War gegen die „Kil­ler-Stra­te­gie“ von GE kein Kraut gewachsen?

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H. N.

Torblockade bei Alstom Mannheim, 17. April 2014. Foto: IGM VL Alstom

Tor­blo­cka­de bei Als­tom Mann­heim, 17. April 2014. Foto: IGM VL Alstom

Vor etwa 20 Mona­ten, genau­ge­nom­men am 20. Juni 2015, haben wir für die Zeit­schrift Luna­park 21 einen län­ge­ren Arti­kel ver­fasst, der sich mit   der Zer­schla­gung von ALSTOM und der Über­nah­me durch Gene­ral Elec­tric (GE) befasst.

Unter der Über­schrift „Dedi­ca­ted to Excel­lence“ („Der Spit­zen­leis­tung ver­pflich­tet“) ist dort unter ande­rem zu lesen: „Gene­ral Elec­tric wird zunächst die von ALSTOM erwor­be­ne kon­ven­tio­nel­le Ener­gie­spar­te und danach die von GE de fac­to beherrsch­ten Gemein­schafts­un­ter­neh­men einem bru­ta­len Gewinn­ma­xi­mie­rungs­plan unter­wer­fen. Dadurch soll der Kauf­preis schnellst­mög­lich wie­der her­ein­holt werden.

Die von die­ser Stra­te­gie betrof­fe­nen Beleg­schaf­ten, ihre Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen und ihre Gewerk­schaf­ten – in Deutsch­land ist das die IG Metall (IGM) – wer­den sich auf sehr har­te Zei­ten ein­stel­len müs­sen. GE hat näm­lich abso­lut kein Ver­ständ­nis für ‚Pro­fit-Hemm­nis­se‘ wie akti­ve Betriebs­rä­te oder eine wirk­sa­me Tarifbindung.“
Lei­der haben die­se Sät­ze durch den Abschluss des „Inter­es­sen­aus­gleichs und Sozi­al­plans“ bei GE Power eine Bestä­ti­gung erhal­ten. Das ist sehr schmerzhaft.
Umso mehr stellt sich die Fra­ge: War­um waren Kon­zern­be­triebs­rat und IG Metall nicht in der Lage, eine wirk­sa­me­re Ver­tei­di­gungs-Stra­te­gie zu entwickeln?
Ver­su­chen wir des­halb, eini­ge Stich­punk­te für eine ers­te, aber noch unvoll­stän­di­ge Ant­wort zu skizzieren.

Über­nah­me durch GE
1. Vor mehr als drei Jah­ren wur­den die Zer­schla­gungs- und Ver­kaufs­plä­ne des Pari­ser ALS­TOM-Manage­ments bekannt. Auf Sei­ten des Euro­päi­schen Betriebs­rats (EBR) und der dort ver­tre­te­nen Gewerk­schaf­ten fehl­te eine kla­re Ana­ly­se der Situa­ti­on und eine dar­aus abge­lei­te­te Verteidigungsstrategie.

2. Statt die­se gemein­sam zu erar­bei­ten, kam es zu einer sehr kon­tro­ver­sen Debat­te im EBR. Eine knap­pe Mehr­heit der EBR-Mit­glie­der um die deut­schen Ver­tre­te­rIn­nen ent­schied sich trotz der beson­de­ren Bedin­gun­gen des fran­zö­si­schen Rechts dafür, den Ver­kaufs­pro­zess an GE nicht zu blockieren.

3. Die­ser Mehr­heits­ent­schei­dung lag offen­sicht­lich eine nicht aus­rei­chen­de Kennt­nis des GE-Kon­zerns und sei­ner Metho­den zugrunde.

4. GE stieß zwar in Deutsch­land bei der Durch­set­zung sei­ner Abbau- und Stand­ort­schlie­ßungs­plä­ne auf mehr Hin­der­nis­se als in ande­ren Län­dern. Das lag an dem dort rela­tiv höhe­ren gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­grad und an den Mög­lich­kei­ten des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes. Aber auch hier­zu­lan­de war – trotz zahl­rei­cher auch standort­über­grei­fen­der Pro­test­ak­tio­nen – kei­ne wirk­sa­me Per­spek­ti­ve eines ent­schlos­se­nen Wider­stands zu erken­nen. Weder auf der Ebe­ne des Kon­zern­be­triebs­rats noch auf der Ebe­ne der IG Metall als bun­des­wei­ter Organisation.

