6. Ordent­li­cher ver.di-Bundeskongress

Star­kes Signal für Gute Arbeit“?

 

Vom 17. bis 22. Sep­tem­ber 2023 hat in Ber­lin der 6. ordent­li­che ver.di-Bundeskongress mit ca. 1000 Teil­neh­men­den statt­ge­fun­den. Für Avan­ti² Anlass genug, um mit Petra, einer Dele­gier­ten, über ihre Ein­drü­cke zu sprechen.*

Ver.di-Warnstreik in Mannheim, 4. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Ver.di-Warnstreik in Mann­heim, 4. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

 Avan­ti²: Der Umgang der Gewerk­schaft mit dem Krieg in der Ukrai­ne hat­te schon im Vor­feld zu gro­ßen Dis­kus­sio­nen geführt. Wie hat sich der Bun­des­kon­gress dazu posi­tio­niert? Wel­che Anträ­ge wur­den beschlossen?

Petra: Schon Wochen vor dem Kon­gress kur­sier­te eine Peti­ti­on, mit der die Dele­gier­ten auf­ge­for­dert wur­den, gegen den Leit­an­trag des Gewerk­schafts­rats „Per­spek­ti­ven für Frie­den, Sicher­heit und Abrüs­tung in einer Welt im Umbruch“ zu stim­men. In die­sem Antrag wer­den unter ande­rem die Reak­tio­nen der Euro­päi­schen Uni­on und der Bun­des­re­gie­rung auf den rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne als grund­sätz­lich rich­tig bezeich­net, also auch Waf­fen­lie­fe­run­gen und Sank­tio­nen gebil­ligt. Die For­de­rung an die Regie­rung, sich für einen Waf­fen­still­stand und die Auf­nah­me von Ver­hand­lun­gen ein­zu­set­zen, fehlt dage­gen. Dies wur­de von nicht weni­gen als Ver­stoß gegen die ver.di-Grundsatzerklärung von 2010 gese­hen, die auf eine fried- liche Rege­lung von Kon­flik­ten abstellt. Außer­dem erweckt die For­mu­lie­rung im Antrag den Ein­druck, dass ver.di mit der Ampel-Regie­rung den Schul­ter­schluss sucht. Die­ser Ein­druck wird noch ver­stärkt dadurch, dass in dem Antrag kei­ne Ver­bin­dung her­ge­stellt wird zwi­schen dem mil­li­ar­den­schwe­ren und auf Dau­er ange­leg­ten Hoch­rüs­tungs­pro­gramm der Bun­des­re­gie­rung einer­seits und Kür­zun­gen bei Sozi­al­aus­ga­ben und der Daseins- vor­sor­ge ande­rer­seits. Obwohl klar ist, dass das Geld, das für Waf­fen fließt, für wich­ti­ge gesell­schaft­li­che Auf­ga­ben nicht mehr zur Ver­fü­gung steht. Auch nicht für die Bekämp­fung der Klimakatastrophe.

Es war abseh­bar, dass es unter den Dele­gier­ten einen gro­ßen Dis­kus­si­ons­be­darf zu die­sem Antrag geben wür­de. Die kon­struk­ti­ve und inhalts­rei­che Dis­kus­si­on ende­te jedoch abrupt mit der Annah­me eines Antrags auf Ende der Debat­te und Abstim­mung aller Ände­rungs­an­trä­ge en bloc ent­spre­chend der Emp­feh­lung der Antrags­kom­mis­si­on. Und die­se hat­te wesent­li­che Ände­rungs­an­trä­ge auf Ableh­nung gestellt.

Am Ende stimm­ten 275 Dele­gier­te gegen den leicht geän­der­ten Leit­an­trag – ein Drit­tel der 856 Dele­gier­ten, die sich an der Abstim­mung betei­lig­ten. Man kann also nicht sagen, dass sich ver.di als Gan­zes hin­ter die kriegs­trei­be­ri­sche, unso­zia­le Poli­tik der Bun­des­re­gie­rung gestellt hat. Außer­dem hat der Bun­des­kon­gress klar zum Aus­druck gebracht, dass ver.di Teil der Frie­dens­be­we­gung blei­ben will.

Ver.di-Warnstreik in Mannheim, 4. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Ver.di-Warnstreik in Mann­heim, 4. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Avan­ti²: BR-Mob­bing als Mit­tel von Geschäfts­lei­tun­gen, um akti­ve Betriebs­rats­mit­glie­der zum Bei­spiel mit „Ver­dachts­kün­di­gun­gen“ zu bekämp­fen, kommt immer häu­fi­ger zur Anwen­dung. BR-Mob­bing fin­det sehr häu­fig in Bran­chen statt, für die ver.di zustän­dig ist. Inwie­fern hat die­ses The­ma auf dem Kon­gress eine Rol­le gespielt? Gab es dies­be­züg­lich Anträ­ge? Und was ist mit die­sen passiert?

