Aus­beu­tung 4.0 (Teil I)

Gestal­ten“ oder Gegen­macht stärken?

S. T.

Die Digi­ta­li­sie­rung stellt vie­le Gewiss­hei­ten in Fra­ge. Das mag beun­ru­hi­gen. Doch nichts tun und die Ent­wick­lun­gen ein­fach auf sich zukom­men las­sen, das wäre fatal.

Die Digi­ta­li­sie­rung wird vom Kapi­tal immer wei­ter vor­an­ge­trie­ben. Im pri­va­ten Bereich geht mensch damit in der Regel recht locker um. Ein gro­ßer Teil der Gesell­schaft befür­wor­tet sie und hat sich damit arran­giert. Vie­le begrü­ßen die­se Ent­wick­lung sogar mit Jubel und seh­nen sich nach wei­te­re tech­ni­sche Neuerungen.

Der Ein­fluss von Tech­no­lo­gien in unse­rem pri­va­ten Leben und im Arbeits­all­tag lässt sich kaum auf­hal­ten. Bran­chen und Beru­fe ändern sich oder ster­ben kom­plett aus. Gewerk­schaf­ten beschäf­ti­gen sich mit den „Chan­cen und Risi­ken“ der Digi­ta­li­sie­rung für Beschäf­tig­te. Sie sind größ­ten­teils zu dem Schluss gekom­men, dass die Digi­ta­li­sie­rung zwar nicht zu stop­pen, aber im Rah­men der „Mit­be­stim­mung“ zu gestal­ten sei.

Projektion des Chaplin-Films "Moderne Zeiten" in Wuppertal (Foto: Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Pro­jek­ti­on des Chap­lin-Films “Moder­ne Zei­ten” in Wup­per­tal (Foto: Wiki­pe­dia, CC BY-SA 3.0)

Vie­le Fragen
Doch, wo vie­les noch in der Ent­wick­lung ist, gibt es auch vie­le Fra­gen. Und die­se betref­fen fast alle.

Aus dem DGB-Index „Gute Arbeit 2016“ geht her­vor, dass ins­ge­samt 82 Pro­zent aller Beschäf­tig­ten von der Digi­ta­li­sie­rung betrof­fen sind. In der che­mi­schen Indus­trie sind es sogar 91 Pro­zent. Die elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on ist dabei nur die Spit­ze des Eis­bergs. Soft­ware­ge­steu­er­te Arbeits­ab­läu­fe und elek­tro­ni­sche Gerä­te wie Scan­ner oder Daten­bril­len zur Erfas­sung und Kon­trol­le von Arbeits­ab­läu­fen sehen über die Hälf­te der Befrag­ten in ihr Arbeits­um­feld einziehen.

Ana­ly­sen der Fol­gen von Digi­ta­li­sie­rung sind oft unein­heit­lich und in sich wider­sprüch­lich. Die Schät­zun­gen, wie vie­le Arbeits­plät­ze dadurch weg­ra­tio­na­li­siert wer­den und wie vie­le neu geschaf­fen wer­den, vari­ie­ren stark.

In der Indus­trie wird die Digi­ta­li­sie­rung in immer schnel­le­rer Tak­tung neue Fer­ti­gungs­ver­fah­ren, Pro­duk­te und Aus­beu­tungs­mo­del­le her­vor­brin­gen – mit weit- rei­chen­den Fol­gen für die Beschäf­tig­ten und ihre Arbeit. Etli­che Beru­fe wer­den sich ver­än­dern, etli­che neue (vor­nehm­lich hoch- spe­zia­li­sier­te) wer­den entstehen.

Künst­li­che Intel­li­genz (KI), Big Data und Cloud Com­pu­ting ermög­li­chen bis­her nicht bekann­te Akti­vi­tä­ten und Ana­ly­sen. Durch neue Ein- und Aus­ga­be­ge­rä­te und neue Ver­fah­ren wie die Daten­bril­le oder die Ges­ten­steue­rung wer­den Tätig­kei­ten tech­nisch grund­le­gend verändert.

Wis­sen ist dann nicht mehr nur ein sprich­wört­li­cher Macht­fak­tor. Pro­zess­wis­sen, die Bedie­nung elek­tro­ni­scher Gerä­te sowie der Umgang mit und die Ana­ly­se von Infor­ma­ti­ons­men­gen aus der digi­ta­li­sier­ten Pla­nung, Kon­struk­ti­on und Fer­ti­gung wer­den zu noch ent­schei­den­de­ren Fak­to­ren als bisher.

