ISO-Som­mer­se­mi­nar 2021 zur “Pari­ser Kommune”

N. B.

Vor 150 Jah­ren mach­te sich die Pari­ser Kom­mu­ne dar­an, die „end­lich ent­deck­te poli­ti­sche Form“ (Marx) der direk­ten, selbst­ver­wal­te­ten Demo­kra­tie zu ent­wi­ckeln. Anlass für uns, auf die Erfah­run­gen der Kom­mu­ne – ihre Errun­gen­schaf­ten, aber auch ihre Feh­ler – zurück­zu­bli­cken und sie mit unse­rer heu­ti­gen Situa­ti­on in Bezie­hung zu set­zen. Einen gan­zen Nach­mit­tag lang beschäf­tig­ten wir uns daher bei unse­rem ISO-Som­mer­se­mi­nar am 7. August mit der Pari­ser Kom­mu­ne und lie­ßen den Tag mit unse­rem Som­mer­fest ausklingen.

In einem ers­ten Block mit zwei Refe­ra­ten und anschlie­ßen­der Dis­kus­si­on befass­ten wir uns mit den Gescheh­nis­sen vor, wäh­rend und nach der Pari­ser Kom­mu­ne. Auf einen all­ge­mei­nen his­to­ri­schen Über­blick folg­te ein Refe­rat über die Rol­le der Frau­en und ihrer Orga­ni­sa­tio­nen in der Kommune.

Blick in das Plenum des Sommerseminars am 7. August 2021 in Mannheim. (Foto: Avanti².)

Blick in das Ple­num des Som­mer­se­mi­nars am 7. August 2021 in Mann­heim. (Foto: Avanti².)

Die Bedin­gun­gen: Elend und Selbstorganisierung
Infol­ge der Indus­tria­li­sie­rung und meh­re­rer Krie­ge (zuletzt des Deutsch-Fran­zö­si­schen) leb­te die Pari­ser arbei­ten­de Klas­se 1870/71 in elen­den Ver­hält­nis­sen. In den Stadt­vier­teln bil­de­ten sich so in der Zeit der preu­ßi­schen Bela­ge­rung sozia­le Ver­sor­gungs­netz­wer­ke, die ins­be­son­de­re von Frau­en orga­ni­siert wur­den. Sie soll­ten auch in der Zeit der Pari­ser Kom­mu­ne eine tra­gen­de Rol­le sowohl in der Sor­ge und der Ver­sor­gung als auch der direk­ten Ver­tei­di­gung der Kom­mu­ne spielen.

Ein­füh­rung der direk­ten Demo­kratie
Als die fran­zö­si­sche Thiers-Regie­rung die Kano­nen der Natio­nal­gar­de in einer Nacht-und-Nebel-Akti­on am 18. März 1871 ent­wen­den woll­te, erho­ben sich die Pariser*innen. Die Natio­nal­gar­de über­nahm die Macht, kün­dig­te aber sogleich Wah­len für den 26. März an – mit all­ge­mei­nem Män­ner-Wahl­recht: Das war damals ein gro­ßer Fort­schritt, obwohl Frau­en wei­ter­hin nicht teil­neh­men durften.

Als wesent­li­ches, her­aus­ste­chen­des Merk­mal der direk­ten Demo­kra­tie der Pari­ser Kom­mu­ne hob unser ers­ter Refe­rent her­vor, dass die Gewähl­ten rechen­schafts­pflich­tig und jeder­zeit abwähl­bar waren, sowie den durch­schnitt­li­chen Lohn eines Arbei­ters erhiel­ten. Im Gemein­de­rat (der Kom­mu­ne) waren unter­schied­li­che poli­ti­sche Strö­mun­gen vertreten.

Infra­struk­tur der Frauen
Wäh­rend die Frau­en von den höchs­ten Ämtern aus­ge­schlos­sen blie­ben, spiel­ten sie mit ihren Orga­ni­sa­tio­nen (ins­be­son­de­re das Frau­en­ko­mi­tee des Wach­sam­keits­ko­mi­tees Mont­mart­re und der Frau­en­bund) eine tra­gen­de Rol­le in der Orga­ni­sie­rung des all­täg­li­chen Lebens, der Ver­sor­gung mit dem Lebens­not­wen­di­gen, der Umge­stal­tung der Bil­dung, der Ver­sor­gung der Ver­wun­de­ten und nicht zuletzt der Ver­tei­di­gung der Kom­mu­ne auf den Barrikaden.

Von klei­nen und gro­ßen Ver­än­de­run­gen
Auf den Refe­ra­ten auf­bau­end dis­ku­tier­ten die Teil­neh­men­den das Ver­hält­nis von Ver­än­de­run­gen in ein­zel­nen gesell­schaft­li­chen Berei­chen wie der Bil­dung einer­seits und revo­lu­tio­nä­ren Umwäl­zun­gen der gesam­ten Gesell­schaft ande­rer­seits. Dabei kris­tal­li­sier­te sich die Pari­ser Kom­mu­ne als her­vor­ra­gen­des Bei­spiel dafür her­aus, wie ein revo­lu­tio­nä­rer Umsturz, der die Orga­ni­sie­rung des gesell­schaft­li­chen Mit­ein­an­ders in die Hän­de der arbei­ten­den Klas­sen gibt, sich umge­hend auf alle gesell­schaft­li­chen Berei­che aus­wirkt. In den 72 Tagen bis zu ihrer blu­ti­gen Nie­der­schla­gung durch die Herr­schen­den der alten und fort­dau­ern­den Ord­nung unter­nah­men die arbei­ten­den Klas­sen in Paris enor­me Schrit­te in Rich­tung der Eman­zi­pa­ti­on und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on der Arbeit, der Bil­dung, des Woh­nens, der Sor­ge, um nur eini­ge Berei­che zu nennen.

Damals und heute
Im zwei­ten Block unse­res Som­mer­se­mi­nars zur Bedeu­tung der Pari­ser Kom­mu­ne heu­te wur­de beson­ders deut­lich, dass sie uns immer noch eine wich­ti­ge poli­ti­sche Inspi­ra­ti­on sein kann. Als Räte­sys­tem war sie Vor­bild aller spä­te­ren pro­le­ta­ri­schen Revo­lu­tio­nen. Wir dis­ku­tier­ten ins­be­son­de­re, wie eine direk­te sozia­lis­ti­sche Demo­kra­tie mit einer „arbei­ten­den Kör­per­schaft“ von Regie­rung und Gesetz­ge­bung (Exe­ku­ti­ve und Legis­la­ti­ve) aus­se­hen kann.

Das von den Teil­neh­men­den sehr posi­tiv bewer­te­te Semi­nar wur­de leben­dig gerahmt durch meh­re­re Kurz­fil­me und durch Musik. Abge­run­det wur­de es durch unser anschlie­ßen­des Som­mer­fest, bei dem wir zu küh­len Geträn­ken in fri­scher Som­mer­abend­luft und war­men Spei­sen vom Grill die Dis­kus­sio­nen des Semi­nars und des (poli­ti­schen) Lebens in locke­rer Atmo­sphä­re wei­ter­füh­ren konnten.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2021
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