Warum ein Großkonzern zerschlagen wurde
H. N.
In diesem Jahr werden die KollegInnen von General Electric (GE) und früher ALSTOM noch massiver als bisher mit den Folgen der Zerschlagung konfrontiert werden. Insbesondere im traditionsreichen Käfertaler Werk drohen harte Attacken des neuen US-Eigentümers.
Am 21. Juni 2014 meldete die Konzernleitung von ALSTOM Vollzug. In der Bieterschlacht um den französischen Multi hatten Siemens und sein Partner Mitsubishi Heavy Industries das Nachsehen. Der Gigant GE kam hingegen zum Zug.
Die Vorgabe des ALSTOM-Hauptaktionärs Bouygues (29,4 % Anteile) aus dem zweiten Halbjahr 2013 war damit umgesetzt worden. ALSTOM - ein global agierendes Unternehmen in den Bereichen Kraftwerke (Power), Stromübertragung (Grid) und Schienenverkehrstechnik (Trans- port) mit rund 96.000 Beschäftigten und 20,3 Mrd. Euro Umsatz (Geschäftsjahr 2013 / 2014) - wurde in der Folge zerschlagen. Der Multimilliardär Bouygues benötigte „Cash“. Er wollte verstärkt im Mobilfunkmarkt aktiv sein, weil sich dort mit geringerem Einsatz schnellere und höhere Profite erzielen lassen.
Milliarden-Deal
Patrick Kron, Vorstandsvorsitzender von ALSTOM, Ritter der französischen Ehrenlegion und Hauptverantwortlicher für die Probleme des Konzerns, rühmte sich bei der Bekanntgabe des Handels mit GE, dass er „seinen“ ursprünglichen Plan durchgesetzt hätte. Alle wären Gewinner - ALSTOM, GE und der französische Staat.
Gewinner sind jedoch vor allem die Aktionäre und das Management von ALSTOM. Als Bonus für die jahrelange Ausplünderung des Konzerns, das kriminelle Missmanagement und die Zerschlagung von ALSTOM füllten sie ihre bereits prallen Geldsäcke noch mehr.
Rund 4 Milliarden Euro flossen auf ALSTOM-Konten. Der Löwenanteil davon ging an Bouygues. Konzernboss Kron erhielt laut französischer Presse einen Zusatzbonus von über 4 Millionen Euro, die 2.000 Konzernmanager insgesamt 60 Millionen Euro. Das war der Judaslohn für die Zerschlagung. Diese Unsummen gehören genau betrachtet den Beschäftigten, die durch ihre Arbeit diesen Geldsegen ermöglicht haben.
In einer eilig erstellten Information für Investoren und Analysten hatte ALSTOM bereits am 23. Juni 2014 die Ergebnisse des Mega-Deals wie folgt skizziert:
• GE erwirbt für 12,35 Milliarden Euro die konventionelle Energiesparte von ALSTOM, die für rund 70 Prozent des Gesamtumsatzes des französischen Konzerns steht.
• Es werden drei neue Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures) zwischen ALSTOM und GE gebildet, deren Grundlage bisherige ALSTOM-Geschäftsfelder sind.
• Diese sogenannten 50:50-Joint Ventures haben zur Folge:
- Die Stromübertragung- und verteilung von ALSTOM (Grid) wird mit GE Digital Energy zusammengelegt.
- Bei den Erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Offshore-Windanlagen, Tidenkraftwerke) wird ALSTOM das Recht zugestanden, dieses Gemeinschaftsunternehmen komplett zu übernehmen.
- Der weltweite Dampfturbinenbereich für Atomkraftwerke und das konventionelle innerfranzösische Dampfturbinengeschäft sowie die entsprechenden Services wurden zusammengefasst.
Dies war insbesondere im Interesse des französischen Staates. Er wollte sich so den Zugriff auf die „friedliche“ und damit natürlich auch die militärische Nutzung der Atomkraft sichern.
• ALSTOM wolle etwa 2,5 Milliarden Euro aus dem Erlös der Energiesparte in diese Gemeinschaftsunternehmen investieren.