Vie­le Defizite
Doch es gibt gro­ße Defi­zi­te bei der Ent­wick­lung der Digi­ta­li­sie­rung. Die Beschäf­tig­ten und die Betriebs­rä­te wer­den über­wie­gend gar nicht oder zu spät ein­be­zo­gen, wenn es dar­um geht, die Digi­ta­li­sie­rung im Betrieb zu beschleu­ni­gen. Drei Vier­tel der Befrag­ten sagen, dass sie gar kei­nen oder kaum Ein­fluss dar­auf haben, wie digi­ta­le Tech­nik ein­ge­setzt wird. Wenn Beschäf­tig­te als Exper­ten ihres eige­nen Arbei­tens nicht gefragt wer­den, ist es sicher, dass die Ver­än­de­run­gen zu ihren Las­ten gehen.

Zum Bei­spiel funk­tio­niert in der Kaut- schuk­ver­ar­bei­tung eini­ges wie eh und je. Maschi­nen, die oft 30, 40 oder sogar 50 Jah­re alt sind, wer­den noch in vie­len Betrie­ben ein­ge­setzt. Und trotz­dem hat sich vie­les ver­än­dert. Seit eini­gen Jah­ren sind schritt­wei­se com­pu­ter­ge­stütz­te Pro­duk­ti­ons­tech­ni­ken hin­zu­ge­kom­men. Neue Anla­gen sind mitt­ler­wei­le zu gro­ßen Tei­len auto­ma­ti­siert. Die­se Ent­wick­lung setzt sich kon­ti­nu­ier­lich fort, und es ist zu erwar­ten, dass die Ände­run­gen jetzt nicht mehr lang­sam, son­dern immer schnel­ler kommen.

Vie­le Herausforderungen
Für betrieb­li­che und gewerk­schaft­li­che Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen stellt die Digi­ta­li­sie­rung eine der größ­ten Her­aus­for­de­run­gen der Gegen­wart dar. Denn es geht um nichts weni­ger als die Ver­tei­di­gung von tarif­lich und gesetz­lich geschütz­ten Arbeits­be­din­gun­gen in einer bru­ta­li­sier­ten Welt der digi­ta­li­sier­ten Aus­beu­tung. Es ist schon jetzt in der Welt von GAFA (Goog­le, Apple, Face­book und Ama­zon) zu sehen, wie radi­kal die „schö­ne neue Arbeits­welt“ ent­grenzt und die Gesell­schaft im Inter­es­se der Pro­fit­ma­xi­mie­rung tief­grei­fend ver­än­dert wird.

Gewerk­schaf­ten und Betriebs­rä­te müs­sen bei Stra­fe ihrer wei­te­ren Mar­gi­na­li­sie­rung und einer noch grö­ße­ren Bedeu­tungs­lo­sig­keit ver­ste­hen, was gesell­schaft­lich, wirt­schaft­lich und tech­nisch pas­siert. Es wird nicht aus­rei­chen, sich auf das Ein­tre­ten für mehr Qua­li­fi­zie­rung sowie Aus- und Wei­ter­bil­dung zu kon­zen­trie­ren sowie eine erwei­ter­te „Mit­be­stim­mung“ und eine „sozi­al ver­träg­li­che“ Digi­ta­li­sie­rung zu fordern.

Es bedarf einer grund­le­gen­den Wen­de der Arbeit von Betriebs­rä­ten und Gewerk­schaf­ten: weg von der „Mit­ge­stal­tung“ des Kapi­ta­lis­mus und der Aus­beu­tung, hin zu einer erfolg­rei­chen Stra­te­gie akti­ver Stär­kung von kämp­fe­ri­scher Gegen­macht in Betrieb und Gesell­schaft. Im Zen­trum die­ser Aus­ein­an­der­set­zung wer­den die Fra­gen der mas­si­ven Arbeits­zeit­ver­kür­zung bei vol­lem Lohn- und Per­so­nal­saugleich sowie der betrieb­li­chen und gesell­schaft­li­chen Kon­trol­le und Aneig­nung der digi­ta­len Welt stehen.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2019
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