B. S.
Am 10. Mai 2020 wurden in Frankreich die – im Vergleich zu Deutschland relativ strengen – Ausgangsbeschränkungen aufgehoben. Das französische Gesundheitswesen ist aktuell ein Kristallisationspunkt der Sozial-Proteste.
In Frankreich wurden im Zeitraum von 1998 bis zum vorigen Jahr über 100.000 von zuvor 500.000 Krankenhausbetten gestrichen. Zu Beginn der Corona-Krise wies das Land nur noch 5.000 Betten in Intensivstationen auf. Zum Höhepunkt des Krisenverlaufs konnten sie vorübergehend auf mehr als verdoppelt werden konnten – im Vergleich zu damals 28.000 in der Bundesrepublik.
Die Pariser Ärztin Béhija (Nachname ist der Redaktion bekannt) berichtete vor wenigen Tagen, dass nunmehr zu „Intensivbetten“ umgewandelte normale Pflegeplätze gleich ganz gestrichen werden sollen.
Béhija ist eine von 175 UnterzeichnerInnen einer ausschließlich von ÄrztInnen getragenen Strafanzeige gegen Regierungsmitglieder wegen Fremdgefährdung bei Ausbruch der Krise.
Am 25. Mai 2020 hat eine Konsultation der Regierung mit VertreterInnen der Beschäftigten sowie des Gesundheitsapparats begonnen. Diese soll von siebenwöchiger Dauer sein und von der Unternehmensberaterin Nicole Notat „koordiniert“ werden, der früheren Vorsitzenden des sehr sozialpartnerschaftlich geführten Gewerkschaftsdachverbands CFDT.
Proteste im Pflegebereich …
Macrons Sympathiewerbung bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die als „Heldinnen und Helden der Nation“ gefeiert wurden, schlugen fehl.
Bei medial inszenierten Besuchen des Staatspräsidenten in Krankenhäusern sah sich dieser mit scharfer Kritik von gewerkschaftlich organisierten PflegerInnen konfrontiert. Deshalb räumt Macron mittlerweile ein, dass man „nicht genug zugunsten der Krankenhäuser verändert“ habe. Mehrmals hat er Verbesserungen versprochen – eine „Aufwertung“ der Gesundheitsberufe, verbesserte Arbeitsbedingungen …, aber positive Änderungen sind bislang keine erkennbar.
Im Gegenteil: Mitte Mai kündigte Macrons „Gesundheitsminister“ Véran ein „Aufweichen“ der angeblich starren 35-Stundenwoche im Gesundheitswesen an. Dabei lässt die gesetzlich festgelegte Wochenarbeitszeit schon jetzt den Unternehmen viel Spielraum für Flexibilität. Der Durchschnitt von 35 Stunden wöchentlich muss lediglich innerhalb von drei Jahren erreicht werden. Véran kündigt im Prinzip also an, dass die Beschäftigten ihren Verdienst am Monatsende ja durch Mehrarbeit „verbessern“ könnten.
Proteste vor Krankenhäusern
Seit der Aufhebung der generellen Ausgangsbeschränkungen gilt nun ein Verbot von Versammlungen ab elf Personen bis in den Juli dieses Jahres hinein.
Doch am Montag, den 11. Mai, kamen an den Eingängen von fünf Krankenhäusern in Toulouse über 1.000 externe Personen zusammen, die – dieses Mal ohne polizeiliche Sanktionen – zusammen mit dort beschäftigten KollegInnen protestierten.
Zu ähnlichen Aktionen kam es Ende Mai vor den Pariser Krankenhäusern Tenon und Robert Debré. Neben vielen Krankenhausbeschäftigten waren mehrere Hundert Menschen gekommen, einerseits viele aktive Linke und radikale Linke, andererseits Menschen aus dem progressiven Teil der „Gelbwesten“-Bewegung.
Die Polizei schaute zunächst zu, doch als ein Teil der Menge versuchte, zu einer Spontandemonstration aufzubrechen, kam es zur Absperrung. Und am Ende wurden fünfzig Strafzettel zu je 135 Euro wegen Missachtung der geltenden Einschränkungen verteilt und drei Festnahmen durchgeführt.
… und anderswo
Gegen die Ankündigung des Autobauers Renault, vier Standorte in Frankreich zu schließen, protestierten KollegInnen mit ersten Arbeitsniederlegungen namentlich in der Bretagne.
Auch bei dem in der Altenpflege aktiven Konzern Korian kommt es derzeit zu Arbeitskämpfen. Die dort Beschäftigten – die zum Gesundheitssektor zählen und in der COVID-19-Pandemie erheblichen Ansteckungsrisiken ausgesetzt waren – fordern eine Lohnprämie für Risikoarbeit im „sanitären Ausnahmezustand“ sowie eine Erhöhung ihrer Löhne.
Die aktuell entscheidende Herausforderung ist, ob und wie es gelingen kann, die Wiederbelebung einer umfassenden sozialen und politischen Protestbewegung zu fördern. Am 16. Juni 2020 soll es einen landesweiten Aktionstag im Gesundheitswesen geben.