend ist dies nur für eine Min­der­heit unter den Juden Isra­els. Daher kann es nicht um einen Kampf gegen den reli­giö­sen Fana­tis­mus gehen.

Der Wider­spruch liegt zwi­schen dem Zio­nis­mus, der sich zur Errei­chung sei­nes uto­pi­schen Ziels, die Juden­fra­ge in Isra­el zu lösen, mit aus­län­di­schen Kräf­ten ver­bün­det, auf der einen Sei­te und den ara­bi­schen Mas­sen, die Opfer die­ser Alli­anz sind, auf der anderen.

Ich habe Hersch Men­del zitiert, um die Ursa­chen für die Ent­ste­hung eines zio­nis­ti­schen Isra­el begreif­lich zu machen. Sei­nen Schluss­fol­ge­run­gen hin­ge­gen ste­he ich abso­lut dia­me­tral gegen­über, was ich ihm auch jah­re­lang aus­ein­an­der­ge­setzt habe. Will man aber die Juden Isra­els ver­ste­hen und den Zio­nis­mus ana­ly­sie­ren, um ihn zu bekämp­fen (Juden und Ara­ber gemein­sam), lie­fert die ver­kehr­te Defi­ni­ti­on von Hersch Men­del uns revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­ten einen wich­ti­gen Anknüpfungspunkt.

Die­ser Mann, der die bes­ten Jah­re sei­nes Lebens dem uner­bitt­li­chen Kampf gegen den Kapi­ta­lis­mus und für die Umset­zung der sozia­lis­ti­schen Zie­le gewid­met hat und der dafür mehr als die Hälf­te sei­nes Lebens im Gefäng­nis oder in der Emi­gra­ti­on zuge­bracht hat, kommt im Nach­wort zu sei­nen Memoi­ren, nach­dem eine gan­ze Gene­ra­ti­on von Juden aus­ge­löscht wor­den ist, zu fol­gen­dem Schluss: „Nach lan­gem inne­ren Kampf und aus­gie­bi­ger Über­le­gun­gen ist mir klar gewor­den. dass die jüdi­schen Arbei­ter nur mehr in Isra­el für den Sozia­lis­mus kämp­fen und ihre Hege­mo­nie in der Gesell­schaft durch­set­zen kön­nen, da das jüdi­sche Volk sich nur in Isra­el wie­der sam­meln und ein neu­es frei­es Leben begin­nen kann.“ (Von mir aus dem Jid­di­schen übersetzt.)

Sei­ne Schluss­fol­ge­run­gen sind ver­kehrt sowohl hin­sicht­lich einer Lösung der jüdi­schen Fra­ge als auch vom sozia­lis­ti­schen Stand­punkt aus. Der Zio­nis­mus mit sei­nem Ziel, die Juden der gan­zen Welt in Isra­el zu sam­meln und dort das öko­no­mi­sche und sozia­le Heil zu erlan­gen, kann das jüdi­sche Pro­blem, die „Juden­fra­ge“, nicht lösen. Ganz im Gegen­teil: Indem er Isra­el in der gesam­ten Regi­on iso­liert, repro­du­ziert er das Pro­blem auf einer viel grö­ße­ren Ebe­ne. Man kann nicht von einer öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Sou­ve­rä­ni­tät spre­chen, son­dern bloß von öko­no­mi­scher, poli­ti­scher und mili­tä­ri­scher Abhän­gig­keit von den Weltmächten.

Das welt­wei­te Pro­blem der Juden liegt in ihrer man­geln­den gesell­schaft­li­chen Inte­gra­ti­on vor Ort, d. h. in dem jewei­li­gen Land, in dem sie leben. Hier im Nahen Osten sind sie nicht mehr als blo­ße Indi­vi­du­en, son­dern als gan­zer Staat Außen­sei­ter. Isra­el liegt zwar auf der Land­kar­te in die­ser Regi­on, ist aber wirt­schaft­lich und poli­tisch gese­hen Aus­land, ein Wurm­fort­satz der USA. Hersch Men­dels glü­hen­de Idee von einer Hege­mo­nie der Arbei­ter und vom Sozia­lis­mus blei­ben ein Phantasiegebilde.

Wenn man den wirk­li­chen Sach­ver­halt ver­ste­hen und die prak­ti­schen Schluss­fol­ge­run­gen dar­aus ablei­ten will, soll­te man auch wis­sen. dass der weit­aus größ­te Teil der heu­te in Isra­el leben­den Juden vor der „Kata­stro­phe“ in Euro­pa kei­ne Zio­nis­ten waren und kei­nes­wegs dar­an dach­ten, nach Paläs­ti­na zu emi­grie­ren. Für sie war weder die Aus­wan­de­rung nach Paläs­ti­na noch die Errich­tung eines jüdi­schen Staa­tes eine rea­le Perspektive.

Die hun­dert­tau­sen­den Über­le­ben­den des jüdi­schen Vol­kes in Euro­pa sind nach dem Krieg nach Isra­el gegan­gen, weil sie in ihrer Hei­mat nicht mehr leben konn­ten und dort ent­wur­zelt waren, weil sie weder Fami­lie noch Freun­de noch ein Zuhau­se mehr hat­ten. Sie sind nach Paläs­ti­na gegan­gen, weil sie dort unten mit ihren Lei­dens­ge­nos­sen ein neu­es Leben begin­nen woll­ten. Sie gin­gen nicht als Kolo­nia­lis­ten, um die Ara­ber zu bekämp­fen und dem Impe­ria­lis­mus zu die­nen. Viel mehr haben es die tra­gi­schen Umstän­de dem Zio­nis­mus leicht gemacht, aus die­sen nie­der­ge­schla­ge­nen und gequäl­ten Men­schen zio­nis­ti­sche Natio­na­lis­ten zu machen.

Frü­her und auch heu­te noch hat­ten die­se Men­schen nur ein Ziel: die Siche­rung ihrer phy­si­schen Exis­tenz nach jahr­zehn­te­lan­ger bru­ta­ler Ver­fol­gung. Mit sol­chen Phra­sen wie „reli­giö­ser Fana­tis­mus“ erreicht man nichts ande­res, als den zio- nis­ti­schen Natio­na­lis­mus zu stärken.

