Ein bestimmtes Menschenbild
Manuel Kellner
Jedwede Auflehnung gegen Unterdrückung wäre sinnlos, wenn das Bedürfnis, andere Menschen auszubeuten dem Menschsein wesentlich zugehörte. Ein anderes Menschenbild ist vorausgesetzt, um sich über Verhältnisse zu empören, in denen Menschen einander bekämpfen, bekriegen, versklaven und ausnutzen.
Für den Philosophen Ludwig Feuerbach war der Mensch grundlegend gut. Auch wenn er böse ist, handelt er doch gegen das, was er selbst für gut hält: Heuchelei ist darum die Verbeugung des Lasters vor der Tugend. Für Karl Marx hingegen sind die Menschen zu allem fähig, im Guten wie im Schlechten: Sie brauchen menschliche Verhältnisse um sich menschlich zu verhalten.
Mit dem Aufkommen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die den einzelnen Menschen Berufe zuweist und sie damit lebenslänglich an die Ausübung einer ganz bestimmten Art von Tätigkeit kettet, beginnt für Karl Marx die Entfremdung:
„Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (MEW 3, Die deutsche Ideologie, S. 33.)
Die Freien der griechischen Stadtstaaten trieben Politik, Philosophie, Künste und Sport. Sie betätigten ihre körperlichen und geistigen Kräfte um glücklich zu sein. Materielle Grundlage dafür war die Arbeit der Sklaven. In den späteren Klassengesellschaften waren die Produzentinnen und Produzenten ebenfalls von den „höheren“ Tätigkeiten ausgeschlossen.
Karl Marx Vorstellung von einer kommunistischen Gesellschaft sah die freie Entfaltung der menschlichen Anlagen für alle Mitglieder der Gesellschaft vor. Dafür ist ein hohes Niveau der Arbeitsproduktivität nötig, um die Arbeitszeit radikal zu verkürzen. Frei verfügbare Zeit betrachtete Marx als den „eigentlichen Reichtum“.
„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“ (MEW 25, Das Kapital, Bd. 3, S. 873.)
Wo die kreative Tätigkeit Selbstzweck ist, entwickelt sich die eigentliche menschliche Produktivität. Die verbleibende Pflichtarbeit, aufgeteilt auf alle arbeitsfähigen Menschen, so sehr sie auch „humanisiert“ wird, kann hingegen nie als wirklich freie Betätigung empfunden werden. Wenn die – ihrer Natur nach begrenzten – materiellen Bedürfnisse für alle reichlich befriedigt werden, verlagert sich die menschliche Tätigkeit und Bedürfnisstruktur weg von der Produktion von Sachen.
Im „Kommunistischen Manifest“ heißt es: „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (MEW 4, Manifest der Kommunistische Partei, S. 482.)
Woher wissen wir von der Produktivität der freien Selbstentfaltung und dem Glück, das sie verschafft? Von der Selbstvergessenheit eines Kinds im Spiel und von Erwachsenen, die voller Elan ihrem liebsten Hobby nachgehen.