Interview mit einer gewerkschaftlich organisierten Altenpflegerin
In Deutschland leben rund 3,5 Millionen Pflegebedürftige. Über 600.000 AltenpflegerInnen und AltenpflegehelferInnen arbeiten offiziell in rund 14.500 stationären Pflegeheimen und bei über 14.000 ambulanten Pflegediensten. Durch COVID-19 ist ihre gesellschaftliche Bedeutung deutlicher geworden. Wir haben mit einer Altenpflegerin gesprochen.
Freust Du Dich über den aktuellen Beifall und die verbale Anerkennung für die in der Pflege tätigen KollegInnen?
Ganz ehrlich? Ich sehe dieses Klatschen der Menschen einerseits als Dank, aber mehr noch als Durchhalteparole. So nach dem Motto „Ihr seid gut, weiter so, wir könnten Euch brauchen“. Und wenn PolitikerInnen aufstehen, klatschen und lobende Worte für uns haben, da wird es mir übel.
Wie sind die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege?
In sehr vielen Häusern, überhaupt denen der privaten Ketten, sehr schlecht. Es fehlt an Personal, auch an qualifizierten KollegInnen. Es mangelt an Hilfsmitteln (etwa Aufstehhilfen) und an Material (Inkontinenzprodukten, Bettwäsche, Handtüchern …). Es gibt keinen verlässlichen Dienstplan. GewerkschafterInnen sind nicht gerne gesehen. Es gibt meist keine Betriebsräte, Gewerkschaftsmitglieder werden nicht selten gemobbt.
Ich höre immer wieder von KollegInnen, die alleine im Nachtdienst 50 bis 60 Menschen zu versorgen haben.
Machen solche Belastungen krank?
Viele meiner KollegInnen sind sowohl psychisch als auch physisch „kaputt“. Burnout ist sehr häufig anzutreffen. Ich selbst arbeite in einem kommunalen Haus und habe relativ gute Arbeitsbedingungen. Trotzdem bin ich durch die Arbeit 50 % schwerbehindert. Es geht eben auf die Knochen, in die Gelenke, trotz aller mechanischen Hilfen. Die gibt es eben nicht für alle Maßnahmen.
Ist es möglich, gesund in Rente zu gehen?
Nein. Jedenfalls nicht, wenn Du am Bett stehst.
Ist die Bezahlung ausreichend?
Es kommt darauf an, wo Du arbeitest und ob Du nach Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt wirst. Nicht wenige KollegInnen gehen mit 2.500 Euro brutto nach Hause.
Mit welcher Rente kannst Du dann rechnen?
Ich werde rund 1.400 Euro brutto bekommen, aber nur weil ich auch noch ein paar Euro aus der Zusatzversorgungskasse erhalte und nach TVöD bezahlt werde.
Wer nur nach Mindestlohn vergütet wird, wie sehr viele meiner KollegInnen, müsste bei einer 35-Stundenwoche 53 Jahre lang arbeiten, um eine Rente in Höhe der Grundsicherung zu bekommen. Aktuell sind das 814 Euro.
Wie sollte gesellschaftliche Verantwortung für die in der Altenpflege Tätigen aussehen?
Die politisch Verantwortlichen müssen Schluss machen mit dem Privatisieren und Privatisiertes zurück in öffentliche Hände geben.
Unsere verantwortungsvolle Arbeit muss finanziell anerkannt werden – auch in Hinblick auf die Rente. Dann werden mehr Menschen unseren Beruf erlernen wollen. Mit mehr Personal können auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Die Verantwortung hierfür darf nicht an Pflegekammern abgeben werden, die wir bezahlen, die uns noch mehr kontrollieren und sanktionieren. Dadurch werden unsere Arbeitsbedingungen verschlechtert statt verbessert.
Dies führt dazu, dass noch mehr Beschäftigte den „Pflexit“ nehmen. Andere, so wie ich, werden den nehmen, sobald die Kammer auch in Baden-Württemberg von der Grün-Schwarzen Landesregierung etabliert wird.
Gute Pflege (das gesamte Gesundheitssystem) ist aus Steuermitteln zu bezahlen. Davon hätten wir alle was.
Und für die zu Pflegenden?
Nur mit genügend Personal kann eine ganzheitliche Pflege durchgeführt werden. Aktuell können in vielen Heimen wichtige Prophylaxen wegen Zeitmangels nicht durchgeführt werden: zum Beispiel regelmäßiger Liegepositionswechsel zur Dekubitusprophylaxe – also Verhinderung des „Wundliegens“.
Es könnte überall aktivierende Pflege durchgeführt werden. Das heißt, die zu Pflegenden werden ermutigt, so viel als möglich eigenständig zu tun. So werden Gesundheit und Selbständigkeit erhalten oder sogar gefördert. Aber das kostet viel Zeit. Und die gibt es in vielen Häusern und bei den mobilen Diensten nicht. Alles ist nach Minuten getaktet, und zudem erfordert der immer mehr werdende Papierkram viel Zeit, die dann für die Menschen fehlt.
Mit wem können die Verhältnisse in der Altenpflege grundlegend verbessert werden?
Mit der Gewerkschaft, nur müssten sich da mehr KollegInnen organisieren. Viele sind nicht organisiert, weil sie auf jeden Cent schauen müssen.
Und natürlich mit einer Regierung, die nicht darauf hört, was Lobbyisten ihr einflüstern. Einer Regierung, die also den Mensch und nicht den Profit in den Mittelpunkt stellt.
Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ich bundesweit mit vielen KollegInnen verknüpft bin. Dadurch bekomme ich sehr viel mit von deren Arbeitsbedingungen. Ich frage mich bei vielen – auch bei meinen KollegInnen im Krankenhaus –, wie sie das alles schaffen …
[Die Fragen stellte W.A.]