Mit den Wor­ten von Hersch Men­del: „Wer etwas ähn­li­ches wie das Mas­sa­ker an den Juden in Euro­pa erlebt hat, wird nie­mals ver­ges­sen kön­nen und nicht ruhen, bis die Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen sind, die eine Wie­der­ho­lung die­ser Tra­gö­die unmög­lich machen. Sie wer­den stets zu jedem Opfer bereit sein, um die jüdi­sche Exis­tenz in einem jüdi­schen Land zu gewähr­leis­ten.“ (Aus den Memoi­ren, J. T.)

In den drei­ßi­ger und vier­zi­ger Jah­ren argu­men­tier­te bereits unse­re klei­ne trotz­kis­ti­sche Grup­pe in Paläs­ti­na, die Kol-Hamaa­mad („Die Stim­me der Klas­se“) her­aus­gab, dass der Gedan­ke, das jüdi­sche Pro­blem in Paläs­ti­na lösen zu kön­nen, nicht nur wirk­lich­keits­fremd wäre, son­dern dass eine sol­che Ideo­lo­gie und die dar­aus abge­lei­te­te Pra­xis der Reak­ti­on und dem Impe­ria­lis­mus dienten.

1947/48 stell­ten wir uns gegen die Tei­lung des Lan­des und gegen die Errich­tung des Staa­tes Isra­el mit US-ame­ri­ka­ni­scher und sowje­ti­scher Hilfe.

Aber zwi­schen­zeit­lich zeig­ten sich die Fol­gen der mör­de­ri­schen Poli­tik Hit­lers und Sta­lins. Hun­dert­tau­sen­de ent­wur­zel­te und ver­zwei­fel­te Men­schen wie Hersch Men­del sahen nur noch einen Aus­weg. Sie bil­de­ten die Basis, auf der der Zio­nis­mus, der auch die Unter­stüt­zung des ame­ri­ka­ni­schen Impe­ria­lis­mus und der Kreml­bü­ro­kra­tie genoss, den jüdi­schen Staat aus­ru­fen und ver­tei­di­gen konnte.

Nach der Staats­grün­dung 1948 tru­gen auch die ara­bi­schen Staa­ten selbst mit ihrer bor­nier­ten anti­jü­di­schen und pro­im­pe­ria­lis­ti­schen Poli­tik dazu bei, erneut hun­dert­tau­sen­de Juden der zio­nis­ti­schen Fes­tung zuzu­füh­ren. Oben­drein kamen noch mas­sen­haft Leu­te aus dem vom Kreml beherrsch­ten Ost­eu­ro­pa, v. a. aus Rumä­ni­en, wo Sta­lin und sei­ne Nach­fol­ger unfä­hig und nicht wil­lens waren, das Pro­blem der natio­na­len Min­der­hei­ten in einem inter­na­tio­na­lis­ti­schen Sinn zu lösen.

Die­ser Staat, des­sen Errich­tung wir kri­ti­sie­ren und den wir noch heu­te als Büt­tel des Impe­ria­lis­mus begrei­fen, ist nach zwan­zig­jäh­ri­ger Exis­tenz ein Fak­tum, des­sen Aus­lö­schung durch wel­che ara­bi­schen Kräf­te auch immer nur neu­es Unglück und Mord und Tot­schlag erzeu­gen würde.

Die ara­bi­sche Revo­lu­ti­on und der Staat Israel
In dem ein­gangs zitier­ten Arti­kel „Das Ziel der Fatah: ein demo­kra­ti­sches Paläs­ti­na“ fin­det sich die fol­gen­de pro­gram­ma­ti­sche Aus­sa­ge: „… der revo­lu­tio­nä­re Kampf hat die bei­spiel- haf­ten natio­na­len Befrei­ungs­kämp­fe gegen Kolo­nia­lis­mus und Impe­ria­lis­mus zum Vor­bild. Die paläs­ti­nen­si­sche Befrei­ungs­be­we­gung Fatah erklärt fei­er­lich, dass das End­ziel die­ses Kamp­fes in der Wie­der­errich­tung des demo­kra­ti­schen und unab- hän­gi­gen Staa­tes Paläs­ti­na liegt, in dem alle Bür­ger unge­ach­tet ihrer Ras­se und Reli­gi­on glei­che Rech­te genie­ßen werden.“

Zunächst eine Rich­tig­stel­lung: Es gab nie einen „demo­kra­ti­schen und unab­hän­gi­gen paläs­ti­nen­si­schen Staat“. Daher kann man auch nicht von einer Wie­der­errich­tung spre­chen, son­dern höchs­tens von der Grün­dung eines demo­kra­ti­schen und unab­hän­gi­gen paläs­ti­nen­si­schen Staa­tes. Es gin­ge also hier um etwas Neu­es, noch nie Dage­we­se­nes. Es geht hier nicht um Wort­klau­be­rei­en, aber das soge­nann­te Paläs­ti­nen­ser­tum wird hier von den Ver­fech­tern einer sol­chen Staats­grün­dung zum Mythos erho­ben. Bis zum bri­ti­schen Man­dat war Paläs­ti­na gar kei­ne unab­hän­gi­ge staat­li­che Ein­heit, son­dern Teil eines viel grö­ße­ren Gesamt­ara­bi­ens unter tür­ki­scher Herr­schaft. Und als es dann zum Ter­ri­to­ri­um unter bri­ti­schem Man­dat wur­de, war es weder „demo­kra­tisch“ noch „unab­hän­gig“. Ich wer­de dar­auf noch zurückkommen.