Von ALSTOM ist derzeit noch die Transportsparte übrig geblieben, die von der Straßenbahn bis zum Hochgeschwindigkeitszug TGV fast alles herstellt, was auf Schienen fahren kann. Dort sind weltweit etwa 28.000 Menschen tätig, die etwa 30 % des früheren Gesamtkonzernumsatzes erzeugen. Das größte Werk befindet sich in Salzgitter.
Mittlerweile verdichten sich die Gerüchte, dass auch die Transportsparte nicht mehr lange in der bisherigen Form existieren wird.
General Electric
GE hat bereits damit begonnen, sowohl die von ALSTOM erworbene konventionelle Energiesparte als auch die von dem US-Konzern de facto beherrschten Gemeinschaftsunternehmen einem brutalen Gewinnmaximierungsplan zu unterwerfen. Dadurch soll der Kaufpreis schnellstmöglich wieder hereinholt werden.
Die von dieser Strategie betroffenen Belegschaften, ihre Interessenvertretungen und ihre Gewerkschaften - in Deutschland ist das die IG Metall (IGM) - müssen sich auf sehr harte Zeiten einstellen. GE hat nämlich absolut kein Verständnis für „Profit-Hemmnisse“ wie aktive Betriebsräte oder eine wirksame Tarifbindung.
Doch werfen wir zunächst einen Blick zurück. General Electric wurde 1892 in den USA gegründet. GE ist einer der größten und profitabelsten Mischkonzerne der Welt. Es ist das einzige Unternehmen, das seit der Einführung des 1896 neu eingeführten Dow Jones-Index dort bis heute gelistet wird.
Der US-Multi ist unter anderem in den Bereichen Energie, Finanzierung, Gesundheit, Luftfahrttechnik und Transport aktiv. GE war in den Jahren von 2001 bis 2005 laut Financial Times Global 500 das teuerste börsennotierte Unternehmen der Welt.
Rund 300.000 Beschäftigte, davon etwa 80.000 in Europa, erzeugen in über 100 Ländern laut Capital vom 22. Mai 2014 einen Jahresumsatz von rund 147,5 Milliarden US-Dollar (2013) und einen ausgewiesen Nettogewinn von rund 24,6 Milliarden Dollar.
In Deutschland ist GE an mehr als 70 Standorten mit rund 7.500 Beschäftigten vertreten. Energie, „Grüne“ Technologien, Medizintechnik, Forschung und Entwicklung sowie Finanzdienstleistungen sind hierzulande die hauptsächlichen Geschäftsfelder.
Die US-Konzernikone vollzieht einen ständigen Wandel ihrer Strukturen. Hunderte Fusionen und Unternehmensübernahmen wurden allein in den letzten Jahren gezählt.
Jack Welch
Maßgeblich geprägt wurde General Electric in seiner jetzigen Form von John Francis „Jack“ Welch jr., der 20 Jahre lang als Vorstandsvorsitzender amtierte. Welch ließ sich 1999 vom Wirtschaftsmagazin Fortune zum „Manager des Jahrhunderts“ küren.
Unter seiner Führung wuchs der Konzernumsatz von 27 Milliarden US-Dollar (1981) auf 130 Milliarden (2001). Während der Jahresgewinn sich versiebenfachte, verringerte sich gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten von 400.000 auf 300.000. Diese Politik brachte Welch auch den Beinamen „Neutronen-Jack“ ein.
Welch galt als radikaler Vertreter des „Shareholder values“, das heißt der Orientierung ausschließlich an den Interessen der (Haupt-)Aktionäre. Er erfand die „Diktatur der Zahlen“ als Prinzip der Unternehmens-Führung. Seine Strategie war simpel: Reparieren, Verkaufen oder Schließen („Fix it, sell it or close it“).
Unternehmensteile mit zu geringer Marge werden geschlossen oder verkauft, wenn sie nach zwei Jahren nicht die vorgegeben Zahlen erreichen. Andererseits werden profitablere oder mehr Gewinn versprechende Geschäfte zugekauft. Für die GE-Beschäftigten stellte Welch die „20-70-10-Regel“ auf. Ihr zufolge werden die „besten 20 Prozent“ - die „Stars“ - mit Boni belohnt. Die 70 % in der Mitte werden so gut als möglich gefordert und gefördert. Die „schwächsten“ 10 Prozent – verächtlich „Lemons“ (Zitronen) genannt – hingegen werden entlassen.