Vom Wider­stand zum Taktieren
5. Beson­ders im Käfer­ta­ler Werk gab es eine seit über 30 Jah­ren leben­di­ge Tra­di­ti­on, mit kla­rer Kan­te und einer durch­dach­ten betrieb­li­chen, aber auch öffent­lich­keits­wirk­sa­men Mobi­li­sie­rung der Beleg­schaft gegen die Kahl­schlag­plä­ne der Kapi­tal­sei­te zu kämp­fen. Dabei wur­de in der Regel dar­auf geach­tet, für die Gegen­sei­te nicht bere­chen­bar zu werden.

6. Die­ser Weg wur­de nach dem Früh­jahr 2014 nicht mehr kon­se­quent beschrit­ten. Ein wesent­li­cher Grund hier­für war das alters­be­ding­te Aus­schei­den des „har­ten Kerns“ betrieb­li­cher Funk­tio­nä­re bis zu die­sem Zeit­punkt. Offen­sicht­lich ist es nicht gelun­gen, vor­aus­schau­end eine Wei­ter­ga­be des „Staf­fel­stabs“ sicherzustellen.

7. Ein ande­rer zen­tra­ler Fak­tor war die Dul­dung einer ab Som­mer 2014 immer deut­li­cher ein­set­zen­den Stell­ver­tre­ter­po­li­tik durch den Kon­zern­be­triebs­rat. Das geschah in Ver­bin­dung mit einem weder in den ört­li­chen Betriebs­rats­gre­mi­en noch in den Beleg­schaf­ten aus­rei­chend ver­mit­tel­tem Tak­tie­ren. All dies führ­te zu einer zuneh­men­den Abge­ho­ben­heit des Konzernbetriebsrats.

8. So beschleu­nig­te sich die Ent­po­li­ti­sie­rung ört­li­cher Betriebs­rats­gre­mi­en und min­der­te deren akti­ve Betei­li­gung. Zudem locker­te das nicht nur die Ver­an­ke­rung in Ver­trau­ens­kör­pern und Beleg­schaf­ten, son­dern unter­höhl­te das zuvor gro­ße Anse­hen und die Glaub­wür­dig­keit von Betriebs­rä­ten bei vie­len KollegInnen.

9. Die Chan­cen, wirt­schaft­li­chen Druck auf den Kon­zern aus­zu­üben, wur­den offen­bar nicht detail­liert beleuch­tet (z.B. im welt­wei­ten Ser­vice­ge­schäft, in der Pla­nung von Dampf­tur­bo­grup­pen, in der Inbe­trieb­nah­me, ja sogar in der Pro­duk­ti­on von Gasturbinen).

10. Die guten Mög­lich­kei­ten für die Ent­wick­lung von Alter­na­tiv­plä­nen gegen die Kahl­schlag­stra­te­gie der Kon­zern­lei­tung wur­den viel zu spät und zu zöger­lich ange­gan­gen. So konn­ten die zwar unvoll­stän­di­gen, aber durch­dach­ten tech­ni­schen und geschäft­li­chen Alter­na­ti­ven weder recht­zei­tig in den Beleg­schaf­ten noch in der Öffent­lich­keit ver­mit­telt wer­den. Umso mehr ver­moch­te sich das poli­tisch moti­vier­te und ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Anfor­de­run­gen des Kraft­werks­ge­schäfts  inkom­pe­ten­te Geba­ren des Manage­ments zuneh­mend als „alter­na­tiv­los“ durchsetzen.

11. Lei­der wur­de auch der hart­nä­cki­ge Aus­bau einer inhalt­li­chen Argu­men­ta­ti­on und deren Ver­mitt­lung in Beleg­schaft und Öffent­lich­keit ver­nach­läs­sigt. So wäre es mög­lich gewe­sen, stär­ke­ren Druck auf die Poli­tik auszuüben:
- durch die Skan­da­li­sie­rung von GE als „Job­kil­ler und Steu­er­ver­mei­der“ sowie als Betrei­ber von BR-Mob­bing und als gewerk­schafts­feind­li­cher Konzern 
- durch das Ein­for­dern eines „Schutz­schirms“ – ana­log zur Ban­ken­kri­se – für alle Arbeits- und Aus­bil­dungs­plät­ze bei GE
- durch die Bezug­nah­me auf Arti­kel 14 Grund­ge­setz und die „Sozi­al­bin­dung“ des Eigen­tums sowie die Mög­lich­keit der Ent­eig­nung von GE.

