Ein Leben gegen den Strom
W. A.
Vor 30 Jahren, am 22. September 1992, starb unser Freund und Genosse Willy Boepple im Alter von 81 Jahren. Der Tod ereilte ihn auf der Fahrt von Weinheim nach Mannheim, der Stadt in der er aufgewachsen und seit Anfang der 1930er Jahre politisch aktiv gewesen war.
Willy Rudolf Boepple, so sein vollständiger Name, wurde am 9. Juli 1911 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Entscheidende Daten der jüngeren deutschen Geschichte haben ihn geprägt – die Novemberrevolution 1918 und die zugespitzten Klassenkämpfe 1923 als Kind, die Errichtung der faschistischen Diktatur 1933, das Ende des Zweiten Weltkrieges 1945, die Gründung von BRD und DDR 1949, die Jugendrevolte 1968 und der Aufstand in der DDR 1989 als Erwachsenen.
Willy erlebte die Weimarer Republik als Lehrling im Hotel- und Gaststättengewerbe, Mitglied der Roten Hilfe und ehrenamtlicher KPD-Funktionär.
Den Faschismus überlebte er als KZ-Häftling, Kellner, Diplom-Hotelkaufmann, Soldat im Zweiten Weltkrieg und Deserteur.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war er Mitbegründer der KPD in Mannheim, Leiter der Kulturredaktion einer bürgerlichen Zeitung, Abgeordneter im Land- tag Württemberg-Baden und stellvertretender Fraktionsvorsitzender, jüngster Bezirksvorsitzender der KPD, Mitglied des Zentral- komitees der KPD und des gemeinsamen Parteivorstands von SED und KPD.
Aufrechter Gang
Sein Bruch mit dem Stalinismus 1949 beendete eine ungewöhnliche Parteikarriere aber nicht sein Engagement.
Als kommunistischer Dissident, Buchhalter im kleinen Schuhgeschäft seiner Frau Berta Boepple, politischer Organisator der deutschen Sektion der IV. Internationale, sozialistischer Journalist, Aktivist gegen Wiederbewaffnung und Aufrüstung, Unterstützer der Kolonialrevolution im Süden, der antistalinistischen Arbeitererhe- bungen im Osten und der antikapitalistischen Kämpfe im Westen, Getränkevertreter, kaufmännischer Angestellter und Betriebsrat ging er den aufrechten Gang.
„Staatsfeind“ im Faschismus, „Verfassungsfeind“ in der antikommunistischen Bundesrepublik, „Parteifeind“ in der stalinistischen DDR – so viele lebensgefährliche Etikettierungen durch die diversen deutschen Unterdrückungsapparate konnten nur sehr wenige seiner Zeitgenossen vorweisen.
In Wirklichkeit war er ein Mensch, mit dem man „sehr eng und besonders gern“ zusammenarbeiten konnte (Theo Pirker), der in seiner „Person die Kontinuität und Ehre des Kommunismus“ verkörperte (Ernest Mandel) und der „zu Recht als überragender Intellektueller“ und „glänzender Redner“ galt (Hermann Weber).
Ungewöhnliches Leben
Das alles und noch viel mehr ist der Stoff für eine Autobiographie Willy Boepples gewesen. 1984 hatte er auf unser Drängen begonnen, seine Erinnerungen aufzuschrei- ben, aber leider hatte er sie nicht vollendet.
„Es fehlt mir“, schrieb er am 4. Juni 1985 an den Verfasser dieser Zeilen, „ganz einfach die Motivation, die Überzeugung, dem Leser etwas zu vermitteln, was von politischer Relevanz ist.“
Nach Willy Boepples Tod stellte sich die Frage nach der Würdigung seines ungewöhnlichen Lebens und nach der Bewahrung seiner außerordentlichen Erfahrungen neu.
Wir haben deshalb später versucht, mit dem Buch Gegen den Strom eine Antwort auf diese beiden Fragen zu geben. Wir haben dafür Texte ausgewählt, die den Bogen schlagen von seiner Kindheit bis in die 1990er Jahre. Autobiographische Notizen, Diskussionsbeiträge, Aufrufe zur Aktion, Darstellungen, Bilanzen, Analysen, Kommentare, Polemiken und Briefe.
Weiter Blick
Sie alle geben einen Überblick über die vielfältigen Fragen, mit denen sich Willy Boepple auseinandersetzte. Trotz aller zeitbedingten Besonderheiten, trotz des Zerfalls des stalinistischen Lagers, trotz man- cher Fehleinschätzung ist die Aktualität seiner Themen (von A wie Atombomben bis Z wie Zerstörung der Umwelt) auch heute noch frappierend.
Seine Darstellung des eigenen Engagements für den revolutionären Internationalismus verschweigt auch dessen Schwächen nicht. Seine radikale Ablehnung des Kapitalismus wie des Stalinismus und sein konsequentes Eintreten für eine sozialistische Demokratie haben nichts an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Die aktuelle Verkettung existenzbedrohender Krisen bestätigt seine grundlegende Kritik des zerstörerischen Profitsystems.
Literatur:
Wolfgang Alles (Hg.), Gegen den Strom, Texte von Willy Boepple, (1911 - 1992), Köln 1997.