In den Young Socia­list Notes, aus denen dies Zitat stammt, folgt anschlie­ßend eine nach dem Sechs-Tage-Krieg ver­fass­te Erklä­rung der I.S.O.: „Der Staat Isra­el muss einem tief­ge­hen­den revo­lu­tio­nä­ren Wan­del unter­wor­fen wer­den, der aus dem zio­nis­ti­schen einen sozia­lis­ti­schen Staat macht, der die Inter­es­sen der dort leben­den Mas­sen ver­tritt … Wir schla­gen daher fol­gen­de Losung vor: Für die Ent­zio­ni­sie­rung Isra­els und sei­ne Inte­gra­ti­on in eine Sozia­lis­ti­sche Uni­on des Nahen Ostens.“ [sie­he: www.iso-4-rhein-neckar.de/matzpen1]. Direkt im Anschluss heißt es dann von Sei­ten der Redak­ti­on von Young Socia­list: „Der revo­lu­tio­nä­re Kampf der Paläs­ti­nen­si­schen Befrei­ungs­be­we­gung ist ein Schritt in die­se Richtung.“

Die­se bei­den Erklä­run­gen unter­schei­den sich grund­le­gend von­ein­an­der. Ers­te­re – die der Fatah – erwähnt als Ziel ledig­lich ein „demo­kra­ti­sches und unab­hän­gi­ges Paläs­ti­na“, d. h. Isra­el exis­tiert ein­fach nicht mehr – ist verschwunden.

In einem nach­fol­gen­den Inter­view auf Sei­te 3 der­sel­ben Aus­ga­be von Young Socia­list wird der Vor­sit­zen­de des Ara­bi­schen Stu­den­ten­clubs an der Colum­bia Uni­ver­si­ty, Amr Arma­na­zi noch ein­deu­ti­ger: „Lang­fris­tig hof­fen die Kom­man­dos, die Struk­tur des zio­nis­ti­schen Staa­tes öko­no­misch und mili­tä­risch zer­bre­chen zu kön­nen und in Paläs­ti­na einen demo­kra­ti­schen lai­zis­ti­schen Staat zu errich­ten, der allen unab­hän­gig von ihrer reli- giö­sen Über­zeu­gung offensteht.“

In dem Kapi­tel über die Ent­ste­hung des Zio­nis­mus und des israe­li­schen Staa­tes habe ich ver­sucht, zu zei­gen, dass es sowohl unter huma­ni­tä­ren Gesichts­punk­ten als auch vom Stand­punkt eines sozia­lis­ti­schen Inter­na­tio­na­lis­mus unmög­lich ist, die Liqui­die­rung des israe­li­schen Staa­tes durch die paläs­ti­nen­si­sche Befrei­ungs­be­we­gung als revo­lu­tio­när zu begrei­fen. „Frei­heit“ von oben zu ver­fü­gen, führt weder zu „Demo­kra­tie“ noch zu „glei­chen Rech­ten“. Am Ende ste­hen nur natio­na­lis­ti­scher Hass oder eine neue Unterdrückung.

Die Erklä­rung der I.S.O., wonach „der Staat Isra­el einen tief­grei­fen­den revo­lu­tio­nä­ren Wan­del erfah­ren“ müs­se, heißt zunächst ein­mal nicht, dass er ver­schwin­den müs­se. Isra­el müs­se viel­mehr ent­zio­ni­siert wer­den. Anschlie­ßend und nur unter die­sen Umstän­den kön­ne man von einer „Inte­gra­ti­on in eine Sozia­lis­ti­sche Uni­on des Nahen Ostens“ sprechen.

Man kann die Gegen­sätz­lich­keit die­ser bei­den Posi­tio­nen nicht her­un­ter­spie­len. Zur Erin­ne­rung: Al Fatah will das Pro­blem der Flücht­lin­ge und Geflo­he­nen lösen, indem sie ein jüdisch-ara­bi­sches Paläs­ti­na mit Hil­fe mili­tä­ri­scher Aktio­nen unab­hän­gig vom Wil­len der jüdi­schen Bevöl­ke­rung Isra­els schafft.

Für die I.S.O. ist die Ent­zio­ni­sie­rung Isra­els die Vor­aus­set­zung sei­ner „Inte­gra­ti­on in die Sozia­lis­ti­sche Uni­on des Nahen Ostens“. Ent­zio­ni­sie­rung bedeu­tet: Ein Staat der Bevöl­ke­rung Isra­els und nicht der inter­na­tio­na­len jüdi­schen Gemein­de, ein Staat, der in jeder­lei Bezie­hung im Rah­men und in Zusam­men­ar­beit mit den Nach­bar­staa­ten exis­tiert und nicht als Erfül­lungs­ge­hil­fe der Groß­mäch­te gegen die­se Nach­bar­staa­ten. Mit an- deren Wor­ten: Die Vor­aus­set­zun­gen für die Inte­gra­ti­on und den tat­säch­li­chen Über­gang müs­sen geschaf­fen werden.

Die I.S.O. stellt sich auf den Stand­punkt Lenins: „Die Frei­heit, sich zusam­men­zu­schlie­ßen, setzt das Recht auf Los­tren­nung vor­aus.“ (Rede vom 12. Mai 1917.). Die­se Posi­ti­on Lenins, die die I.S.O. auf­ge­grif­fen hat, ist kei­ne Phra­se. son­dern eine ganz kon­kre­te Not­wen­dig­keit, sowohl hin­sicht­lich der natio­na­len Fra­ge als auch der objek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen für die Errich­tung des Sozialismus.

Paläs­ti­na, Isra­el und die Uni­on des ara­bi­schen Ostens
Amr Aren­ana­zi, den wir oben zitiert haben („… hof­fen die Kom­man­dos, die Struk­tur des zio­nis­ti­schen Staa­tes zer­bre­chen zu kön­nen …“) ent­wi­ckel­te in sei­nem Inter­view eine Theo­rie, die anschei­nend der des Fatah-Füh­rers ent­spricht: „… die ara­bi­schen Revo­lu­tio­nä­re muss­ten ein­se­hen, dass eine voll­stän­di­ge Einig­keit unter den Ara­bern kei­nes­wegs uner­läss­lich ist, um wirk­sa­me Aktio­nen gegen den Zio­nis­mus durch­zu­füh­ren. Tat­säch­lich ist Isra­el erfolg­reich sei­ner Funk­ti­on als Brems­klotz sämt­li­cher nen­nens­wer­ter Eini­gungs­be­stre­bun­gen nach­ge­kom­men … Die inne­ren Kon­flik­te und Wider­sprü­che der ara­bi­schen Welt kön­nen nur gelöst wer­den, wenn die­ses Wirr­warr besei­tigt wird und alle Ener­gien auf die Wur­zel die­ser Kon­flik­te und Wider­sprü­che gerich­tet wer­den, d. h. gegen den israe­li­schen Staat als Brü­cken­kopf des Zio­nis­mus und Impe­ria­lis­mus im Nahen Osten.“