Management-Bonus
Keineswegs für die GE-Beschäftigten, aber für Welch persönlich zahlte sich diese Politik aus. Sein Privatvermögen wurde 2006 auf rund 720 Millionen US-Dollar geschätzt.
Welch hatte sich vor seinem Abtritt neun Millionen US-Dollar als Jahrespension garantieren lassen. Auf einige andere kleine Bonbons verzichtete er angeblich, nachdem Kritik laut geworden war (wie die freie Nutzung eines GE-Fliegers, ein Luxus-Appartement in New York und das kostenloses Speisen in einem Edelrestaurant…).
Im Frühjahr 2009 bezeichnete Welch übrigens unter dem Eindruck der „Finanzkrise“ das Shareholder-Value-Konzept als „dumme Idee“. Sein Nachfolger Jeffrey Immelt hat mittlerweile die GE-Finanzsparte zurechtgestutzt und den Konzern wieder auf industrielle Bereiche konzerntriert. Aber Welchs Strategie der „Diktatur der Zahlen“ verfolgt auch er weiter. Vor einigen Monaten hat GE deshalb zum Beispiel seine traditionelle Haushaltsgerätesparte abgegeben.
Durch die Zerschlagung von ALSTOM werden gewissermaßen nebenbei auch die bisherigen Interessenvertretungen der Beschäftigten auf europäischer und nationaler Ebene erledigt. GE hat bereits entsprechende unternehmenskonforme „Interessenvertretungs“-Strukturen vorbereitet, um die Tradition der gewerkschaftlichen Gegenmacht bei ALSTOM reibungslos „integrieren“ zu können.
Zudem hatte das deutsche ALSTOM-Management auf Geheiß der Pariser Konzernzentrale die hierzulande bis 2016 geltenden Standortsicherungs- und Beschäftigungsgarantien für Ende 2014 gekündigt. Bereits vorher waren auf Befehl der Konzernleitung zahlreiche Restrukturierungspläne ausgearbeitet worden. Sie haben im Power-Bereich von ALSTOM massiven Arbeitsplatzabbau bis hin zu Betriebsschließungen zum Ziel (Bexbach, Mannheim, Neumark, Stuttgart…).
„Dedicated to Excellence“ (D2E - „Der Spitzenleistung verpflichtet“) wurde dieses natürlich als „alternativlos“ propagierte Kahlschlagprogramm des Top-Managements getauft. D2E-Anstecknadeln am Sakko gehörten seitdem zur Pflichtausstattung des guten ALSTOM-Managers.
Aktionen des Widerstands
Gegen die Abbaupläne regte sich seit 2014 vielfältiger, auch in der Öffentlichkeit wahrnehmbarer Widerstand. Zum Beispiel Ende April 2014, als in der Mannheimer ALSTOM-Fabrik ein scharfer Konflikt um den Abtransport von Turbinenbauteilen in einer mehrtägigen Torblockade eskalierte. Oder am 12. Mai 2014, als rund 1.500 Beschäftigte während der Arbeitszeit vom Käfertaler Werk zum Mannheimer Alten Meßplatz demonstrierten.
Ferner am 2. Juni 2014, als rund 600 Kolleginnen und Kollegen aus Bexbach (Saarland) und aus vielen anderen ALSTOM-Standorten gegen den geplanten Stellenabbau in der örtlichen Fabrik für Turbinenschaufeln demonstrierten.
Dann am 23. Juni 2014, erneut in Mannheim, wo sich die Belegschaft zu einer Betriebsrats-Info unter dem Motto „Fünf vor Zwölf“ versammelte und lautstark gegen den drohenden Arbeitsplatzabbau protestierte.
