Kinder im Auto gebären?
K. S.
Die Corona-Pandemie zeigt, wie unersetzlich ein gut ausgebautes Gesundheitswesen für die Gesellschaft ist. Dennoch gehen die Privatisierungen und Schließungen von Krankenhäusern im Land weiter. Ein Umdenken der Regierenden ist noch immer nicht in Sicht.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Es ist besetzt mit Vertretungen von Ärzten, Kliniken und Gesetzlichen Krankenkassen. Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken forderte im Juli 2021 in der FAS weitere Klinik-Schließungen: „Wir haben zurzeit 1.900 Krankenhäuser, 1.200 wären genug.“ Die neoliberale Bertelsmann-Stiftung geht in ihren „Studien“ noch weiter. Sie fordert, die Zahl der Kliniken auf unter 600 zu reduzieren.
Fortgesetzte Kahlschlagpolitik
Die Folgen einer solchen Kahlschlagpolitik zeigen sich schon jetzt im ländlichen Raum, zum Beispiel im Neckartal. Die Geburtshilfestationen in Eberbach und Mosbach wurden geschlossen, weil sie sich angeblich nicht „rechneten“. Seitdem gibt es im gesamten Neckartal zwischen Heidelberg und Heilbronn keine Klinik mehr, in der eine Frau ihr Kind zur Welt bringen kann.
Im Juli 2021 blieb eine Familie auf der Fahrt zur Entbindung in die Klinik nach Heidelberg (rund 30 Kilometer Wegstrecke von Eberbach) im Stau stecken. Die Geburt ihres Kindes fand daher im Auto statt. Sinnbildlich steht das für den neoliberalen Sozialabbau, der aus „Kostengründen“ die menschliche Daseinsvorsorge ins Private verschiebt. Die Kosten können so noch besser auf die arbeitende Klasse – vor allem auf alleinerziehende Frauen und auf Familien – abgewälzt werden. Die gesellschaftlichen Folgen dieser Politik kümmern die herrschende Politik jedoch nicht.
Erste Proteste
Von Schließung bedroht sind desweiteren die Kliniken in Mosbach und in Buchen. Ein Ende des Abbaus der Krankenhauslandschaft in und um das Neckartal ist also nicht in Sicht. Aus diesem Grund hat sich das „Bündnis für Krankenhaus und gute Arbeit Neckartal-Odenwald” gegründet. Initiiert wurde es von Aktiven aus der Region, wie Arno Huth aus Mosbach, sowie Gewerkschaftsmitgliedern wie Stefan Riedel und Kai Stöhr vom DGB Hirschhorn-Neckarsteinach.
Am 17. Juli 2021 führten sie zwei Kundgebungen in Eberbach auf dem Neuen Markt und in Mosbach auf dem Marktplatz durch, um ein Ende des Klinikabbaus zu fordern. Der Erhalt einer flächendeckenden Krankenhausversorgung auch im ländlichen Raum sei notwendig. „Krankenhäuser werden schlecht gespart, ihnen werden Kompetenzen genommen, anstatt sie zu verbessern“, so Huth. „Krankenhäuser gehören aber zur Daseinsvorsorge, ihr Betrieb sollte sich nach dem Bedarf richten und nicht von der Wirtschaftlichkeit abhängen.“
Es gehe um gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land sowie den Erhalt einer ländlichen Infrastruktur. Mit der Schließung von Krankenhäusern steige die Entfernung zur nächstgelegenen Klinik. Die Anfahrzeiten für Notfälle würden länger, Rettungskräfte und Notärzte wären durch längere Fahrzeiten noch stärker gebunden. Kurzum: Die wohnortnahe Versorgung leide unter dem Kahlschlag und den Privatisierungen im Gesundheitssystem.
Grundrecht auf Gesundheit
Auch wurden grundlegende Veränderungen hin zu einer bedarfsgerechten Finanzierung des Gesundheitssystems gefordert. In diesem Fall die Abschaffung des Systems der „diagnosebezogenen Fallgruppen“ (DRG), das als „ökonomisches“ Instrument wachsenden Druck auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen ausübe. Profitorientiertes Denken und Handeln solle so als entscheidender Faktor in den Vordergrund gerückt werden. Der eigentliche Auftrag des ärztlichen und pflegerischen Personals, eine gute Behandlung und Versorgung der kranken Menschen sicherzustellen, werde somit immer weiter erschwert.
Die Proteste gegen Klinikschließungen und die Privatisierung des Gesundheitswesens sind von großer politischer Bedeutung. Es gilt jetzt über die lokale und regionale Ebene hinaus, eine bundesweit und international vernetzte Bewegung im Interesse nicht nur der Beschäftigten im Gesundheitswesen, sondern von uns allen aufzubauen. Gesundheit ist ein Grund- und ein Menschenrecht!