Mit sol­chen Ver­ren­kun­gen soll bloß das Schei­tern der ara­bi­schen Eini­gung ver­kleis­tert wer­den. Die Zio­nis­ten machen kei­nen Hehl dar­aus, dass die Ver­hin­de­rung der ara­bi­schen Ein- heit sei­tens der zio­nis­ti­schen Füh­rung Isra­els als vital für ihre Poli­tik ange­se­hen wird. Aber zu behaup­ten, dass Isra­el der Grund für die Unei­nig­keit des Nahen Ostens ist, beruht nicht auf einer objek­ti­ven Betrach­tung. Oder ist die syrisch-ägyp­ti­sche Ein­heit wegen Isra­el geschei­tert? Oder kann man Isra­el für die Erklä­run­gen der ver­schie­de­nen Regimes und Par­tei­en des Nahen Ostens ver­ant­wort­lich machen, wonach es kei­ne Ein­heit geben kann, solan­ge es kei­ne Anglei­chung der wirt­schaft­li­chen und sozia­len Gege­ben­hei­ten gibt? Die­se Auf­zäh­lung lie­ße sich fortsetzen.

Es sind Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen und der Ego­is­mus der ver­schie­de­nen ara­bi­schen Par­tei­en, dar­un­ter auch der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei­en, die bis heu­te mit allen Mit­teln eine Ein­heit ver­hin­dern und sabo­tie­ren. Damit erwei­sen sie dem Zio­nis­mus einen gro­ßen Gefal­len, nicht min­der auch den Groß­mäch­ten, die infol­ge der Zwis­tig­kei­ten sehr viel leich­ter die ara­bi­sche Nati­on schritt­wei­se unter ihre Kura­tel bekom­men. Die reak­tio­nä­ren Kräf­te bekämp­fen natür­lich auch jed­we­den fort­schritt­li­chen Ansatz. Für sie ist die Auf­he­bung der vom Impe­ria­lis­mus künst­lich gezo­ge­nen Gren­zen im Nahen Osten gefähr­lich. Für eine revo­lu­tio­nä­re Erhe­bung indes ist die natio­na­le Ver­ei­ni­gung der not­wen­di­ge ers­te Schritt. Die her­aus­ra­gends­te Tat der chi­ne­si­schen Revo­lu­ti­on von 1949/50 war denn auch die Ver­ei­ni­gung des Landes.
Amr Arma­na­zi macht es sich mit sei­ner Sicht­wei­se zu ein­fach: Für ihn ist Isra­el die Quel­le der inner­a­ra­bi­schen Kon­flik­te; daher müs­se man gegen Isra­el mar­schie­ren, um einen wei­te­ren klei­nen ara­bi­schen Staat – Paläs­ti­na – zu schaf­fen und Isra­el dort unterzupflügen.

Der Name Paläs­ti­na stammt von den Phi­lis­tern ab, die in der Anti­ke dort gelebt haben. Die Bezeich­nung erstreck­te sich nicht ein­mal auf das gesam­te Ter­ri­to­ri­um, das dann spä­ter von den Bri­ten so genannt wur­de. Die Ara­ber Paläs­ti­nas sind his­to­risch und als Nati­on inte­gra­ler Bestand­teil der Gesamt­heit der Ara­ber des Nahen Ostens. Der Staat Paläs­ti­na ist rea­li­ter ledig­lich das Pro­dukt der Auf­tei­lung von Ein­fluss­sphä­ren zwi­schen Eng­land und Frank­reich wäh­rend des Zer­falls des osma­ni­schen Rei­ches nach dem Ers­ten Weltkrieg.

Arma­na­zi (und mit ihm die Füh­rer der Fatah) den­ken: „… die ara­bi­sche Ein­heit ist kei­ne unab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung, um gegen den Zio­nis­mus erfolg­reich agie­ren zu kön­nen.“ Des­we­gen machen die paläs­ti­nen­si­schen Revo­lu­tio­nä­re ihren eige­nen Laden auf: den paläs­ti­nen­si­schen Staat. Dass so „erfolg- reich gegen den Zio­nis­mus agiert“ wer­den kann, möch­te ich – ohne dar­auf jetzt näher ein­zu­ge­hen – bezweifeln.

Von Inter­es­se für uns sind in die­sem Zusam­men­hang zwei ent­schei­den­de Probleme:
1. die Gefahr, dass hier ein wei­te­rer, näm­lich der paläs­ti­nen­si­sche Par­ti­ku­la­ris­mus zum Mythos erho­ben wird, und
2. dass das „Paläs­ti­nen­ser­tum“ die Lösung des israe­lisch-ara­bi­schen Pro­blems in einem revo­lu­tio­när-inter­na­tio­na­lis­ti­schen Sin­ne desavouiert.

Grund­sätz­lich hat nie­mand das Recht, einem ande­ren vor­zu­schrei­ben, was er als sei­ne Natio­na­li­tät anzu­se­hen hat. Man könn­te daher ein­wen­den, dass es deren eige­ne Ange­le­gen­heit ist, wenn sich die Paläs­ti­nen­ser als eige­ne Nati­on kon­sti­tu­ie­ren wol­len und sei es nur für einen umris­se­nen Zeit­raum. Kon­kret ist es jedoch so, dass Paläs­ti­na ein ara­bi­sches Pro­blem im Gan­zen ist, was hier nicht noch ein­mal dar­ge­legt wer­den muss, und dass ande­rer­seits das israe­lisch-ara­bi­sche Pro­blem nur im Rah­men des gesam­ten Nahen Ostens gelöst wer­den kann.