Im Jahr 2015 hat zunächst die Warnstreikkundgebung der ALSTOM-Beschäftigten am 10. Februar in der Quadratestadt erneut Akzente des Protests gesetzt. Die Unruhe über befürchteten Arbeitsplatzabbau in der Produktion führte zu einer spontanen Info-Aktion der Mannheimer Fabrikbelegschaft am 13. Februar. Am 19. Februar folgte eine weitere Kundgebung im Rahmen der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie mit anschließender Demonstration in das Zentrum der nordbadischen Großstadt.
Die ALSTOM-Belegschaft nutzte diesen Protestmarsch, um Ihre Forderungen an General Electric, den Käufer der Energiesparte von ALSTOM, öffentlich zu machen: Erhalt aller Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie Anerkennung der Tarifverträge und der Betriebsratsstrukturen auf allen Ebenen.
Stellungskrieg
Bei ALSTOM war der heftige Streit zwischen Management und Konzernbetriebsrat um die Kündigung der Beschäftigungs- und Standortsicherungen sowie die „Restrukturierungspläne“ im Kraftwerksbereich in einer Art Stellungskrieg gemündet.
Der Versuch, über eine Einigungsstelle zur Konfliktlösung in diesem lang andauernden Streit zu gelangen, war gescheitert. Der Abbruch dieses Verfahrens war ein Alarmsignal. Das ALSTOM-Management bereite offensichtlich Betriebs- bzw. Bereichsschließungen mit betriebsbedingten Kündigungen in enger Abstimmung mit den neuen Konzernherren vor. Die Schließung des Neumarker Kesselbauwerks im letzten Jahr war nur der erste Schritt.
Reale Auswirkungen hatten auch die „Befriedungsversuche“ des Managements gegenüber den Belegschaften und ihren Interessen- vertretungen. Die von einer Beratungsfirma namens Hoss orchestrierten Angriffe mit gezielten Einschüchterungs- und Spaltungsmanövern wurden immer deutlicher. Erstens gab es Attacken gegen Wortführer der Interessenvertretungen bis hin zur Körperverletzung. Zweitens missachtete das Management die Rechte der Betriebsräte aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Und drittens waren immer mehr koordinierte Bestrebungen der Geschäfts-und Bereichsleitungen zu registrieren, die Belegschaften von ihren Betriebsräten zu trennen. Diesem Zweck dienten zum Beispiel vorab terminierte „Belegschaftsinformationen“ der Geschäftsleitung, um die Beschäftigten im Sinne des Managements zu beeinflussen und sie vom Besuch der angekündigten Betriebsversammlungen abzuhalten.
Insbesondere nach dem Konflikt Ende April 2014 – Nichtinformation des Betriebsrats über den Abtransport von Turbinenteilen aus dem Käfertaler Werk – verstärkte die Geschäftsleitung den Druck. Sie warf der Mannheimer Interessenvertretung zu Unrecht vor, keine Betriebsrats-Informationen durchgeführt, sondern „Blockaden“ und „wilde Streiks“ organisiert zu haben.
„Faire Chance“ ?
Die GE-Belegschaften, ihre IGM-Vertrauenskörper und Betriebsratsgremien sind gut beraten, sich gegen dieses Treiben verstärkt gemeinsam zu wehren und die Anstrengungen für die Durchsetzung des vom Betriebsrat 2014 geforderten Schutzschirms zu verstärken. Schließlich sollen auch unter GE alle Standorte sowie alle Arbeits- und Ausbildungsplätze verteidigt und tariflich abgesichert werden – nicht nur in Deutschland sondern auch international.
Am 1. November 2015 wurde der formelle Übergang der konventionellen Energiesparte von ALSTOM zu GE wirksam. Die EU-Kartellbehörde hatte dafür grünes Licht gegeben - allerdings mit der Auflage, den Bereich schwere Gasturbinen an den italienisch-chinesischen Konkurrenten Ansaldo zu verkaufen. Diese Entscheidung schwächt besonders das Mannheimer Werk.
Die vom Betriebsrat offiziell von GE geforderte „faire Chance“ wird sich - wenn überhaupt - nur durch massiven Kampf gegen die Profitmaximierer von GE durchsetzen lassen. Das sollten die Käfertaler KollegInnen nach über 30 Jahren Widerstand gegen Arbeitsplatzabbau niemals vergessen.