Der kurze Frühling der Münchener Räterepublik
Manuel Kellner
Der erste Ministerpräsident von Bayern hieß Kurt Eisner. Er war Mitglied der dort sehr schwachen USPD. Vor Beginn der deutschen Revolution war er eher durch seine Theaterkritiken als durch eine besondere politische Rolle aufgefallen.
Eisner war auch nicht für die dauerhafte Errichtung einer Rätemacht, sondern durchaus für die Einberufung der Nationalversammlung. Seiner Meinung nach sollten Parlamente und Räte einander ergänzen. Doch wollte er zuerst die Konsolidierung der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, um die Errungenschaften der Revolution zu sichern.
Eisner war auch entschieden gegen die Wiederaufrichtung des Militarismus durch die Regierung Ebert/Scheidemann (MSPD), mit der er sich in einem eskalierenden Konflikt befand. Später wurde bekannt, dass die Reichsregierung schon im Februar 1919 den bayerischen Oberst von Epp mit Finanzmitteln ausgestattet hatte, damit er ein Freikorps gegen die Räte aufstellen konnte.
Eisner widersetzte sich zunächst energisch der Einberufung des bayerischen Landtags. Als dann in allen anderen Teilstaaten Landtage bestanden, gab Eisner nach und berief das bayerische Landesparlament für den 21. Februar 1919 ein.
Eisner konnte nicht mehr die Erfahrung machen, dass eine Doppelherrschaft von Regierungen – auf der Grundlage von Parlamentswahlen und der Vollzugsorgane von Räten – nur für vergleichsweise kurze Zeit möglich ist.
Kurz bevor Eisner die erste Tagung des Landesparlaments eröffnen wollte, streckte ihn ein Leutnant Graf Arco-Valley von hinten mit zwei Kopfschüssen nieder. Der Attentäter war zuvor Mitglied der monarchistischen Thule-Gesellschaft gewesen, die ihn wegen seiner von ihm verleugneten jüdischen Großmutter ausgeschlossen hatte. Vielleicht wollte er mit seiner feigen „Heldentat“ beweisen, dass er doch ein ganzer Kerl sei.
Kurz darauf wurde der MSPD-Innenminister Auer von einem Schlachter Lindner angeschossen, der irrtümlich annahm, Auer habe hinter den Kulissen das Attentat auf Eisner eingefädelt.
„Konfusionsräte“ an der Spitze
Viele Arbeiterinnen und Arbeiter sahen in der Einberufung des Landtags das eigentliche Attentat: ein Attentat auf die Revolution, und das nicht zu Unrecht. Auch mehrheitssozialdemokratisch dominierte Versammlungen – wie in Augsburg am 3. April 1919 – verlangten nun von der MSPD-Regierung Hoffmann die Ausrufung der bayerischen Räterepublik.
In der Nacht vom 6. auf den 7. April wurde diese vom Zentralrat der Räte, dem führende Mitglieder der MSPD (darunter die Minister Schneppenhorst und Segitz), der USPD, des Bauernbunds und der AnarchistInnen angehörten, auch tatsächlich proklamiert.
Nur die KPD weigerte sich mitzumachen. Sie verwies auf die wirklichen Kräfteverhältnisse im Reich und in Bayern sowie auf die fehlenden organisatorischen und bewusstseinsmäßigen Voraussetzungen, um gegen die Konterrevolution bestehen zu können.
Die rasselnde Proklamation kündigte ungeachtet dieser Einwände die eisenharte Diktatur des Proletariats an.
