U. D.
Deutschland ist kein streikgeschütteltes Land. Die Hans-Böckler-Stiftung zählte im Zeitraum 2012 bis 2021 lediglich 18 Streiktage pro 1000 Beschäftigten. In Belgien waren es dagegen 96 und in Frankreich 92 Streiktage.
Trotzdem fordern Unternehmensverbände und deren politische Hilfstruppen immer wieder weitere Einschränkungen des Streikrechts.
Streikrecht in Fesseln
Aber das Streikrecht ist in Deutschland längst eingeschränkt. Zwar regelt Artikel 9 Ziffer 1 des Grundgesetzes eindeutig die Vereinigungsfreiheit, doch das Recht, „Arbeitskämpfe […] zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ führen zu dürfen, wird aus Artikel 9 Ziffer 3 „nur“ abgeleitet.
Zudem gibt es zahlreiche Streikhemmnisse. Zum Beispiel im Tarifvertragsgesetz, im Betriebsverfassungsgesetz, im Arbeitsförderungsgesetz und im Beamtenrecht. So können nur tariffähige Gewerkschaften zum Streik aufrufen, dürfen Beamte nicht streiken und sind während der Laufzeit von Tarifverträgen Streiks verboten.
Nicht zuletzt gelten politische Streiks als rechtswidrig. Grund dafür sind Urteile zum „Zeitungsstreik“ im Jahr 1952. Diese Urteile stützten sich auf ein Gutachten des Juristen Nipperdey, der schon während der faschistischen Diktatur ein wichtiger Arbeits-Unrechtler war. Demnach dürfen Streiks nur zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt werden, nicht aber zur Durchsetzung politischer Forderungen. Dies ist bis heute die herrschende Rechtsauffassung.
Für Geld tun sie alles …
Aktuell nutzen die neoliberalen Scharfmacher die Streiks von GDL, Cockpit und ver.di, um ein noch schwächeres Streikrecht durchzusetzen. Für Isabel Cademartori (SPD) übersteigt der GDL-Streik „das Maß des Zumutbaren“. FDP-Generalsekretär Djir-Sarai will „eine maßlose Streikgier, wie wir sie erlebt haben, in Zukunft“ unterbinden. Verkehrsminister Wissing (FDP) will prüfen, ob „wir eine Änderung brauchen.” Und natürlich will auch BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter Streiks strikter regeln.
In Wahrheit geht es ihnen alleine um das störungs- und streikfreie Funktionieren der kapitalistischen Profitmaschine. Sie wollen die Streikenden verantwortlich machen für die Schäden, die Politik und Kapital selbst angerichtet haben. Denn die sind es, die seit Jahrzehnten die Infrastruktur und die Öffentlichen Dienste kaputt „sparen“.
Neoliberale Ziele
Angesicht der sich verschärfenden Krisen des Kapitalismus und möglicher Verteilungskämpfe, soll ein noch mehr eingeschränktes Streikrecht die Gegenwehr gegen betriebliche, gesetzliche und politische Angriffe erschweren. Diese Pläne richten sich gegen die gesamte arbeitende Klasse und alle Gewerkschaften.
Bereits heute ist die Kampf- und Streikfähigkeit der arbeitenden Klasse geschwächt. Denn immer weniger Beschäftigte sind gewerkschaftlich organisiert oder arbeiten in einem Tarifbetrieb. Sie haben faktisch kein Streikrecht.
Wenn es dem Kapital gelingt, das Streikrecht weiter einzuschränken, werden auch die streikfähigen Belegschaften geschwächt, und in der Folge wird die Kampfkraft der gesamten arbeitenden Klasse sinken. Damit würde die solidarische Verteidigung kollektiver Interessen sowie die Möglichkeit, gemeinsame Kampferfahrung machen zu können, erheblich erschwert werden.
Dies ist eines der zentralen Ziele des Neoliberalismus. Mit der Beseitigung des Streikrechts soll auch das kollektive und solidarische Klassenbewusstsein beseitigt werden. Sein „Ideal“ ist nicht der solidarische, sondern der nur die eigenen Ziele verfolgende Mensch.
Streikrecht verteidigen und ausweiten
Aus diesem Grund muss das bestehende Streikrecht in Deutschland gegen jede weitere Verschlechterung verteidigt werden. Denn jede weitere Einschränkung macht es der arbeitenden Klasse schwerer, innerhalb des kapitalistischen Profitsystems für die eigenen Ziele zu kämpfen und sich so der eigenen Interessen und Kraft bewusst zu werden.
Darüber hinaus muss für ein uneingeschränktes Streikrecht gekämpft werden. Das heißt, dass auch der betriebliche Streik (mit oder ohne Gewerkschaft), der politische Streik und der Generalstreik rechtmäßig und zulässig werden.
Angesichts der faschistischen Gefahr muss gerade in den Gewerkschaften der politische Generalstreik verstärkt diskutiert und propagiert werden. Denn nur mit der Fähigkeit und der Bereitschaft zum Generalstreik und zu zivilem Ungehorsam kann ein neuer Faschismus verhindert werden.