12. Es ist bezeich­nend, dass es im Mann­hei­mer Werk, das auf­grund sei­ner Grö­ße und gewerk­schaft­li­chen Tra­di­ti­on eine beson­de­re Rol­le im Kon­zern spiel­te, in den letz­ten Jah­ren nur zwei von der Beleg­schaft initi­ier­te Wider­stands­ak­tio­nen gab.
Zum einen die mehr­tä­gi­ge Tor­blo­cka­de im April 2014, mit der erfolg­reich der Abtrans­port von Tur­bi­nen­tei­len in die USA ver­hin­dert wur­de. Und zum ande­ren der fak­ti­sche Streik in der Pro­duk­ti­on und angren­zen­den Berei­chen Ende 2016. 
Es gab zwar eine lan­ge Lis­te von Akti­ons­vor­schlä­gen zur Ver­tei­di­gung der Arbeits- und Aus­bil­dungs­plät­ze. Aber die­se wur­de weder kon­se­quent abge­ar­bei­tet noch zuge­spitzt – zum Bei­spiel durch wei­te­re Blo­cka­de­ak­tio­nen, mehr­tä­gi­ge Betriebs­ver­samm­lun­gen oder gar eine Betriebsbesetzung.

Dik­ta­tur der Zahlen“
13. Die Stra­te­gie von Kon­zer­nen wie GE ist im Kern expli­zit poli­tisch: Es geht um die bru­ta­le Durch­set­zung einer gna­den­lo­sen „Dik­ta­tur der Zah­len“ und damit auch um die Ver­nich­tung bezie­hungs­wei­se Ver­hin­de­rung gewerk­schaft­li­cher und betrieb­li­cher Gegenmacht.

14. Um die­ses Ziel zu errei­chen, betrieb (und betreibt) das „Top-Manage­ment“ eine ziel­ge­rich­te­te Spal­tungs- und Ein­schüch­te­rungs­po­li­tik gegen­über den Beleg­schaf­ten und ihren Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen. Eini­ge Bei­spie­le: halt­lo­se Unter­stel­lun­gen („Auf­ruf zum Mord“) und gesteu­er­te Hetz­kam­pa­gnen gegen die KBR-Vor­sit­zen­de, „Erpres­sung und Lügen“ in den Ver­hand­lun­gen, „Mit­ar­bei­ter-Infor­ma­tio­nen“ zur Ver­wir­rung der Beleg­schaft und Ver­leum­dung der Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen, Boy­kott von Betriebs­ver­samm­lun­gen, Miss­ach­tung der Rech­te des Betriebs­rats aus dem Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz und vie­les mehr.

15. Dabei scheut GE kei­ne Mühen und Kos­ten. Mil­lio­nen hat allein der – steu­er­min­dern­de – Ein­satz exter­ner Anwalts­kanz­lei­en und „Bera­ter“ bis heu­te gekos­tet. Sogar die mas­si­ve betriebs­wirt­schaft­li­che Selbst­schä­di­gung durch unwi­der­ruf­li­ches Zer­stö­ren von hoch­kom­ple­xem Wis­sen im Kraft­werks­bau und den Ver­zicht auf die ange­bo­te­ne „Inves­to­ren­lö­sung“ (Über­nah­me der zur Schlie­ßung anste­hen­den Berei­che durch Bao Steel) nimmt der Kon­zern in Kauf. Nicht zuletzt kom­men dadurch ver­ur­sach­te mas­si­ve volks­wirt­schaft­li­che, sozia­le, gesund­heit­lich und öko­lo­gi­sche Fol­ge­kos­ten hin­zu. Sie müs­sen erst noch in das öffent­li­che Bewusst­sein gerückt werden.

Was tun?
16. Eine wirk­sa­me Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie gegen die­se Art von „wirt­schaft­li­chen Kriegs­füh­rung“ – oder bes­ser: gegen die­se Metho­den des Klas­sen­kampfs von oben – gilt es jetzt, aus den Erfah­run­gen bei GE zu ent­wi­ckeln und in der Pra­xis zu überprüfen. 
Sie wird sich offen­sicht­lich nicht allein auf die Ebe­ne des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes, auf eini­ge recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen und öffent­li­che Pro­test­ak­tio­nen beschrän­ken lassen.

Sie wird viel­mehr ein Bün­del von Fra­gen zu beant­wor­ten haben. Wie gelingt der Auf­bau bzw. die Ver­tei­di­gung von akti­ver gewerk­schaft­li­cher Gegen­macht in Betrieb und Gesell­schaft? Wie ist eine demo­kra­ti­sche Kon­trol­le nicht nur von ein­zel­nen Betrie­ben, son­dern von Kon­zer­nen mög­lich? Wel­che Veto­rech­te benö­ti­gen Betriebs­rä­te? Wie kann die Wirt­schaft ins­ge­samt so umge­stal­tet wer­den, dass sie der gro­ßen Mehr­heit der Gesell­schaft und nicht den Pro­fit­in­ter­es­sen weni­ger dient?

aus der Rhein-Neckar Bei­la­ge zur Avan­ti März 2017
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