Das Urteil von Richard Müller, der Schlüsselfigur der Berliner Revolutionären Obleute, über diese Münchener Räterepublik, die auch die KPD als „Scheinräterepublik“ brandmarkte, lässt an Klarheit und Härte nichts zu wünschen übrig: „Das Ausrufen der Räterepublik war nichts anderes als elende gewissenlose Revolutionsspielerei politischer Streber und Caféhausliteraten, die sich an ihren eigenen Worten berauschten und sich im Wirbel der revolutionären Ereignisse nicht zurechtfanden, die von Ehrgeiz, Eitelkeit und Größenwahn geblendet das eigene Empfinden, Sehnen und Streben für das der Volksmasse hielten, die eine neue Welt schaffen wollten, von der sie sich selbst noch kein Bild zu geben vermochten und die doch nur unbewusst die Geschäfte der Gegenrevolution besorgten. Die Regierung dieser Räterepublik: Landauer, Toller, Dr. Lipp, Mühsam, Silvio Gsell, Kübler, Wurzelhofer, Niekisch, Dr. Wadler usw. war die Verkörperung der vollendetsten Konfusion.“
Regierungsübernahme durch die KPD
Jedenfalls war diese neue Regierung den immensen Schwierigkeiten in keiner Weise gewachsen. Die Reichsregierung und die Landesregierung Hoffmann in Bamberg drehten ihr den Geldhahn ab, die Bauern verweigerten die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln. Die Landesregierung schickte sich an, Truppen unter genau dem Minister Schneppenhorst, der kurz zuvor mit zur „Diktatur des Proletariats“ aufgerufen hatte, gegen München marschieren zu lassen.
Gestützt auf ein Mandat von revolutionären Betriebs- und Soldatenräten beschließt die KPD nunmehr, der bedrängten Räterepublik zu Hilfe zu kommen und sich selbst mit Eugen Leviné an ihre Spitze zu setzen. Wie repräsentativ diese Mandatierung war, kann ich nicht beurteilen, halte aber Richard Müllers Wort von „einigen hundert Zusammengetrommelten“ für eine polemische Übertreibung.
Diese zweite Räteregierung trifft auf allen Gebieten energische Maßnahmen, verbietet die bürgerliche Presse, beschlagnahmt Lebensmittel der Wohlhabenden, organisiert einen zehntägigen Generalstreik (zur Mobilisierung der Massen nötig, doch zugleich Gift für die ohnehin zerrüttete Versorgungslage), bewaffnet die Belegschaften der Betriebe und improvisiert eine Rote Armee, die an die 10.000 Köpfe gezählt haben dürfte.
Tatsächlich gelingt es, zwei bewaffnete Angriffe der innerbayerischen Konterrevolution zurückzuschlagen. Doch als die Reichswehr und Freikorps auf Befehl des zuständigen Ministers Noske (MSPD) schließlich gemeinsam mit über 100.000 Mann heranrücken, sind die Tage der Münchener Räterepublik gezählt.
In diesen letzten Tagen und unter dem immensen Druck waren die Akteure in den Räten zerstritten und operierten teils gegeneinander. Leviné zum Beispiel wurde wieder abgesetzt. Warum hatte er eigentlich die Kommandobrücke des sinkenden Schiffs betreten? Weder Richard Müller noch der französische Historiker Pierre Broué scheinen das zu verstehen.
Vor Gericht erwähnte Leviné die Hoffnung auf Entlastung durch neue revolutionäre Bewegungen anderswo in Deutschland. Wichtiger scheint aber sein anderes Motiv gewesen zu sein. Offenbar wollte er die Bewegung auch im Untergang nicht im Stich lassen, analog zu seinem Vorbild Karl Marx, der, die Niederschlagung der Pariser Kommune von 1871 erklärtermaßen vor Augen, dennoch die Teilnahme der Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) an dieser Kommune befürwortete.
Die Konterrevolution
Das Rasen der Konterrevolution nach der Unterdrückung der Münchener Räterepublik war furchtbar. Ein Beispiel unter vielen ist die blindwütige Erschlagung der Mitglieder eines katholischen Gesellenvereins. Sie hatten sich versammelt, weil die „bolschewistische Gefahr“ ja vorbei war. Die entfesselte Soldateska verstand kein bayrisch, meinte ein „Spartakistennest“ auszuheben und machte diese wehrlosen Menschen nieder.