Ich unter­strei­che noch­mals das oben gesag­te: Ein bina­tio­na­ler paläs­ti­nen­si­scher Staat ist unfä­hig, auch mit noch so gutem Wil­len sei­ne natio­na­len, öko­no­mi­schen, sozia­len und kul­tu­rel­len Wider­sprü­che zu über­win­den. Ein sol­cher Staat kann die­se Wider­sprü­che nur auf ande­rer Ebe­ne auf­lo­dern las­sen und der Reak­ti­on vor Ort und dem Impe­ria­lis­mus in die Arme arbeiten.

Die Nei­gung der Fatah zum Par­ti­ku­la­ris­mus ist die logi­sche Kon­se­quenz aus dem Unver­mö­gen der herr­schen­den Regime im Nahen Osten. Die­se Regime kön­nen ihre poli­ti­schen und sozia­len Pro­ble­me nicht lösen und zu kei­ner Eini­gung der Län­der des Nahen Ostens gelan­gen. Eben­so kön­nen sie nur in nega­ti­ver Wei­se zur Lösung des israe­lisch-ara­bi­schen Pro­blems und der unse­li­gen Lage der paläs­ti­nen­si­schen Flücht­lin­ge bei­tra­gen, und zwar so lan­ge, wie sie ihre Anstren­gun­gen nicht auf die Ver­ei­ni­gung die­ser Län­der rich­ten. Daher rüh­ren auch die eigen­stän­di­gen Akti­vi­tä­ten der Paläs­ti­nen­ser. Die­se Iso­lie­rung der Kämp­fer vor den Staats­ap­pa­ra­ten und den kon­ven­tio­nel­len Armeen birgt ein gewal­ti­ges revo­lu­tio­när-sozia­lis­ti­sches Poten­ti­al. Aber gleich­zei­tig beinhal­tet der Par­ti­ku­la­ris­mus poten­zi­ell reak­tio­nä­re Ten­den­zen bis hin zur Kapi­tu­la­ti­on vor den Staats­ap­pa­ra­ten, den inter­na­tio­na­len Wirt­schafts­mo­no­po­len (auf dem Erd­öl­sek­tor) und den Großmächten.

Fort­schritt und Sozia­lis­mus erfor­dern Offen­heit für alle Fra­ge­stel­lun­gen und eine weit­sich­ti­ge Per­spek­ti­ve. Zu die­sem Zweck muss ein Über­gangs­pro­gramm ent­wi­ckelt wer­den, das die­sen Inter­es­sen dient. Der bor­nier­te Par­ti­ku­la­ris­mus kon­ter­ka­riert das revo­lu­tio­nä­re Poten­ti­al der paläs­ti­nen­si­schen Kämpfer.

Isra­el und die Juden in der Welt
Die zio­nis­ti­sche Bewe­gung ver­steht sich als natio­na­le Befrei­ungs­be­we­gung der Juden auf der gan­zen Welt. Ich habe ein­gangs ver­sucht, den Ursprung des Zio­nis­mus wie auch sein Unver­mö­gen, die inter­na­tio­na­le jüdi­sche Fra­ge zu lösen, sowie die Umstän­de, die zur Grün­dung des Staa­tes führ­ten, aufzuzeigen.

Da in der Fra­ge der Bezie­hun­gen zwi­schen den in der gan­zen Welt leben­den Juden und Isra­el eine gro­ße Ver­wir­rung herrscht, soll hier noch etwas zu die­sem Punkt gesagt ange­merkt wer­den. Die israe­li­sche KP (Rakach) hat auf ihrem 16. Kon­gress im Juni die­ses Jah­res zum The­ma „Die jüdi­sche Fra­ge und der heu­ti­ge Zio­nis­mus“ fol­gen­de Reso­lu­ti­on ver­ab­schie­det: „Der gegen­wär­ti­ge Zio­nis­mus ist eine reak­tio­nä­re Ideo- logie und eine Poli­tik der pro­im­pe­ria­lis­ti­schen jüdi­schen Bour- geoi­sie. Deren Zen­trum liegt in Isra­el und in den USA.“

Die Ver­tre­ter der Kreml-Stra­te­gie hal­ten es für einen enor­men theo­re­ti­schen Bei­trag, wenn sie die Zio­nis­ten als Bour­geois mit Zen­trum in den USA cha­rak­te­ri­sie­ren. Hin­ge­gen war der Zio­nis­mus weder in der Ver­gan­gen­heit noch ist er gegen­wär­tig eine „Ideo­lo­gie“ und eine „Poli­tik“ der inter­na­tio­na­len jüdi­schen Bourgeoisie.

Die jüdi­schen Kapi­ta­lis­ten in der gan­zen Welt sind Bestand­teil der bür­ger­li­chen Klas­se in den jewei­li­gen Län­dern, in denen sie leben. Ihre Exis­tenz als Klas­se hängt ab vom ame­ri­ka- nischen, eng­li­schen, fran­zö­si­schen, süd­afri­ka­ni­schen etc. Kapi­ta­lis­mus. Dort haben sie jeweils ihr Kapi­tal inves­tiert. Der Kapi­ta­list jüdi­scher Her­kunft, der in den USA oder in Frank­reich lebt, ist kein jüdi­scher Kapi­ta­list, son­dern ein ame­ri­ka­ni­scher oder französischer.

Sicher­lich ist ein Teil der jüdi­schen Bour­geoi­sie Isra­el inner­lich sehr stark ver­bun­den, was übri­gens für vie­le ande­re gesell­schaft­li­che Schich­ten eben­falls zutrifft. Aber das jüdi­sche Groß­ka­pi­tal inves­tiert nicht sei­ne Reich­tü­mer in Isra­el. Die Roth­schild-Dynas­tie aus Paris hat vor ein paar Jah­ren im Rah­men fran­zö­si­scher (Wirtschafts-)Interessen eini­ge Inves­ti­tio­nen in Isra­el vor­ge­nom­men. Aber als die­se Inter­es­sen nicht mehr gege­ben waren und die fran­zö­si­sche Regie­rung soge­nann­te Sank­tio­nen ver­häng­te, inves­tier­ten die Roth­schilds auch nicht mehr in die Pipe­line, die Eilat mit dem Mit­tel­meer ver­bin­den soll­te. Und die Roth­schilds sind nota­be­ne nicht zu den fran­zö­si­schen Klein­bür­gern zu zäh­len, die gehor­chen, wenn die Obe­ren befeh­len, son­dern gehö­ren selbst zu den Obe­ren und zäh­len zu den bedeu­tends­ten fran­zö­si­schen Profitgeiern.