Petra: Ein Antrag aus Niedersachsen/Bremen wur­de nur als als unver­bind­li­ches Arbeits­ma­te­ri­al für den Bun­des­vor­stand ange­nom­men. Dar­in wird der Bun­des­vor­stand auf­ge­for­dert, eine ver.di-interne Koor­di­nie­rungs­stel­le „Uni­on Bus­ting“ ein­zu­rich­ten. Eine zen­tra­le Anlauf­stel­le für alle Fäl­le von Gewerk­schafts- bekämp­fung, die Gegen­stra­te­gien ent­wi­ckelt, juris­ti­sche Ein­schät- zun­gen bün­delt, Gewerk­schafts­se­kre­tä­rin­nen und -sekre­tä­re berät und für die­se sowie für von BR-Mob­bing Betrof­fe­ne Hand­lungs­hil­fen erar­bei­tet. Betrof­fe­ne sol­len psy­cho­so­zia­le Unter­stüt­zung erhal­ten und sich ver­net­zen kön­nen. Wei­te­re Auf­ga­ben der Koor­di­nie­rungs­stel­le sol­len die Unter­stüt­zung und Bün­de­lung von Pres­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit und Kam­pa­gnen gegen kon­kre­te Fäl­le der Gewerk­schafts­be­kämp­fung sein. Auch der Auf­bau von Bünd­nis­sen soll hel­fen, den nöti­gen öffent­li­chen Gegen­druck zu erzeugen.

Auch ein Antrag der Lan­des­be­zirks­kon­fe­renz Rhein­land-Pfalz-Saar­land wur­de zum Arbeits­ma­te­ri­al degra­diert. Unter ande­rem soll die Bil­dung von Schwer­punkt­staats­an­walt­schaf­ten sowie die Behand­lung von Straf­ta­ten gegen die Betriebs­ver­fas­sungs- orga­ne als Offi­zi­al­de­lik­te in ein moder­ni­sier­tes Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz auf­ge­nom­men werden.

Bei den Dis­kus­sio­nen auf dem Kon­gress hat das The­ma bezeich­nen­der­wei­se kei­ne Rol­le gespielt. Wie ande­re unstrit­ti­ge Anträ­ge wur­den auch die­se en bloc abgestimmt.

Avan­ti²: Wel­che Dis­kus­sio­nen und Ent­schei­dun­gen auf dem Kon­gress fin­dest Du erwähnenswert?

Petra: Es gab gro­ßen Dis­kus­si­ons­be­darf bei der Aus­spra­che zum Geschäfts­be­richt des schei­den­den Bun­des­vor­stands. An die fünf­zig Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen mel­de­ten sich zu Wort. Es gab diver­se Bei­trä­ge, die sich gegen die Pra­xis der Sozi­al­part­ner­schaft rich­te­ten und statt­des­sen eine anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Hal­tung und ein ent­spre­chen­des Vor­ge­hen von ihrer Gewerk­schaft ein­for­der­ten. Auch die Nähe zur SPD-Poli­tik stieß auf Kri­tik. Es gab diver­se Appel­le für eine bes­se­re Zusam­men­ar­beit inner­halb von ver.di, sowohl in Bezug auf die unter­schied­li­chen Berei­che und Gre­mi­en, als auch in Bezug auf die Friedensfrage.

Bemer­kens­wert fin­de ich auch, dass es nun eine neue Per­so­nen­grup­pe Que­er bei ver.di gibt. Die Antrags­kom­mis­si­on hat­te ursprüng­lich emp­foh­len, den ent­spre­chen­den Sat­zungs­an­trag der Bun­des­frau­en­kon­fe­renz abzu­leh­nen. Der Antrag war jedoch nicht nur gut vor­be­rei­tet, son­dern wur­de von den Frau­en und von der Jugend sicht­bar unter­stützt, was vie­le Dele­gier­te und am Ende auch die Antrags­kom­mis­si­on überzeugte.

Ver.di-Warnstreik in Mannheim, 4. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Ver.di-Warnstreik in Mann­heim, 4. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Avan­ti²: Hat der Gewerk­schafts­kon­gress zu einer poli­ti­schen Umori­en­tie­rung in Rich­tung einer kämp­fe­ri­schen Gegen­macht­stra­te­gie geführt?

Petra: Ich habe nicht den Ein­druck, dass der Kon­gress zu einer poli­ti­schen Neu­aus­rich­tung geführt hat.

Aber es ist deut­lich gewor­den, dass es vie­le kri­ti­sche Stim­men und viel­fäl­ti­ge Akti­vi­tä­ten an der Basis gibt, von denen eini­ge auf dem Kon­gress durch Aktio­nen sicht­bar wur­den. So kamen Akti­ve von Fri­days for Future zu Besuch und stell­ten gemein­sam mit Beschäf­tig­ten im kom­mu­na­len Nah­ver­kehr die Peti­ti­on #wir­fah­ren­zu­sam­men vor.

Erwar­tungs­ge­mäß wur­de der oppo­si­tio­nel­le Kan­di­dat Orhan Akman nicht in den Bun­des­vor­stand gewählt. Aber er hat 201 von 905 abge­ge­be­nen Stim­men bekom­men. Und 66 Dele­gier­te haben sich ent­hal­ten. Das heißt sicher­lich nicht, dass alle Dele­gier­ten, die für Orhan Akman gestimmt haben, mit allen sei­nen Hand­lun­gen und Vor­schlä­gen ein­ver­stan­den sind. Aber ich sehe es als ein Signal, als For­de­rung nach einer poli­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Neu­aus­rich­tung von ver.di zu einer Gewerk­schaft, die sich Kri­sen und Kli­ma­ka­ta­stro­phe stellt, den Klas­sen­kampf von oben mit Klas­sen­kampf von unten beant­wor­tet und sozi­al­po­li­ti­schen Kahl­schlag und Kriegs­trei­be­rei ent­schie­den entgegentritt.

* [Die Fra­gen stell­te H. S. für Avan­ti².]


Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Novem­ber 2023
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