Kriminalisierung „nur“ eines Gewerkschafters?
K. M.
Wer am 12. Dezember 2019 ins Mannheimer Amtsgericht wollte, musste sich auf Einiges gefasst machen. Die äußeren Umstände der Verhandlung gegen einen ver.di-Sekretär schienen eher auf einen Fall von Schwerstkriminalität im Bandenmilieu hinzuweisen. In Wirklichkeit ging es um einen Vorfall bei der diesjährigen 1. Mai-Kundgebung des DGB in Mannheim.
Am Eingang „empfing“ ein Trupp Justizbeamter samt Scanner-Schleuse alle Personen, die Einlass begehrten. Danach folgte Durchsuchung per Abtasten. Taschen mussten abgegeben werden. Auf die Frage nach dem Namen des Verantwortlichen wurde die Antwort verweigert.
Vor dem Gerichtssaal dann noch einmal das gleiche Procedere. Rund ein Dutzend Polizistinnen und Polizisten war zur Personenkontrolle aufgeboten worden. Zusätzlich wurden sämtliche Ausweise abfotografiert. Auf die Frage nach der rechtlichen Grundlage dieser Aktion verwies der befehlshabende „Ordnungshüter“ auf die Anweisungen der Richterin Ulrike Schrage.
Erst nach dieser Prozedur durfte der Verhandlungsraum betreten werden, in dem bereits Polizeikräfte Platz genommen hatten. Ein großer Teil der rund 45 kontrollierten Menschen konnte deshalb erst verspätet eintreten. Etwa 20 Personen fanden wegen angeblich fehlender Plätze gar keinen Einlass. Durch die An- weisungen der Richterin Schrage wurde also das Recht der Öffentlichkeit auf Teilnahme bewusst eingeschränkt.
Die Ereignisse am 1. Mai 2019
Während der DGB-Kundgebung auf dem Marktplatz, versuchten Polizeibeamte der sogenannten BFE-Einheit (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) einen Mann festzunehmen. Dieser soll bei der vorangegangenen Demo einen Rauchtopf gezündet haben.
Statt die weitere Vorgehensweise mit dem DGB als Veranstalter zu klären, eskalierte die Polizeitruppe durch ihren Einsatz die Lage. Bei ihrer Verfolgungsjagd auf den Marktplatz rempelten sie mehrere Kolleginnen und Kollegen rücksichtslos an.
Ein ver.di-Sekretär, der auch als Ordner fungierte, wollte klärend eingreifen. Er wurde jedoch selbst zu Boden geworfen, festgenommen und dabei verletzt. Die bis dahin völlig friedliche Veranstaltung war nun von Polizeigewalt überschattet. Medien – einschließlich der Tagesschau – berichteten anschließend von „gewalttätigen Auseinandersetzungen in Mannheim“!
Überzogene Polizeiaktion
Das Verhalten der Polizei war damals vom Veranstalter, dem DGB Mannheim, und den anwesenden Geschäftsführern von Einzelgewerkschaften als völlig überzogene Aktion kritisiert worden.
Bereits während der ohne Störungen verlaufenen Gewerkschaftsdemo war der teilweise aggressive „Geleitschutz“ von Polizei in voller Kampfmontur sehr negativ aufgefallen.
Das massive Polizeiaufgebot bei der gewerkschaftlichen 1. Mai-Demonstration und -Kundgebung war provokativ. Es vermittelte in der Öffentlichkeit den Eindruck, die Bevölkerung müsse vor der Gewerkschaft geschützt werden.
Widerspruch gegen Strafbefehl zurückgenommen
Nach dem 1. Mai stellten die Justizbehörden dem ver.di-Sekretär einen Strafbefehl zu. 100 Tagessätze zu jeweils 10 Euro wegen Widerstands und tätlichen Angriffs gegen Einsatzkräfte der Polizei bedeuten eine Vorstrafe. Dagegen hatte der Kollege Einspruch eingelegt, der dann am 12. Dezember 2019 vor dem Amtsgericht verhandelt wurde.
Die einschüchternden Maßnahmen vor dem Gerichtssaal fanden ihre Fortsetzung im autoritären Verhalten der Richterin Schrage. Selbst die leise Regung einer Besucherin nahm sie zum Anlass, um dieser den Verweis aus dem Verhandlungsraum zu anzudrohen.
Im Gegensatz zu der gut einstudierten Prozessvorbereitung der Polizei war die Verteidigung des ver.di-Kollegen leider sehr schwach. Im Unterschied zu den „Ordnungskräften“ hatte der Gewerkschafter keine Zeugen benannt.
Nach Anhörung zweier Polizeizeugen und einer kurzen Verhandlungspause, wurde zum Erstaunen der Anwesenden der Einspruch zurückgenommen. Informationen zufolge hat Richterin Schrage gedroht, bei einem Urteil die Strafe spürbar zu erhöhen. Statt 1.000 Euro sollte der Kollege nun 8.000 Euro zahlen.
Vorstrafe wegen Ordnertätigkeit
Fakt ist, dass bei dem Verfahren die Eskalationsstrategie der Polizei am 1. Mai völlig unterbelichtet geblieben ist. Zum Beispiel war dem Gewerkschaftssekretär schon während der Demo von der Polizei untersagt worden, in seiner Eigenschaft als DGB-Ordner gemeinsam mit anderen Parolen zu rufen. Für die Richterin spielte dieser freche Angriff auf die freie Meinungsäußerung ebenso keine Rolle wie die Verletzung des Kollegen durch den Polizeieinsatz auf dem Marktplatz.
Fakt ist zudem, dass der ver.di-Kollege jetzt vorbestraft ist und dass auch anderen gewerkschaftlich Aktiven durch das politisch motivierte Vorgehen von Polizei und Justiz schwerer Schaden droht.