Eine Ana­ly­se der Inves­ti­tio­nen in Isra­el wür­de zei­gen, dass die israe­li­sche Wirt­schaft nicht auf dem Kapi­tal grün­det, das die jüdi­schen Kapi­ta­lis­ten in der Welt dort inves­tie­ren. Die­se – jedoch nicht alle – sind bereit, mehr oder min­der Geld zu spen- den, vor allem, wenn sie dies von der Steu­er abset­zen kön­nen. Aber tat­säch­li­ches Kapi­tal inves­tie­ren sie nur in gerin­gem Umfang, weil ihnen die Unsi­cher­heit zu groß ist und die Pro­fi­te recht vage sind. Man­che haben inves­tiert, weil die israe­li­sche Regie­rung den Gewinn­trans­fer und regel­mä­ßi­ge Divi­den­den garan­tier­te, auch wenn das Unter­neh­men kei­nen Pro­fit abwarf.

Isra­el ist sei­ner Wirt­schafts­struk­tur und sei­nem Klas­sen­cha­rak­ter nach ein bür­ger­li­cher Staat. Die israe­li­sche Bour­geoi­sie herrscht dort wie jede ande­re Bour­geoi­sie der Welt auch. Aber weder sei­nem Ursprung nach noch hin­sicht­lich der aktu­el­len Kon­stel­la­ti­on Isra­els ist der Zio­nis­mus Ideo­lo­gie und Pra­xis des welt­wei­ten jüdi­schen Kapi­tals. Es ist viel­mehr so, dass die zio­nis­ti­sche Ideo­lo­gie und die rea­le Lage Isra­els als iso­lier­ter Fremd­kör­per in der Regi­on das Land zwangs­läu­fig in eine öko­no­mi­sche und poli­ti­sche Abhän­gig­keit vom Impe­ria­lis­mus geführt haben. Die Väter des poli­ti­schen Zio­nis­mus wuss­ten dies und han­del­ten entsprechend.

Inso­fern spricht die I.S.O. von Ent­zio­ni­sie­rung, was wir wei­ter oben erläu­tert haben. Die Ent­zio­ni­sie­rung ist jedoch nur mög­lich, wenn die jüdi­schen Mas­sen in Isra­el nicht nur hin­sicht­lich ihrer phy­si­schen Exis­tenz sicher sein kön­nen, wie Fatah ver­si­chert, son­dern auch in ihrer poli­ti­schen und natio­na­len Exis­tenz. Die Bevöl­ke­rung Isra­els ist kei­ne homo­ge­ne sozia­le Mas­se; es sind kei­ne Kolo­nia­lis­ten im klas­si­schen Sinn, da die meis­ten von ihnen zu den aus­ge­beu­te­ten Klas­sen gehö­ren. Aber nach den jahr­hun­der­te­lan­gen Erfah­run­gen steht die Fra­ge der Sicher­heit für alle an ers­ter Stelle.

Die paläs­ti­nen­si­sche Wider­stands­be­we­gung und Israel
Jas­sir Ara­fat, der Fatah-Füh­rer, äußer­te sich in der Tricon­ti­nen­ta­le vom Janu­ar 1969 fol­gen­der­ma­ßen: „Wir füh­ren die­sen Krieg, um aus unse­rem Land die mili­tä­ri­schen Besat­zungs­kräf­te zu ver­trei­ben, die der inter­na­tio­na­le Impe­ria­lis­mus auf­ge­stellt hat und die von den USA, dem bri­ti­schen Impe­ria­lis­mus und dem inter­na­tio­na­len Zio­nis­mus diri­giert werden …“

Die kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Kräf­te im Nahen Osten, in Isra­el und in den ara­bi­schen Staa­ten, wer­den vom US-Impe­ria­lis­mus bezahlt und gelei­tet. Der Staat Isra­el fun­giert für den Impe­ria­lis­mus als Poli­zist gegen die revo­lu­tio­nä­re ara­bi­sche Bewe­gung. Die­se Fak­ten muss man im Auge haben, wenn man eine Stra­te­gie der ara­bi­schen und der deut­lich gerin­ge­ren israe­li­schen Kräf­te ent­wi­ckeln will.

Den­noch müs­sen wir die kla­re Fra­ge stel­len: Was bedeu­tet es, „… die mili­tä­ri­schen Besat­zungs­kräf­te aus unse­rem Land zu ver­trei­ben …“? Und die Ant­wort muss eben­so klar ausfallen.
Ara­fat ver­gleicht sei­ne Bewe­gung mit der Befrei­ungs­front Viet­nams. Die „mili­tä­ri­sche Besat­zungs­macht“ dort ist die US-Armee, die in das Land ein­mar­schiert ist und hin­aus­ge­jagt wer­den muss. Die „Befrei­ungs­front“ muss gegen die Trup­pen des Gene­ral Ky, der sein Volk ver­ra­ten hat, kämp­fen, um das Land auch von den Fein­den vor Ort zu befrei­en. Aber die Trup­pen Kys und Thieus sind kei­ne „Besat­zungs­mäch­te“, denn es sind Viet­na­me­sen, die für die „Befrei­ungs­front“ gewon­nen wer-den müssen.

Wenn Ara­fat unter „Besat­zungs­mäch­te“ in Paläs­ti­na die israe­li­schen Streit­kräf­te ver­steht, die das West­jor­dan­land, den Gaza-strei­fen, die Sinai-Halb­in­sel und die Golan­hö­hen besetzt hal­ten, dann sind wir ein­ver­stan­den; die Rück­ga­be der besetz­ten Gebie­te ist eine grund­le­gen­de For­de­rung, auch wenn mit ihrer Durch­set­zung nicht die bestehen­den Pro­ble­me gelöst werden.

