B. S.
In Frankreich finden derzeit zahlreiche Auseinandersetzungen um die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten statt. Sie sind über die Grenzen hinweg von Bedeutung. Wir berichten im Folgenden über Amazon France und andere Unternehmen.
Das zweitinstanzliche Urteil des Berufungsgerichts Versailles vom 24.04.2020 zu Amazon France befasst sich mit der Gesundheitsgefährdung von Lohnabhängigen während der Corona-Krise. Der Amazon-Konzern hatte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Gerichts von Nanterre vom 14. April 2020 eingelegt.
Verpflichtender Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
Im Kern läuft das Berufungsurteil darauf hinaus, dass Amazon sich nicht seiner Verantwortung für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz entziehen darf. Der Konzern bleibt verpflichtet, für alle abhängig Beschäftigten eine „Risikobewertung“ (Gefährdungsanalyse) ihrer jeweiligen Arbeitsplätze unter den Bedingungen der Pandemie durchzuführen. Die betreffenden Gefährdungsrisiken müssen in allen sechs Logistikzentren von Amazon France erfasst werden, für die zuvor die Arbeitsinspektion (eine Art Gewerbeaufsicht) Versäumnisberichte erstellt hatte. Insgesamt ist Amazon France an 23 Standorten in Frankreich tätig.
Zusätzlich hebt das Urteil hervor, dass bislang in mehreren Fällen das Beschäftigten-Vertretungsorgan CSE (Comité social et économique - „Wirtschafts- und Sozialausschuss“) an den betreffenden Standorten rechtswidrig nicht angehört wurde.
Das Berufungsgericht urteilte folgerichtig, dass zuerst vor dem CSE jedes betroffenen Standorts die Risikobewertung darzulegen und diese mit ihm zu debattieren ist. Erst danach können die dazu gehörigen Richtlinien vom Unternehmen verabschiedet werden.
Im Unterschied zum erstinstanzlichen Urteil aus Versailles vom 14.04.2020 wird Amazon jedoch gestattet, eine breitere Auswahl von Dienstleistungen anzubieten. Laut dem erstinstanzlichen Urteil durfte der Konzern während der Dauer der Ausgangsbeschränkungen nur Güter des Grundbedarfs (Nahrungsmittel und medizinische Artikel wie Fieberthermometer) ausliefern.
Das Berufungsurteil fügt dem nun eine größere Produktpalette hinzu, auch wenn es die Breite der Angebote ebenfalls einschränkt.
Ein zweiter Unterschied im Vergleich zum erstinstanzlichen Urteil liegt darin, dass die zweite Instanz ein geringeres, pro Verstoß gegen das Urteil fällig werdendes Strafgeld festsetzt (100.000 statt zuerst 1 Mio. €).
Sowohl die Presse als auch die Reaktion der klagenden Gewerkschaftsvereinigung Union syndicale Solidaires betonen, dass Amazon auch in der Berufungsinstanz verloren habe, verurteilt bleibe und weiterhin bei Strafe Verbote einhalten müsse.
Konflikte in anderen Unternehmen
Ein weiteres Urteil fiel am selben Tag auch im nordfranzösischen Lille. Dort hatte der Gewerkschaftsdachverband CGT gegen die Supermarktkette Carrefour geklagt. Die CGT forderte in ihrer Niederlassung in der Kleinstadt Lomme nur noch die Abteilungen für Nahrungsmittel, Hygienebedarf, Gesundheitsprodukte sowie Schreibbedarf zu öffnen, den Rest des Supermarkts – mit Ausnahme dieser Sparten – jedoch für die Dauer des „sanitären Notstands“ für den Publikumsbedarf zu schließen.
In diesem Falle unterlag jedoch die CGT. Sie soll jetzt rund 1.000 € Prozesskosten an Carrefour zahlen. Das Gericht hielt es nicht für erwiesen, dass die Öffnung oder Schließung weiterer als der genannten Abteilungen einen besonderen Einfluss auf die Gesundheitsrisiken für das Supermarktpersonal habe.
Auch in anderen Supermarktketten finden Auseinandersetzungen um den Gesundheitsschutz statt. Mit ziemlich finsteren Managementpraktiken setzt dabei insbesondere das Unternehmen Leclerc Beschäftigte unter Druck.
Auch andernorts fanden und finden Konflikte um die Öffnung oder vorläufige Nichtöffnung von Arbeitsstätten während der Fortdauer der akuten Pandemie statt.
Am 28. April 2020 wurde die Renault-Fabrik in Flins (rund siebzig Kilometer westlich von Paris) wiederöffnet. Der Personaldirektor von Renault behauptete, dass in diesem Zusammenhang die ArbeiterInnen nicht unter Druck gesetzt worden seien.
Ärger gibt es auch beim einzigen Spielcasino des Raums Paris in Enghien-les-Bains mit 600 Angestellten. Dort verhinderte die Direktion dreisterweise nicht nur die Auszahlung des vollen (vom Staat bezahlten) Kurzarbeitergelds an die Beschäftigten. Sie setzte zudem Maßnahmen des Gesundheitsschutzes für die Zeit nach der Wiedereröffnung nicht um.