An Eugen Leviné selbst wurde die erste politisch motivierte Hinrichtung in Deutschland seit der Niederschlagung der Revolution von 1848 verübt. In seiner Rede vor Gericht verteidigte er tapfer die Ehre der Münchener Arbeiterschaft, der KPD und seine eigene Ehre als Revolutionär gegen die niederträchtigen Verleumdungen des Staatsanwalts.
Berühmt geworden ist sein Ausspruch, die Kommunisten seien alle „Tote auf Urlaub“. Doch verdient diese Rede insgesamt ein aufmerksames Studium, weil sie revolutionäre Grundüberzeugungen hellsichtig erläutert. Das gilt ungeachtet des politisch unkorrekten Verweises auf „Neger“ unter den konterrevolutionären Soldaten, mit dem Leviné seine reaktionären Gegner im Gerichtssaal in Verlegenheit brachte.
Das Kainsmal der SPD
Der Autor Sebastian Haffner zieht eine vernichtende Bilanz der konterrevolutionären Politik der SPD: „Mitte 1919 war der deutschen Revolution das Genick gebrochen. Die SPD regierte jetzt einen bürgerlichen Staat, hinter dem als wirklicher Machtträger die von ihr herbeigerufene Gegenrevolution stand. Äußerlich war die Stellung der SPD glänzend wie nie zuvor – und wie nie nachher. Im Reich, in Preußen, in Bayern besetzte sie alle Spitzenpositionen. Aber ihre Macht war hohl. In dem bürgerlichen Staat, den sie wiederhergestellt hatte, blieb sie ein Fremdkörper. Für die gegenrevolutionären Freikorps, mit deren Hilfe sie ihn wiederhergestellt hatte, blieb sie ein Feind. Und ihre eigene Machtgrundlage hatte diese Arbeiterpartei zerstört, als sie die Revolution der Arbeitermassen niedergeschlagen hatte.“
Die SPD war schon mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 für den sozialistischen Emanzipationskampf verloren gewesen. Ihr Verhalten in der deutschen Revolution 1918/19 war ein entscheidendes Glied in der Kette von Ereignissen, die 1933 zur Machtergreifung der Nazis führten. Die SPD hat das nie aufgearbeitet, bis heute nicht.
In einer Hinsicht übertreibt Haffner aber. Der deutschen Revolution war trotz aller bitteren Niederlagen Mitte 1919 noch nicht das Genick gebrochen worden. Mit dem am 14. März 1920 beginnenden Generalstreik gegen den Kapp-Putsch sollte sie ihr Haupt ein weiteres Mal erheben.
Verstehen heißt auch, die rein deutschen Scheuklappen einmal abzulegen. Am 21. März 1919 hatte Béla Kun die Räterepublik in Ungarn ausgerufen. In dieser Zeit waren in ganz Österreich Arbeiterräte aktiv. Die sozialistische Weltrevolution schien sich unaufhaltsam auszubreiten, die russische Räterepublik nicht mehr allein zu stehen. Die „austromarxistischen“ Führer wie Otto Bauer und Friedrich Adler wollten jedoch die Macht der Räte so wenig wie die deutschen Ebert, Scheidemann und Noske. Sie hintertrieben den Aufstand. Die Niederlage der Rätebewegung in Wien Mitte Juni 1919 besiegelte das Schicksal der ungarischen Räterepublik und das vorläufige Zurückfluten der revolutionären Welle nach dem November 1918.
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Verwendete Literatur:
Pierre Broué, Révolution en Allemagne, Paris 1971.
Sebastian Haffner, Der Verrat, 1918/1919 – als Deutschland wurde, wie es ist, Berlin 1993.
Eugen Leviné, Rede vor Gericht; in: ders., Skizzen, Rede vor Gericht und anderes, Berlin 1925, S. 36–46.
Richard Müller, Der Bürgerkrieg in Deutschland, Berlin 1925.
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[Redaktionell überarbeitete Version des Artikels aus SoZ 4/2019.]