Aber Fatah redet in ihren diver­sen Erklä­run­gen davon, „die Struk­tu­ren des zio­nis­ti­schen Staa­tes zu zer­schla­gen“. In allen Vari­an­ten zu die­sem The­ma liegt der Schwer­punkt stets dar­in, die Rech­te der Juden zu übergehen.

Wenn die Paläs­ti­nen­si­sche Befrei­ungs­be­we­gung den Zio­nis­mus als Besat­zungs­trup­pe und Agent des Impe­ria­lis­mus bekämpft, gleich­zei­tig aber die Juden Isra­els nicht als Juden angrei­fen will, weil sie ihrer Mei­nung nach und den offi­zi­el­len Erklä­run­gen zufol­ge für einen gemein­sa­men Kampf gewon­nen wer­den sol­len, dann muss man auch ent­spre­chend handeln.

Die Explo­si­on einer Auto­bom­be inmit­ten fried­li­cher Händ­ler auf dem Gemü­se­markt in Jeru­sa­lem, die Explo­si­on einer Zeit­bom­be in der Men­sa der Uni­ver­si­tät von Jeru­sa­lem, die Explo­si­on auf dem Bus­bahn­hof von Tel-Aviv, wo mas­sen­haft Arbei­ter und klei­ne Hand­wer­ker sich auf dem Weg zur Arbeit befin­den, die Plat­zie­rung einer Bom­be am Ein­gang einer Zir­kus­vor­stel­lung und dut­zen­de sol­cher Aktio­nen kön­nen die Mas­sen bloß absto­ßen und enger an den Zio­nis­mus bin­den statt sie zu gewinnen.

Hier ein ande­res Bei­spiel für die Unfä­hig­keit der Füh­rungs­or­ga­ne, von einem inter­na­tio­na­lis­ti­schen Stand­punkt aus zu den­ken und zu han­deln. In der Platt­form der Volks­front für die Befrei­ung Paläs­ti­nas ist sehr oft vom Klas­sen­kampf die Rede, ohne dass je erklärt wird, was dar­un­ter ver­stan­den wird: „Denn der natio­na­le Kampf ist ein Kampf um das Land und die, die dafür kämp­fen, sind die Bau­ern, die von ihrem Land ver­trie­ben wor­den sind …“ (Aus Was Tun vom 28.10.1968.)

Dies bedeu­tet, dass die PFLP die jüdi­schen Bau­ern in Isra­el ein­fach mit den Kolo­nia­lis­ten und den Kolo­ni­al­län­dern gleich­setzt. Die­se jüdi­schen Bau­ern sol­len also aufs Neue ver­trie­ben und ihre Län­der von den Ara­bern in Besitz genom­men wer­den. Das nennt ihr also „Klas­sen­kampf“ und so soll das Pro­blem auf „demo­kra­ti­sche Wei­se“ gelöst wer­den und die israe­li­sche Bevöl­ke­rung für den gemein­sa­men Kampf gegen den Impe­ria­lis­mus gewon­nen werden?

Die „demo­kra­ti­sche“ Lösung der Boden­fra­ge besteht für die Sozia­lis­ten in der Agrar­re­vo­lu­ti­on. Ich will hier nicht fest­le­gen, ob und wie die Län­de­rei­en ver­teilt oder kol­lek­tiv bear­bei­tet wer­den sollen.

Wenn es für die Lösung des Agrar­pro­blems erfor­der­lich sein wird, wer­den die Län­de­rei­en zurück­ge­ge­ben. Aber auf alle Fäl­le ist die For­de­rung nach einem Eigen­tums­über­trag von einem Klein­bau­ern auf den ande­ren anhand ihrer natio­na­len Zuge­hö­rig­keit kein „Klas­sen­kampf“ son­dern bru­ta­les natio­na­lis­ti­sches Vor­ge­hen. Die jüdi­schen Sied­ler sind jahr­zehn­te­lang mit der glei­chen Bru­ta­li­tät gegen die ara­bi­schen Fel­la­chen vorgegangen.

Trotz­dem ist die Umkeh­rung die­ser Situa­ti­on kei­ne Lösung, son­dern wird die blu­tigs­ten und reak­tio­närs­ten Instink­te wecken. Der „Klas­sen­kampf“ in der Land­wirt­schaft besteht in der Agrar­re­vo­lu­ti­on, die bei­den Völ­kern in soli­da­ri­scher Wei­se gerecht wird und die Gewin­nung der jüdi­schen Bau­ern für die gemein­sa­me Sache ermöglicht.

Es gibt bestimm­te zio­nis­ti­sche Ten­den­zen (Uri Avnery, ver­ein­zel­te Mit­glie­der der Mapam u. a.), die sich für das Recht der Ara­ber auf Selbst­be­stim­mung aus­spre­chen, aber nur wenn sie sich als Föde­ra­ti­on mit Isra­el ver­ei­ni­gen. So eine Hal­tung ist natür­lich indis­ku­ta­bel. Wenn man gezwun­gen wird, eine Föde­ra­ti­on ein­zu­ge­hen, statt dies aus frei­en Stü­cken zu tun, kann man nicht von Selbst­be­stim­mung sprechen.

Aber genau­so ver­hält es sich in der Rea­li­tät mit der Hal­tung der Fatah Isra­el gegen­über. Es hört sich groß­ar­tig an, wenn sie erklä­ren: „Wir haben nicht zu den Waf­fen gegrif­fen, um zwei Mil­lio­nen Juden ins Meer zu trei­ben oder um einen Reli­gi­ons- oder Ras­sen­krieg anzuzetteln.“

Ich zweif­le nicht an der Auf­rich­tig­keit die­ser Erklä­rung. Aber ich bezweif­le aufs Ent­schie­dens­te, dass man von „Demo­kra­tie“ in einem von den ara­bi­schen Streit­kräf­ten erober­ten Paläs­ti­na spre­chen kann, wo Isra­el gegen den Wil­len der dort leben­den Juden auf­ge­löst wird, um ein bina­tio­na­les Paläs­ti­na zu werden.

