Die Okto­ber­re­vo­lu­ti­on

Ein schwie­ri­ges, aber wich­ti­ges Erbe

 

Manu­el Kellner

Bekanntgabe der Absetzung der Provisorischen Regierung in Petersburg, 25. Oktober 1917 (07. November 1917). Foto:Gemeinfrei.

Bekannt­ga­be der Abset­zung der Pro­vi­so­ri­schen Regie­rung in Peters­burg, 25. Okto­ber 1917 (07. Novem­ber 1917). Foto: Gemein­frei. Über­set­zung des Pla­kat­tex­tes am Ende des Artikels.

Die Okto­ber­re­vo­lu­ti­on 1917 in Russ­land war kei­nes­wegs der Putsch einer klei­nen Min­der­heit, son­dern ein Auf­stand. Er stütz­te sich auf die Mehr­heit der in Räten  orga­ni­sier­ten Arbei­te­rIn­nen­klas­se der gro­ßen Städ­te und der über­wie­gend bäu­er­li­chen Bevölkerung.

Damals ging es nicht um die Alter­na­ti­ve „bür­ger­lich-par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie“ oder „bol­sche­wis­ti­sche Dik­ta­tur“. Es ging um die Alter­na­ti­ve „bru­ta­le Mili­tär­dik­ta­tur und Fort­set­zung des Kriegs“ oder „alle Macht den Sowjets (Räten)“. Die „gemä­ßig­ten“ sozia­lis­ti­schen Kräf­te (Sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re und Men­sche­wi­ki) unter­stütz­ten die bür­ger­li­che Pro­vi­so­ri­sche Regie­rung, die um jeden Preis den Krieg fort­set­zen woll­te. Sie wei­ger­te sich, sozia­le Refor­men durch­zu­füh­ren (Brot, Acht­stun­den­tag, Arbei­ter­kon­trol­le). Sie lehn­te es ab, den Bau­ern Land und den Natio­na­li­tä­ten Selbst­be­stim­mung zu geben. Die Bol­sche­wi­ki, leis­te­ten – obwohl sie seit den Juli­er­eig­nis­sen unter­drückt wor­den waren – ent­schei­den­de Hil­fe bei der Nie­der­schla­gung des Kor­ni­low-Putschs. Danach erran­gen sie inner­halb weni­ger Wochen die poli­ti­sche Hegemonie.

Im August 1917, weni­ge Mona­te vor der Revo­lu­ti­on, schrieb Lenin Staat und Revo­lu­ti­on. Er rekon­stru­ier­te die Posi­ti­on von Marx und Engels zur Fra­ge des Staa­tes auf­grund von deren Ver­ar­bei­tung der Erfah­run­gen der Pari­ser Kom­mu­ne von 1871. Lenin ver­trat ein radi­kal­de­mo­kra­ti­sches Kon­zept: An die Stel­le des alten Staats­ap­pa­rats soll­te ein Staat vom Typ der Pari­ser Kom­mu­ne tre­ten (die „Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats“), der von Anfang an den Keim des Abster­bens von Staat­lich­keit über­haupt in sich tra­ge. Eben in die­ser Tra­di­ti­on sah sich auch die jun­ge Sowjetrepublik.

Schon bald nach dem Sturz der Regie­rung Ker­en­ski muss­te die Sowjet­re­gie­rung jedoch ganz ande­re Maß­nah­men ergrei­fen. Der Bür­ger­krieg for­der­te Requi­si­tio­nen von Lebens­mit­teln auf dem Land („Kriegs­kom­mu­nis­mus“) und die Unter­drü­ckung der­je­ni­gen (auch, wenn sie sich sozia­lis­tisch nann­ten), die die Gegen­sei­te unter­stütz­ten. 1920 war der Bür­ger­krieg vor­bei, und doch beschlos­sen die Bol­sche­wi­ki auf ihrem X.Parteitag neben der begrenz­ten Libe­ra­li­sie­rung des Han­dels (Neue Öko­no­mi­sche Poli­tik) das Ver­bot der übri­gen Sowjet­par­tei­en und das Ver­bot der Frak­tio­nen in der eige­nen Partei.

Die Bol­sche­wi­ki fass­ten die rus­si­sche Revo­lu­ti­on als Auf­takt zur sozia­lis­ti­schen Welt­re­vo­lu­ti­on auf, zur Revo­lu­ti­on in den ent­wi­ckel­ten Indus­trie­län­dern. Bekannt­lich kam eine mäch­ti­ge revo­lu­tio­nä­re Wel­le über Euro­pa, die aber nicht zu sozia­lis­ti­schen Revo­lu­tio­nen führ­te. So ent­wi­ckel­te sich in der iso­lier­ten Sowjet­re­pu­blik die Büro­kra­ten­herr­schaft, die letzt­lich die Räte­de­mo­kra­tie voll­ends erwürgte.

Die Sowjet­uni­on ist im Dezem­ber 1991 end­gül­tig unter­ge­gan­gen, doch das Erbe der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on bleibt ein wich­ti­ger Bestand­teil des Kamp­fes für eine sozia­lis­ti­sche Demo­kra­tie des 21. Jahr­hun­derts. Vor allem die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von unten, die zum Auf­bau alter­na­ti­ver Staats­macht­or­ga­ne führt, der kon­se­quen­te Inter­na­tio­na­lis­mus und eine revo­lu­tio­nä­re Par­tei, die in Räten die Mehr­heit erobert, sind auch in der Zukunft mög­lich und nötig.

Erst bei einem hohen Grad selbst­be­stimm­ter kol­lek­ti­ver Akti­vi­tät kön­nen brei­te Mas­sen revo­lu­tio­nä­res Bewusst­sein ent­wi­ckeln. Das eman­zi­pa­to­ri­sche Pro­jekt der glo­ba­len sozia­lis­ti­schen Revo­lu­ti­on des 21.Jahrhunderts wird sich neben frü­he­ren und spä­te­ren Erfah­run­gen nicht zuletzt auch auf das Erbe der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on und der jun­gen Sowjet­re­pu­blik beziehen.

Über­set­zung des Plakattextes:

Vom Mili­tä­ri­schen Revo­lu­ti­ons­ko­mi­tee des Peters­bur­ger Rates der Arbei­ter und Soldaten-Deputierten
An die Bür­ger von Rußland
Die Pro­vi­so­ri­sche Regie­rung ist abge­setzt. Die Staats­macht ist in die Hän­de des Mili­tä­ri­schen Revo­lu­ti­ons­ko­mi­tees über­ge­gan­gen, einem Organ des Peters­bur­ger Rates der Arbei­ter- und Sol­da­ten-Depu­tier­ten, das das Pro­le­ta­ri­at und die Gar­ni­son Peters­burgs vertritt.
Die Zie­le, für die das Volk gekämpft hat – sofor­ti­ger demo­kra­ti­scher Frie­den, Ent­eig­nung des feu­da­len Groß­grund­be­sit­zes auf dem Land, Arbei­ter­kon­trol­le über die Indus­trie, Bil­dung einer Räte-Regie­rung – sind gesichert.
Lang lebe die Revo­lu­ti­on der Arbei­ter, Sol­da­ten und Bauern!
Mili­tä­ri­sches Revo­lu­ti­ons­ko­mi­tee des Peters­bur­ger Rates der Arbei­ter-und Soldaten-Deputierten
25. Okto­ber 1917, 10:00 Uhr

aus der Rhein-Neckar Bei­la­ge zur Avan­ti Okto­ber 2017
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