H. S.
Seit mehreren Wochen gibt es auch in Mannheim unangemeldete „Spaziergänge“ gegen die Corona-Politik der Regierenden. Mit Parolen wie „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ und „Widerstand“ protestieren sie gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und vor allem das Impfen. Manche der Teilnehmenden verhalten sich sehr aggressiv.
Am Montag, den 27. Dezember 2021, regte sich dagegen erstmals breiter organisierter Widerstand. Auf Initiative zweier Grünen-Stadträte wurde unter dem Motto „Uffbasse! Solidarität in der Pandemie mit Abstand und Rücksicht!“ zur Gegenkundgebung aufgerufen. Insgesamt bildeten rund 500 Personen eine Menschenkette ums Rathaus. Wegen der Ab- standshaltepflicht hatten sie sich untereinander mit Schals verbunden.
Die Teilnehmenden an der Menschenkette machten deutlich, dass sie für Solidarität, Rücksichtnahme, Impfen und die Ein- haltung der Corona-Schutzmaßnahmen auf die Straße gehen.
Am Rande des Paradeplatzes gab es zusätzlich einen angemeldeten Infostand der „Omas gegen Rechts“. Sie klärten mit Flugblättern über die Unterwanderung der Montagsdemos durch faschistische Kräfte auf. Dabei wurden sie von rechten „Spaziergängern“ bedroht und von „Uffbasse!“-Unterstützern verteidigt.
An den beiden darauffolgenden Montagen wurde die Menschenkette bis zum Paradeplatz verlängert. Die Zahl der Beteilig- ten stieg auf etwa 1.000 an.
Die Mannheimer Initiative erhielt große mediale Aufmerksamkeit und ermutigte Ak-tive in vielen anderen deutschen Städten zu ähnlichen Kundgebungen – auch in Ludwigshafen und Weinheim.
„Corona-Proteste“ von rechts
Zu den „Spaziergängen“ in Mannheim hatte unter anderem der rechte Telegram-Kanal „Freie Pfälzer“ aufgerufen, offensichtlich in Anlehnung an die erfolgreichen Mobilisierungen der „Freien Sachsen“ in Ostdeutschland.
Solche Proteste werden von den Rechten benutzt, um ihren faschistoiden Begriff von „Freiheit“ auch im bürgerlichen Lager zu etablieren. Wesentliche Teile der „Querdenker“-Szene haben ihn bereits übernommen. Sie haben kein Problem damit, gemeinsam mit Rechtspopulisten und Faschisten zu demonstrieren.
Zudem finden die krudesten Verschwörungserzählungen immer mehr Verbreitung selbst bis in „linke“ und gewerkschaftliche Kreise hinein. Das ist eine äußerst bedenkliche Entwicklung.
Natürlich sind Proteste und Demonstrationen in der Auseinandersetzung mit der Corona-Politik notwendig. Aber doch nicht, weil die Regierung zu viel macht, sondern weil sie die Pandemie nicht konsequent bekämpft.
Den Regierenden sind die Profite der Konzerne wichtiger als die Gesundheit der Menschen. So wurde zum Beispiel die Pandemie-Risikoanalyse der Bundesregierung von 2012 vollständig ignoriert. Dort sind die Auswirkungen einer möglichen Pandemie im Detail beschrieben und darüber hinaus Handlungsanweisungen zur Prävention formuliert.
Trotzdem hatten die Regierenden keine Vorsorgemaßnahmen für eine Stärkung des Gesundheitssystems oder zur Vorhaltung von ausreichender Schutzausrüstung getroffen.
Verantwortliche benennen
Die Verantwortung des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der Regierungspolitik für die jetzige Situation muss benannt werden.
Zum Beispiel wegen
• der Zerstörung der natürlichen Lebens- grundlagen von Mensch und Tier, die die Entstehung von Zoonosen (Übertra- gung von Viren vor allem durch Tiere auf Menschen) begünstigt
• der tiefen Spaltung der Gesellschaften in arm und reich, die sich gerade in der Pan demie noch weiter verschärft
• der Nichtfreigabe der Impfstoffpatente zur besseren Versorgung der ärmeren Länder mit den notwendigen Impfstoffen
• der unhaltbaren Situation im Pflegbe- reich und die Überlastung der schlecht bezahlten Beschäftigten.
Das sind wichtige Punkte, die auf den Demos und Aktionen sicht- und hörbar gemacht werden müssen.
Notwendige Kritik von links
Der notwendige und berechtigte Protest gegen die Regierungspolitik kommt aber bei den Menschenketten viel zu kurz, auch weil zu oft Linke nicht mit den „etablierten“ Kräften demonstrieren wollen. Dabei wäre es gerade beim Thema Corona erforderlich, antikapitalistische Forderungen und regierungskritische Positionen auch in diesem Milieu zu vertreten.