(Offener Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann)
Das “Bündnis sicherer Hafen Mannheim” hat am 30.03.2020 einen offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann geschickt. Wir dokumentieren nachstehend diesen Brief. Sofern möglich, könnt ihr die beigefügten Dateien weiter verteilen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,
wir sind schockiert darüber, dass Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie keine Flüchtlinge mehr aufnimmt! Wir leben derzeit alle in einem Ausnahmezustand und werden täglich dazu angehalten, uns solidarisch mit den besonders Schutzbedürftigen in unserer Gesellschaft zu verhalten. Solidarität aber kennt keine Grenzen. Gerade jetzt ist es unsere Pflicht, uns um die extrem Schutzbedürftigen zu kümmern!
Die Lage eskaliert in den griechischen Flüchtlingslagern, an der türkisch-griechischen Grenze ebenso wie an der syrisch-türkischen Grenze. Menschen sind verzweifelt, leben im Nichts, bar jeglicher Grundversorgung, mit der Angst vor Covid-19 – und wir alle schauen tatenlos zu. „Ärzte ohne Grenzen“ fordert seit Mitte März die sofortige Evakuierung der Flüchtlinge aus den griechischen Lagern, weil die Lebensbedingungen dort ein idealer Nährboden für Covid-19 sind. Verharren wir weiter im Zuschauen und Nichtstun, werden wir uns verantworten müssen für den Tod unzähliger Menschen – und vor nachfolgenden Generationen, die uns die Frage stellen werden, warum wir nichts unternommen haben.
Wir, das zivilgesellschaftliche Bündnis „Sicherer Hafen Mannheim“, fordern Sie deshalb dringend auf, umgehend ein Landesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Gang zu setzen! Sie haben dies erfolgreich 2015/16 für 1.000 verfolgte Jesidinnen geschafft. Damals gab es keinen EU-Beschluss zur Aufnahme von Jesidinnen, dennoch sind Sie tätig geworden. Warum nicht auch jetzt? Wir wissen, dass bisher jegliche Bereitschaft Geflüchtete aufzunehmen, am Nein des Bundesinnenministers gescheitert ist. Um so notwendiger ist es, dass die Länder nicht nachgeben, damit sich der Druck auf das Bundesinnenministerium erhöht!
Die Bundesratsinitiative zur Änderung des Paragrafen 23 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz, über die im Juni abgestimmt wird, sieht vor, dass Länder und Kommunen künftig ohne Einvernehmen des Bundesinnenministeriums Flüchtlinge aufnehmen dürfen. Wir fordern Sie auf, alles daran zu setzen, damit die Landesregierung Baden-Württemberg der Bundesratsinitiative zustimmt! Das Land würde bei der Flüchtlingsaufnahme eigenständiger als bisher agieren können und die zahlreichen aufnahmebereiten Städte dürften endlich Flüchtlinge aufnehmen.
Wir verweisen auch auf das von EU-Parlamentarier Erik Marquardt in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, welches feststellt, dass den Bundesländern ein substanzielles Recht zusteht, Flüchtlinge aus humanitären Gründen eigenständig aufzunehmen.
Sehr geehrter Herr Kretschmann, wir erleben gerade einen eklatanten Werteverfall, denn alles, was derzeit in Griechenland und an der Grenze zu Griechenland geschieht (Refoulement, Kollektivausweisung, Abschiebung ohne Asylverfahren, die Aussetzung des Asylrechts, der Einsatz von Waffen gegen Flüchtlinge), verstößt gegen internationales Völkerrecht, das Europarecht, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention. Darüber hinaus hat der Beschluss der EU-Kommission und damit einhergehend die Entscheidung der Bundesregierung, die Aufnahme Geflüchteter auszusetzen, einen hohen Preis: Menschenleben nd das Fundament der EU, dieHumanität.
Es darf nicht sein, dass sich unsere PolitikerInnen kollektiv gegenseitig die Unmöglichkeit zum Handeln bestätigen und weiterhin Zeit vergeht, in der Menschen unendlichem Leid ausgesetzt sind. Wir erwarten von allen Verantwortlichen, von allen Politikern und Politikerinnen deutlich mehr Einsatz als bisher! Alles andere führt uns in barbarische Zeiten und in ein Europa, das zunehmend zur „Festung“ wird.
Sehr geehrter Herr Kretschmann, Sie werden bundesweit und parteiübergreifend als politische und moralische Persönlichkeit hoch geschätzt. Nutzen Sie Ihren Einfluss, handeln Sie!
Das Land Baden-Württemberg muss ein klares humanitäres Zeichen setzen, indem es großzügig Menschen, die sich in höchster Not befinden, aufnimmt und ihnen ein Leben in Sicherheit und Würde bietet!
Mit freundlichen Grüßen
Bündnis „Sicherer Hafen Mannheim“