Kriminalgeschichte(n) in Mannheim-Käfertal
H. S.
Am 19. Februar 2019 fand im Mannheimer Gewerkschaftshaus die Veranstaltung „Aufstieg und Fall des Elektrokonzerns BBC – Geschichte und Zukunft des Standorts in Mannheim“ statt. Eingeladen hatten der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur e.V. in Kooperation mit der IG Metall Mannheim (IGM) und dem Überbetrieblichen Solidaritätskomitee Rhein-Neckar. Über 100 TeilnehmerInnen, vorwiegend ehemals im Werk Beschäftigte, waren gekommen, um sich über die mehr als 100-jährige Geschichte des Werks und den lange währenden Kampf um dessen Erhalt zu informieren.
Thomas Hahl (2. Bevollmächtigter der IGM und selbst ehemaliger ABBler) berichtete über den Einsatz der IG Metall für eine Zukunftsperspektive in Käfertal. Die IGM stehe seit längerem in intensiven Austausch mit der Mannheimer Stadtverwaltung und Stadtspitze. Kollege Hahl forderte, dass die noch vorhandenen rund 700 Arbeitsplätze bei GE erhalten werden müssten. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit GE müssten Mitbestimmungsrechte erweitert werden. Außerdem sollten ihm zufolge auf dem großen Gelände durch gezielte Ansiedlungen neue Industriearbeitsplätze geschaffen werden. Falls dies nicht geschehe, solle die Stadt Mannheim von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen.
Aufgrund der geschichtlichen Bedeutung der noch erhaltenen Industriegebäude aus den Anfangsjahren, müsse deren Erhaltung möglichst weitgehend gesichert werden. Dies gelte auch für den weitgehend im Ursprungszustand erhaltenen Torbau (Tor 1), der vor allem unter Denkmalschutz gestellt werden müsse. Auf dem Werksgelände solle eine Erinnerungsstätte eingerichtet werden, die nicht zuletzt den jahrzehntelangen Kampf um den Erhalt des Standorts thematisieren könnte. Hahl forderte namens der IG Metall rasche Entscheidungen von den verantwortlichen Stellen über diese Anliegen ein.
Beeindruckender historischer Überblick
Barbara Ritter vom Verein Industriekultur Rhein-Neckar gab einen fundierten und beeindruckenden historischen Überblick über die Anfänge und die weitere Entwicklung von BBC in Mannheim. Vor 120 Jahren setzte sich die Stadt Mannheim gegenüber der Schweizer Firma Brown, Boveri & Cie mit ihrer Forderung durch: Den Auftrag für ein „Elektrizitätswerk“ in Mannheim gibt es nur mit dem Bau eines „Fabriketablissements“ vor Ort.
1900 wird BBC in Mannheim-Käfertal gegründet. BBC verkörperte bis in die 1980er Jahre eine Erfolgsgeschichte mit global anerkannten Entwicklungen und Produkten vor allem in den Bereichen der Stromerzeugung und der Schienenverkehrstechnik. Gigantische Dampf- und Gasturbinen, Generatoren, Transformatoren und sogar Lokomotiven wurden für den Weltmarkt gebaut. Auch die beiden Weltkriege konnten diese Entwicklung nicht ausbremsen. Im Gegenteil: Während der Kriegszeiten wurde die Produktion auf kriegswichtige Güter (z.B. Turbinen für Kriegsschiffe) umgestellt und gleichzeitig die Beschäftigung (insbesondere von Frauen) wesentlich gesteigert. Auch Zwangsarbeiter wurden in der Nazizeit ausgebeutet.
Jahrzehntelanger außergewöhnlicher Widerstand
Wolfgang Alles, ehemaliger Betriebsrat bei ABB und ALSTOM sowie Sprecher des Überbetrieblichen Solidaritätskomitees, berichtete über die massiven und brutalen Restrukturierungen ab Ende der 1980er Jahre. Damals wurde die „Diktatur der Zahlen“ zum einzig geltenden Maßstab. Infolge dessen jagte ein Personalabbau den nächsten. Zudem stellten die verschiedenen Konzernleitungen ungehemmt Menschenrechte zur Disposition.
Vor allem der Betriebsrat und die in der IG Metall organisierten KollegInnen standen vor der Alternative, entweder für den Erhalt der Arbeits- und Ausbildungsplätze zu kämpfen oder das drohende Ende hinzunehmen. Sie entschieden sich für den Widerstand, der hartnäckig und phantasievoll über Jahrzehnte geleistet wurde. Zwar konnte dadurch die Werksschließung immer wieder aufgehalten werden. Aber letztlich konnte nicht verhindert werden, dass die Existenzgrundlagen durch strategische Fehlentscheidungen der Konzernleitungen und eine gnadenlose Gewinnabführung zerstört wurden. Schmerzhaft machte sich hier nicht nur das Fehlen wirksamer Vetorechte für Betriebsrat und Gewerkschaft, sondern auch einer konsequenten Verteidigung von Grundrechten bemerkbar.
Der dubiose Verkauf von ALSTOM Power an den amerikanischen Konkurrenten General Electric (GE) im Jahr 2015 bedeutete das skandalöse Ende einer einmaligen Industrieära in Mannheim und weit darüberhinaus.
Zweifellos hat die sehr gelungene Veranstaltung zu einem wesentlich besseren Verständnis einerseits der Entwicklung von BBC und andererseits der scharfen Konflikte um den Erhalt der Arbeitsplätze bei BBC, ABB, ALSTOM und GE beigetragen. Dies wurde nicht zuletzt auch in den Diskussionsbeiträgen der bis zum Schluss aufmerksamen TeilnehmerInnen deutlich.