Von BBC zu GE

Kriminalgeschichte(n) in Mannheim-Käfertal

 

H. S.

Am 19. Febru­ar 2019 fand im Mann­hei­mer Gewerk­schafts­haus die Ver­an­stal­tung „Auf­stieg und Fall des Elek­tro­kon­zerns BBC – Geschich­te und Zukunft des Stand­orts in Mann­heim“ statt. Ein­ge­la­den hat­ten der Ver­ein Rhein-Neckar-Indus­trie­kul­tur e.V. in Koope­ra­ti­on mit der IG Metall Mann­heim (IGM) und dem Über­be­trieb­li­chen Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee Rhein-Neckar. Über 100 Teil­neh­me­rIn­nen, vor­wie­gend ehe­mals im Werk Beschäf­tig­te, waren gekom­men, um sich über die mehr als 100-jäh­ri­ge Geschich­te des Werks und den lan­ge wäh­ren­den Kampf um des­sen Erhalt zu informieren.

Tho­mas Hahl (2. Bevoll­mäch­tig­ter der IGM und selbst ehe­ma­li­ger ABBler) berich­te­te über den Ein­satz der IG Metall für eine Zukunfts­per­spek­ti­ve in Käfer­tal. Die IGM ste­he seit län­ge­rem in inten­si­ven Aus­tausch mit der Mann­hei­mer Stadt­ver­wal­tung und Stadt­spit­ze. Kol­le­ge Hahl for­der­te, dass die noch vor­han­de­nen rund 700 Arbeits­plät­ze bei GE erhal­ten wer­den müss­ten. Auf­grund der nega­ti­ven Erfah­run­gen mit GE müss­ten Mit­be­stim­mungs­rech­te erwei­tert wer­den. Außer­dem soll­ten ihm zufol­ge auf dem gro­ßen Gelän­de durch geziel­te Ansied­lun­gen neue Indus­trie­ar­beits­plät­ze geschaf­fen wer­den. Falls dies nicht gesche­he, sol­le die Stadt Mann­heim von ihrem Vor­kaufs­recht Gebrauch machen.

Vollbesetzter Saal bei der BBC-Veranstaltung im Mannheimer Gewerkschaftshaus, 19. Februar 2019 (Foto: helmut-roos@web.de)

Voll­be­setz­ter Saal bei der BBC-Ver­an­stal­tung im Mann­hei­mer Gewerk­schafts­haus, 19. Febru­ar 2019 (Foto: helmut-roos@web.de)

Auf­grund der geschicht­li­chen Bedeu­tung der noch erhal­te­nen Indus­trie­ge­bäu­de aus den Anfangs­jah­ren, müs­se deren Erhal­tung mög­lichst weit­ge­hend gesi­chert wer­den. Dies gel­te auch für den weit­ge­hend im Ursprungs­zu­stand erhal­te­nen Tor­bau (Tor 1), der vor allem unter Denk­mal­schutz gestellt wer­den müs­se. Auf dem Werks­ge­län­de sol­le eine Erin­ne­rungs­stät­te ein­ge­rich­tet wer­den, die nicht zuletzt den jahr­zehn­te­lan­gen Kampf um den Erhalt des Stand­orts the­ma­ti­sie­ren könn­te. Hahl for­der­te namens der IG Metall rasche Ent­schei­dun­gen von den ver­ant­wort­li­chen Stel­len über die­se Anlie­gen ein.

Beein­dru­cken­der his­to­ri­scher Überblick
Bar­ba­ra Rit­ter vom Ver­ein Indus­trie­kul­tur Rhein-Neckar gab einen fun­dier­ten und beein­dru­cken­den his­to­ri­schen Über­blick über die Anfän­ge und die wei­te­re Ent­wick­lung von BBC in Mann­heim. Vor 120 Jah­ren setz­te sich die Stadt Mann­heim gegen­über der Schwei­zer Fir­ma Brown, Boveri & Cie mit ihrer For­de­rung durch: Den Auf­trag für ein „Elek­tri­zi­täts­werk“ in Mann­heim gibt es nur mit dem Bau eines „Fabrik­eta­blis­se­ments“ vor Ort.

