Internationale Sozialistische Organisation (ISO), 7. April 2017
Die Türkei wird seit beinahe 15 Jahren von der (religiös-fundamentalistischen) AKP regiert. In dieser Zeit gelang es ihr, die wichtigsten Staatsorgane und Einrichtungen auf einem scheinlegalen Wege mit Vertrauensleuten zu besetzen, die nicht mehr kraft Gesetzes handeln, sondern einfach persönliche Befehle und Anweisungen von Erdogan ausführen.
Die AKP-Regierung brachte die Medien weitgehend unter ihre Kontrolle, viele Fernsehsender und Zeitungen wurden vom Staat beschlagnahmt und an eigene Leute mit Staatskrediten verkauft, die wiederum nur ein Sprachrohr für die Regierung wurden. Einige andere entließen unter dem Druck der Regierung nicht erwünschte Mitarbeiter.
Das laizistische Bildungssystem wurde abgeschafft. Viele neue Gesetze und Verordnungen beziehen sich nunmehr auf religiöse Vorstellungen und Verbote. So wurde der Konsum von Alkohol deutlich eingeschränkt.
Die Armee wurde als eigenständiger Machtfaktor weitgehend zurückgedrängt, und die Polizei agiert ähnlich wie die Todesschwadronen in Südamerika, und zunehmend als persönliche Armee von Erdogan. Durch die Zusammenarbeit von Teilen des Militärs und der Polizei wurden im Südosten Anatoliens kurdische Städte bombardiert und mehrere hundert Zivilisten getötet. 500.000 Menschen wurden zu Flüchtlingen in ihrem eigenen Land. 82 kurdische Bürgermeister*innen wurden durch AKP-Funktionäre ersetzt. 5.000 HDP Funktionäre sind in Gewahrsam oder in Haft.
Die Justiz hat ihre Unabhängigkeit verloren. Ein bisher relativ unabhängiger Rat, der die Aufgabe hat, Richter und Staatsanwälte zu berufen, zu versetzen und zu entlassen, ist mit Vertrauensleuten der AKP besetzt worden.
Die Regierung förderte in der Wirtschaft wiederum „eigene Vertrauensleute“ und ihr ergebene Unternehmer, die dann einen enormen Reichtum anhäuften und nunmehr ihre Privilegien verankern und die Konkurrenz mit Hilfe der Staatsgewalt ausschalten wollen.
Das alles war möglich, weil die USA im Rahmen der sogenannten „Initiative Großraum Mittlerer Osten“, die offiziell auf die Umwälzung der muslimischen Gesellschaften abzielte, die AKP unterstützte.
Seit dem Putschversuch im Juli 2016 haben die Entwicklungen eine neue Dimension angenommen. Anscheinend war dieser Putsch eher eine „kontrollierte Provokation“, um sich der zur Last gewordenen Verbündeten zu entledigen und die Errichtung der Diktatur voranzutreiben. Erdogan hat dann den Ausnahmezustand ausgerufen und tausende von Richtern, Staatsanwälten, Offizieren und Beamten entlassen.
Die reale Macht ist nunmehr in der Hand Erdogans konzentriert. Es ist eine postmoderne Diktatur, in der die formale Gewaltenteilung und andere Kontrollmechanismen faktisch nicht mehr existieren.
Nun soll durch ein Referendum die diese Diktatur Erdogans legalisiert werden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen ihm, alleine und ohne Gewaltenteilung zu regieren.
Viele Menschen nahmen schon vor der Gezi-Bewegung wahr, dass sie mittlerweile in einem diktatorischen Regime leben, dass in die persönliche Sphäre, persönlichen Freiheiten eingegriffen wird. Unter diesen Umständen ist dieses Referendum eine wichtige Chance, gegen die Diktatur einen Massenwiderstand hervorzurufen.
Wir unterstützen alle revolutionären und demokratischen Kräfte in der Türkei, die die Bevölkerung in diesem Sinne zu einem „NEIN“ aufrufen.
Der Kampf gegen die Diktatur von Erdogan kann erfolgreich sein, wenn sich alle Strömungen des Widerstandes, insbesondere kritische Türken, Aleviten, Kurden und andere Minderheiten zusammenschließen, um gemeinsam für ihre demokratischen Rechte und ihre Selbstbestimmung zu kämpfen.