Jede erzwun­ge­ne „Inte­gra­ti­on“ eines Vol­kes ist eine Unter­wer- fung. Eine Inte­gra­ti­on kann nur von den Juden selbst aus­ge­hen; und dafür müs­sen sie von den paläs­ti­nen­si­schen Be- frei­ungs­kämp­fern das Selbst­be­stim­mungs­recht erhal­ten. Die revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­ten haben kein Inter­es­se an der Errich­tung einer ana­chro­nis­ti­schen Staats­for­ma­ti­on, die dar­über hin­aus noch nicht ein­mal über die wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Basis für eine unab­hän­gi­ge Exis­tenz verfügt.

Wie bereits aus­ge­führt kann die Inte­gra­ti­on einer Nati­on in eine grö­ße­re For­ma­ti­on, d. h. in einen Ver­ei­nig­ten Nahen Osten jedoch nur von den zu inte­grie­ren­den Natio­nen selbst kom­men, in die­sem Fall also von Isra­el aus.

Damit soll nicht das Recht der Ara­ber beschränkt wer­den, ihren Befrei­ungs­kampf gegen die Beset­zung der Gebie­te und die Unter­wer­fung fort­zu­set­zen. Es ist im Gegen­teil sogar ihre ele­men­ta­re Pflicht. Aber wenn Ara­fat davon spricht, „eine mili­tä­ri­sche Besat­zungs­macht aus unse­ren Gebie­ten zu ver­trei­ben“ und an eine Auf­lö­sung des israe­li­schen Staa­tes in einem jüdisch-ara­bi­schen Paläs­ti­na denkt, dann ist dies gelin­de gesagt suspekt. Dies ist nicht mit Viet­nam zu ver­glei­chen. Es han­delt sich hier­bei nicht um eine ame­ri­ka­ni­sche oder sonst wie impe­ria­lis­ti­sche „Besat­zungs­macht“. Es han­delt sich um Isra­el, das zwar momen­tan sicher­lich im Sin­ne der Welt­mäch­te agiert, das aber eines Tages, wenn die­se ihre Schuld begli­chen zu haben glau­ben, von ihren jet­zi­gen Her­ren schnö­de fal­len gelas­sen wird. Die­se „mili­tä­ri­sche Besat­zungs­macht“ gilt es nicht aus Isra­el zu ver­trei­ben, son­dern man muss sie gedul­dig für die gemein­sa­me jüdisch-ara­bi­sche Sache gewin­nen, indem man anschau­li­che Über­zeu­gungs­ar­beit leis­tet und v. a. die natio­na­le Unab­hän­gig­keit zusi­chert. An die­ser Stel­le kön­nen auch die israe­li­schen revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­ten aktiv ansetzen.

Ich habe oben absicht­lich die Posi­ti­on der KP (Rakach) zitiert. Wenn näm­lich der Zio­nis­mus die Sache der inter­na­tio­na­len jüdi­schen Bour­geoi­sie ist, gilt dies auch für Isra­el. Für uns ist die­se Posi­ti­on irrig. Isra­el ist ein Staat, des­sen Wirt­schafts­sys­tem von den kapi­ta­lis­ti­schen Kon­kur­renz- und Markt­ge­set­zen bestimmt wird und der im Wesent­li­chen der Diens­te wegen exis­tiert, die er dem mäch­ti­gen Kapi­tal der welt­wei­ten Mono­po­le (und nicht dem jüdi­schen) leistet.

Die Nach­rich­ten­sen­dun­gen der Fatah im Radio in hebräi­scher Spra­che rich­ten sich nicht nur an die Israe­lis, son­dern zugleich an die Juden in der gan­zen Welt. Dies ist völ­lig fehl am Platz und schafft Arg­wohn. Dies sind zwei ver­schie­de­ne Wel­ten. Die Juden in der übri­gen Welt mit Isra­el in eins zu set­zen, genau das macht näm­lich der Zionismus.

Man muss auch auf­hö­ren, immer vom inter­na­tio­na­len Juden­tum und dem inter­na­tio­na­len Zio­nis­mus zu reden, was sehr häu­fig pas­siert. Der Begriff des „inter­na­tio­na­len Juden­tums“ hat einen bit­te­ren Nach­ge­schmack. Es erin­nert an das abscheu­li­che Mach­werk der zaris­ti­schen Anti­se­mi­ten, Die Wei­sen von Zion, das unglück­li­cher­wei­se auch ein paar Mal in ara­bi­scher Spra­che auf­ge­legt wor­den ist. Es erin­nert an die wider­li­che Pro­pa­gan­da der Nazis gegen das „Welt­ju­den­tum“, das angeb­lich den Pla­ne­ten beherr­schen woll­te. Es erin­nert eben­so an so vie­le Büro­kra­ten in den angeb­lich „sozia­lis­ti­schen“ Ländern.

Noch­mal: Isra­el ist ein Land, des­sen Bevöl­ke­rung wie in allen kapi­ta­lis­ti­schen Län­dern der Welt in Klas­sen geteilt ist. Der Zio­nis­mus spielt eine reak­tio­nä­re Rol­le. Aber die jüdi­sche Bevöl­ke­rung Isra­els kann nur für den anti­im­pe­ria­lis­ti­schen und sozia­lis­ti­schen Kampf gewon­nen wer­den. wenn ihre phy­si­sche und natio­na­le Exis­tenz gewähr­leis­tet wird.

Man muss ihr mit Geduld klar­ma­chen, dass es nicht um einen neu­en Par­ti­ku­la­ris­mus geht, der nur den Groß­mäch­ten und der Reak­ti­on dient, son­dern dass es um eine revo­lu­tio­nä­re Bewe­gung geht, die eine gan­ze Regi­on umfasst und die glei­cher­ma­ßen gegen die ara­bi­sche Reak­ti­on wie gegen die zio­nis­ti­sche Reak­ti­on kämpft.

Ein­zig ein Ver­ei­nig­ter Sozia­lis­ti­scher Naher Osten wird imstan­de sein, die tra­gi­sche paläs­ti­nen­si­sche Fra­ge und das Flücht­lings­pro­blem zu lösen und eben­so die Ein­glie­de­rung der jüdi­schen Bevöl­ke­rung Isra­els, die in einer befrei­ten Regi­on ihren Platz findet.

Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Dezem­ber 2023
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