1900 wird BBC in Mann­heim-Käfer­tal gegrün­det. BBC ver­kör­per­te bis in die 1980er Jah­re eine Erfolgs­ge­schich­te mit glo­bal aner­kann­ten Ent­wick­lun­gen und Pro­duk­ten vor allem in den Berei­chen der Strom­erzeu­gung und der Schie­nen­ver­kehrs­tech­nik. Gigan­ti­sche Dampf- und Gas­tur­bi­nen, Gene­ra­to­ren, Trans­for­ma­to­ren und sogar Loko­mo­ti­ven wur­den für den Welt­markt gebaut. Auch die bei­den Welt­krie­ge konn­ten die­se Ent­wick­lung nicht aus­brem­sen. Im Gegen­teil: Wäh­rend der Kriegs­zei­ten wur­de die Pro­duk­ti­on auf kriegs­wich­ti­ge Güter (z.B. Tur­bi­nen für Kriegs­schif­fe) umge­stellt und gleich­zei­tig die Beschäf­ti­gung (ins­be­son­de­re von Frau­en) wesent­lich gestei­gert. Auch Zwangs­ar­bei­ter wur­den in der Nazi­zeit ausgebeutet.

Jahr­zehn­te­lan­ger außer­ge­wöhn­li­cher Widerstand
Wolf­gang Alles, ehe­ma­li­ger Betriebs­rat bei ABB und ALSTOM sowie Spre­cher des Über­be­trieb­li­chen Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees, berich­te­te über die mas­si­ven und bru­ta­len Restruk­tu­rie­run­gen ab Ende der 1980er Jah­re. Damals wur­de die „Dik­ta­tur der Zah­len“ zum ein­zig gel­ten­den Maß­stab. Infol­ge des­sen jag­te ein Per­so­nal­ab­bau den nächs­ten. Zudem stell­ten die ver­schie­de­nen Kon­zern­lei­tun­gen unge­hemmt Men­schen­rech­te zur Disposition.

Vor allem der Betriebs­rat und die in der IG Metall orga­ni­sier­ten Kol­le­gIn­nen stan­den vor der Alter­na­ti­ve, ent­we­der für den Erhalt der Arbeits- und Aus­bil­dungs­plät­ze zu kämp­fen oder das dro­hen­de Ende hin­zu­neh­men. Sie ent­schie­den sich für den Wider­stand, der hart­nä­ckig und phan­ta­sie­voll über Jahr­zehn­te geleis­tet wur­de. Zwar konn­te dadurch die Werks­schlie­ßung immer wie­der auf­ge­hal­ten wer­den. Aber letzt­lich konn­te nicht ver­hin­dert wer­den, dass die Exis­tenz­grund­la­gen durch stra­te­gi­sche Fehl­ent­schei­dun­gen der Kon­zern­lei­tun­gen und eine gna­den­lo­se Gewinn­ab­füh­rung zer­stört wur­den. Schmerz­haft mach­te sich hier nicht nur das Feh­len wirk­sa­mer Veto­rech­te für Betriebs­rat und Gewerk­schaft, son­dern auch einer kon­se­quen­ten Ver­tei­di­gung von Grund­rech­ten bemerkbar.

Der dubio­se Ver­kauf von ALSTOM Power an den ame­ri­ka­ni­schen Kon­kur­ren­ten Gene­ral Elec­tric (GE) im Jahr 2015 bedeu­te­te das skan­da­lö­se Ende einer ein­ma­li­gen Indus­trie­ära in Mann­heim und weit darüberhinaus.

Zwei­fel­los hat die sehr gelun­ge­ne Ver­an­stal­tung zu einem wesent­lich bes­se­ren Ver­ständ­nis einer­seits der Ent­wick­lung von BBC und ande­rer­seits der schar­fen Kon­flik­te um den Erhalt der Arbeits­plät­ze bei BBC, ABB, ALSTOM und GE bei­getra­gen. Dies wur­de nicht zuletzt auch in den Dis­kus­si­ons­bei­trä­gen der bis zum Schluss auf­merk­sa­men Teil­neh­me­rIn­nen deutlich.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar März 2019
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