#Zero­Co­vid am Ziel?

Illu­sio­nen in der Öffnungseuphorie

N.B.

Die Infek­ti­ons­zah­len sin­ken seit Wochen, 35 Land- und Stadt­krei­se ver­zeich­ne­ten in den letz­ten sie­ben Tagen kei­ne ein­zi­ge Neu­in­fek­ti­on (Stand 08.07.). Ist #Zero­Co­vid damit am Ziel und als Kam­pa­gne überflüssig?

Die Initia­ti­ve #Zero­Co­vid Rhein-Neckar dis­ku­tiert wei­ter­hin zwei­wö­chent­lich online über die aktu­el­le Lage und mög­li­che Akti­vi­tä­ten. Laut dem IHME-Insti­tut der Uni­ver­si­tät Washing­ton sind bis­her mehr als 100.000 Men­schen allein in Deutsch­land und welt­weit mehr als 7 Mil­lio­nen an dem Virus gestorben.

Aktionstag ZeroCovid in Mannheim, 10. April 2021 (Foto:helmut-roos@web.de)

Akti­ons­tag Zero­Co­vid in Mann­heim, 10. April 2021 (Foto:helmut-roos@web.de)

10-15 Pro­zent der COVID-19-Erkrank­ten lei­den an Spät­fol­gen (Post Covid) wie extre­mer Erschöp­fung, Kopf­schmer­zen, Kon­zen­tra­ti­ons­schwä­che, Atem­not, dem Ver­lust des Geruchs- und Geschmacks­sinns sowie psy­chi­schen Fol­gen. Ob und wann die­se geheilt wer­den, ist der­zeit noch völ­lig unge­wiss. Viel Tod und Leid hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen, wäre früh eine Zero­Co­vid-Stra­te­gie gefah­ren worden.

Doch weder die Pan­de­mie noch die sozia­le und wirt­schaft­li­che Kri­se sind über­wun­den. Im Som­mer letz­ten Jah­res lagen die Inzi­den­zen auf einem nied­ri­ge­ren Niveau als heu­te. Danach ent­fal­te­te sich die noch viel grö­ße­re Kata­stro­phe der zwei­ten und drit­ten Welle.

Imp­fung gut, alles gut?
Was sich heu­te von der Situa­ti­on vor einem Jahr unter­schei­det, ist die Mög­lich­keit der Imp­fung für Erwach­se­ne und Jugend­li­che, zumin­dest in den reichs­ten Län­dern der Welt. Indes mutiert das Virus wei­ter. Für das Zurück­drän­gen der wesent­lich aggres­si­ve­ren Del­ta-Vari­an­te, die sich auch in Deutsch­land aus­brei­tet, ist eine Impf­quo­te von mehr als 80 Pro­zent nötig. Dank der chao­ti­schen und unso­li­da­ri­schen Impf­kam­pa­gne sind aber immer noch vie­le Men­schen der Prio­ri­täts­grup­pen 1-3 nicht geimpft. Eine vier­te Wel­le gilt als sehr wahrscheinlich.

Auch wenn die Infek­tio­nen momen­tan ins­ge­samt abneh­men, sind die Inten­siv­sta­tio­nen immer noch stark aus­ge­las­tet. Die mitt­ler­wei­le jün­ge­ren Patient*innen blei­ben län­ger, weil sie nicht so schnell ster­ben, aber auch nicht gene­sen. Für das Per­so­nal, das nun schon seit fast andert­halb Jah­ren weit über sei­ner Belas­tungs­gren­ze arbei­tet, ist kei­ne Ent­span­nung in Sicht, wenn nun auf­ge­scho­be­ne Behand­lun­gen nach­ge­holt wer­den. Hin­zu kom­men wei­ter­hin Ent­las­sun­gen von Krankenhauspersonal.

Öff­nungs­eu­pho­rie
Alle bis­he­ri­gen Erfol­ge in der Pan­de­mie­be­kämp­fung dro­hen von der poli­tisch und medi­al enorm gepush­ten Öff­nungs­eu­pho­rie wie­der gedämpft oder gar zer­stört zu wer­den. Wie schon nach der ers­ten und zwei­ten Wel­le bedro­hen die ver­früh­ten Öff­nungs- und Locke­rungs­schrit­te die Gesund­heit und das Leben tau­sen­der Menschen.

Gera­de die sozia­len Kon­tak­te, nach denen wir uns nach fast andert­halb Jah­ren in der Pan­de­mie so sehr seh­nen, wer­den durch die herr­schen­de Öff­nungs­po­li­tik gefähr­det: Durch die schritt­wei­se Auf­he­bung der Mas­ken­pflicht als ele­men­ta­re, ein­fa­che Maß­nah­me der Pan­de­mie-Ein­däm­mung. Oder durch inter­na­tio­na­le Rie­sen­ver­an­stal­tun­gen wie die Spie­le der Her­ren-Fuß­ball-EM, zu der ab dem Halb­fi­na­le in Lon­don 60.000 Zuschauer*innen aus ganz Euro­pa im Sta­di­on ihre Tröpf­chen und Aero­so­le aus­tau­schen durften.

Glo­ba­le Ungleich­heit auch im Gesundheitsschutz
Eine zen­tra­le For­de­rung der #Zero­Co­vid-Kam­pa­gne ist jetzt die Frei­ga­be der Impf­stoff­pa­ten­te und die schnel­le, kos­ten­güns­ti­ge Pro­duk­ti­on von Impf­stoff für alle Men­schen unab­hän­gig von ihrer Her­kunft und Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit. Die Patent-Rege­lung sorgt wei­ter­hin dafür, dass nur ein klei­ner Teil der Welt­be­völ­ke­rung in abseh­ba­rer Zeit Zugang zur Imp­fung haben wird, in den meis­ten Län­dern also nur die Reichs­ten. Die glo­ba­le Ungleich­heit wird damit wei­ter verschärft.

Die­je­ni­gen, die ohne­hin schon am schwers­ten unter dem Spät­ka­pi­ta­lis­mus lei­den, blei­ben Coro­na als zusätz­li­cher Gefahr für Gesund­heit und Leben wei­ter­hin schutz­los aus­ge­lie­fert. Dabei ist der Ein­satz für die Frei­ga­be der Paten­te nur ein ers­ter klei­ner Schritt zu einer huma­nen und gerech­ten Gesund­heits­ver­sor­gung. Wir müs­sen wei­ter­hin dafür ein­tre­ten, dass die Gesund­heits­ver­sor­gung aus der auf Pro­fit aus­ge­rich­te­ten „Markt­wirt­schaft“ gelöst und unter die demo­kra­ti­sche Kon­trol­le der­je­ni­gen gebracht wird, die sie betrifft: Beschäf­tig­te eben­so wie Patient*innen.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2021
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