Ein Gespräch mit Betriebsrätinnen und Betriebsräten (III. und letzter Teil)*
Seit Monaten sind die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen die vorherrschenden Themen. Für uns Grund genug mit KollegInnen aus Chemie-, Metall- und Speditionsunternehmen über die aktuelle betriebliche Situation zu sprechen.
Wie werden die BR- und die Vertrauensleute-Sitzungen durchgeführt? Gibt es regelmäßige Austauschmöglichkeiten?
Tom: Alles nur sehr eingeschränkt. Vertrauensleute gibt es bei uns nicht. Die Betriebsräte, die vor Corona aktiv und ansprechbar waren, sind es meistens auch jetzt. Die anderen kannst du meiner Meinung nach vergessen.
Clara: Im Moment werden keine Sitzungen durchgeführt.
Kevin: Um große Sitzungen zu vermeiden, haben wir sozusagen auf einen Notbetrieb umgestellt. Das heißt, die gesamte BR-Arbeit macht derzeit der Betriebsausschuss (BA). Gerade die weniger aktiven BR-KollegInnen sind damit zufrieden. Sie können Verantwortung abgeben, müssen nicht so aktiv sein und können sich „zurücklehnen“. Andere fühlen sich durch die Einbindungsversuche der Chefs jetzt als wichtig. Sie genießen diese scheinbare Anerkennung. Der BA trifft sich mehrmals die Woche. Und für den Notfall gibt es eine „WhatsApp-Gruppe“.
Heiko: Wir führen im BR Videokonferenzen durch. Aber die wesentliche Arbeit macht der BA. Ein Teil der Betriebsräte ist abgetaucht. Die Vertrauensleute sind bei uns schwach und jetzt kaum noch zu irgendetwas zu bewegen.
Gibt es Unterstützung seitens der Gewerkschaft?
Clara: Ja. Gerade wenn es um rechtliche Unklarheiten geht, werden wir beraten. Aber dies bewegt sich natürlich im Rahmen der gewerkschaftlichen Gesamtstrategie. Und die ist nicht klassenkämpferisch, sondern kooperativ und partnerschaftlich.
Kevin: Für uns kann ich dies nicht uneingeschränkt bejahen. Aber das hängt wahrscheinlich sehr vom Bezirk und den zuständigen Hauptamtlichen ab. Wir haben zum Gewerkschaftsapparat sowieso eine kritische Haltung, und darum ist unsere Zusammenarbeit – vorsichtig gesagt – nicht konfliktfrei. Ich habe den Eindruck, dass „die“ Gewerkschaft zurzeit überfordert ist und nicht weiß, wie sie in dieser Situation agieren soll. Mal sehen, ob sich das noch ändert.
Heiko: Schon. Aber wir verlassen uns sowieso nicht nur auf die zuständige Sekretärin, sondern klären vieles auch mit unserem Anwalt.
Wie wird der Kontakt zu den Beschäftigten gehalten? Gibt es regelmäßige Ansprechzeiten (Telefon, Videochat usw.)?
Clara: Bei uns halten nur wenige Betriebsräte den direkten Kontakt zu den Beschäftigten aufrecht. Die anderen siehst du nicht mehr in den Abteilungen. Aber das sind vor allem diejenigen, die vorher schon selten in den Abteilungen waren. Jetzt haben sie dafür einen „guten“ Grund. Die Krise zeigt eben auch bei uns, wo es Schwächen oder Fehlbesetzungen gibt. Regelmäßige Ansprechzeiten werden von der BR-Mehrheit nicht organisiert.
Kevin: Wir halten den Kontakt zu unseren KollegInnen wie vor Corona. Wir gehen unter Einhaltung der Infektionsschutzregeln in die Abteilungen. Und das BR-Büro ist immer für alle offen.
Tom: Bei uns war dieser Kontakt schon immer schwierig und unterentwickelt. Das ist durch Corona noch schlechter geworden. Aber die Betriebsräte, die vor der Krise aktiv waren, sind es jetzt immer noch. Die Faulen haben einen weiteren Grund gefunden, nichts zu tun.
Wie werden Abteilungs- und Betriebsversammlungen durchgeführt?
Kevin: Unsere geplante Betriebsversammlung wurde erstmal abgesagt. Eine alternative Planung gibt es noch nicht. Da der Betriebsrat praktisch nur noch ein „Rumpf-BR“ ist, gibt es auch nicht unsere regelmäßigen Veröffentlichungen.
Clara: Bei uns wurden alle Versammlungen abgesagt. Derzeit gibt es auch keine Planung, z. B. eine Telefon- oder Videokonferenz durchzuführen.
Heiko: Die Betriebsversammlung wurde abgesagt. Es gibt zwar die Idee, eine Versammlung als Videokonferenz durchzuführen, aber dies ist noch nicht wirklich konkret.
Tom: Bei uns wurden die sowieso schon seltenen Versammlungen vorerst ausgesetzt.
Welche Auswirkungen erwartet ihr für die kommenden Monate?
Tom: Ich befürchte, dass Stellen entfallen. Wenn die Auftraggeber ihre Produktion zurückfahren, hat das unmittelbar Auswirkungen auf externe Firmen wie uns. Ich rechne dann eher mit Entlassungen als mit Kurzarbeit. Bezüglich der Betriebsratsarbeit erwarte ich überhaupt keine Änderungen.
Kevin: Wir fürchten, dass für einige Abteilungen Kurzarbeit beantragt wird. Das kann schon problematisch werden. Aber noch mehr fürchte ich, dass die Chefetage die Krise nutzt, um weiter zu „optimieren“. Die Angst der KollegInnen_vor Arbeitsplatzverlust schafft dafür gute Voraussetzungen. Und auch der Rückzug eines Teils des Betriebsrates kommt dem Unternehmen entgegen. Ich hoffe, es gelingt, die bei uns verbreitete „Corona-Lethargie“ zu überwinden. Die kann ja auch ganz schnell zu Resignation führen. Einfach wird dies für uns nicht.
Heiko: Bei uns sehe ich keine Kurzarbeit. Aber die konzernweite „Optimierung“ wird natürlich fortgesetzt. Die Folgen für uns werden noch mehr Arbeitsdruck sein. Alles steht und fällt damit, ob wir den Betriebsrat und den Vertrauensleutekörper verjüngen und aktivieren können. Im Moment haben wir dazu zwar ganz gute Chancen, aber einfach geht anders.
Clara: Ich rechne auch bei uns mit Kurzarbeit. Das hängt aber davon ab, wie lange der „Lockdown“ greift und wann der globale Handel wieder funktioniert. Ob es den aktiven Betriebsräten und Vertrauensleuten gelingt, aus der Krise gestärkt herauszukommen, kann ich noch nicht sagen. Aber ein Teil der Belegschaft hat – zumindest im Moment – verstanden, welche BetriebsrätInnen aktiv sind und etwas bewegen möchten und welche nicht. Ob das von Dauer sein wird, kann ich nicht sagen. Aber derzeit sieht es ganz gut aus und ich bin zuversichtlich.
* [Das Gespräch fand Mitte April statt. Die Namen wurden zum Schutz der Teilnehmenden geändert. Die Fragen stellte U. D.]