Bundesweiter Protest in Leipzig
Petra Stanius
Die Beschäftigten haben die Überlastung durch einen skandalösen Personalmangel in den Krankenhäusern lange ertragen. Aber im vergangenen Jahr lief das Fass über.
Es kam zu Streiks in Kliniken und zur Gründung von Bündnissen, in denen sich neben den Beschäftigten selbst auch gewerkschaftlich und politisch Aktive engagieren.
Die erste gemeinsame Aktion dieser mittlerweile mehr als zwanzig Bündnisse war der „Olympische Brief gegen den Pflegenotstand“. Er wurde seit Januar 2019 von mehreren zehntausend KollegInnen in weit über 100 Krankenhäusern in 80 Städten und 14 Bundesländern unterschrieben.
Wütende Stimmung
Anders als 2018 gab es diesmal im Vorfeld keine mobilisierenden Streiks. Dennoch kamen am 5. Juni über 2.500 Beschäftigte und UnterstützerInnen aus ganz Deutschland nach Leipzig. Sie wollten mit der Gewerkschaft ver.di erneut Druck auf die Konferenz der GesundheitsministerInnen ausüben.
Trotz Temperaturen von über 30 Grad vertraten die KollegInnen ihre Anliegen sehr engagiert. Die Stimmung war kämpferisch, ja sogar wütend.
Die Übergabe des „Olympischen Briefs“ verlief wie geplant. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Sachsens Gesundheitsministerin Barbara Klepsch (CDU) mussten durch eine 500 Meter lange Gasse aus Papierbahnen mit den Protestunterschriften, die von den Demonstrierenden gebildet wurde. Die Bahnen wurden danach schnell wieder eingerollt, um sie dann dem Bundesgesundheitsminister zu übergeben. Es waren so viele auf einmal, das er sie nicht mehr halten konnte.
Spahn spielte den Souveränen. Er stellte sich den kritischen Fragen der Menge und ließ sich auch durch ihre Wut, durch Pfiffe und Buhrufe äußerlich nicht aus der Ruhe bringen. Er lobte seine Politik und forderte die Beschäftigten auf, nun auch ihren Teil zu den gewünschten Verbesserungen beizutragen. Das steigerte die Wut der Anwesenden erst recht.
Seit der Konferenz 2018 in Düsseldorf wurden tatsächlich verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um dem Pflegenotstand zu begegnen. So sind die Refinanzierung weiterer Stellen in der Pflege, Verbesserungen bei der Ausbildung oder eine höhere Bezahlung Schritte in die richtige Richtung.
Fallpauschalen abschaffen
Allerdings zeigt die Politik bislang keine Bereitschaft, das Grundproblem anzugehen: die Fallpauschalen. Sie erzwingen, dass mit der Behandlung von kranken Menschen Profite erwirtschaftet werden müssen.
Weitere „Reformen“, die Minister Spahn auf den Weg gebracht hat, verstärken bei den Beschäftigten die Empörung:
-In Psychiatrien, wo bislang keine Fallpauschalen gelten, soll ein vergleichbares System eingeführt werden.
-Die neuen Personaluntergrenzen orientieren sich am mangelhaften Ist-Zustand und werden nicht zu einer besseren Personalausstattung führen. Im Gegenteil ist dort ein Stellenabbau zu befürchten, wo heute überdurchschnittlich viel Personal eingesetzt wird.
Auch die Zwangsmitgliedschaft in Pflegekammern verursacht nicht nur wegen der unfreiwilligen Beitragszahlungen heftigen Protest, sondern vor allem wegen der Begründung Spahns – die Kammern seien notwendig, um die Qualität der Pflege zu sichern und die Pflegenden weiterzubilden. Sonst drohe Schaden für die Allgemeinheit. Bei den Pflegekräften kommt dies als Schuldzuweisung und als Geringschätzung ihrer Arbeit an.
Ihr Ärger rührt zudem daher, dass Spahn beständig dieselben Argumente wiederholt und die Forderungen der Protestbewegung praktisch ignoriert.
„Keine Profite mit unserer Gesundheit“
Spahn wurde deshalb in Leipzig kräftig ausgepfiffen und seine Rede durch Buh-Rufe und Parolen unterbrochen wie „Pflegenotstand ist ein Verbrechen“ oder „Keine Profite mit unserer Gesundheit“.
Der „Olympische Brief gegen den Pflegenotstand“ war eine gelungene Aktion. Über das Sammeln und Überreichen der Unterschriften wurde eine Verbindung hergestellt zwischen Beschäftigten und ihren UnterstützerInnen, zwischen Kliniken ebenso wie zwischen Pflegebündnissen – über Stadt- und Landesgrenzen hinweg. Die Beteiligten haben ihre Interessen formuliert und sie dann öffentlich eingefordert. Damit haben sie gemeinsame Handlungsfähigkeit demonstriert.
Es heißt nun dranbleiben, bis die konkreten Forderungen erfüllt sind und Gesundheit keine Ware mehr ist. Dazu bedarf es eines langen Atems und der aktiven Einbeziehung möglichst großer Bereiche der Bevölkerung und der Gewerkschaften.