Interview mit einer iranischen Genossin zur Revolte im Iran*
Millionen von Menschen – Frauen, Arbeiter:innen, die Unterdrückten, Geknechteten und Geknebelten der islamistischen Diktatur – erschüttern seit mehr als 40 Tagen die Herrschaft des iranischen Regimes. Avanti² sprach darüber mit der Iranerin Riri, die sich seit 2020 in Deutschland aufhält.
Wie blickst Du auf die aktuellen Proteste im Iran?
Die aktuelle Situation im Iran ist eine starke Antwort auf 44 Jahre Unterdrückung durch das iranische Regime. Diese Revolution begann mit einer kollektiven Trauer um eine Frau, Mahsa Amini, aber diese Trauer endete nicht mit Tränen und Schmerz, sondern hat die Kraft, sich zu verändern. Es hat uns alle transformiert und sich in ein tieferes soziales Bewusstsein und eine Wertschätzung für die Frau, das Leben und die Frei- heit verwandelt. Aus intensiven Gefühlen über das, was verloren gegangen ist, ist eine Kraft entstanden, um das zu revoltieren, was übrig bleibt: um die gesamte Gesellschaft in der Revolution zu verändern und den Staatsapparat mit all seinen Unterdrückungsmechanismen abzuschaffen.
In den deutschen Medien werden die Aufstände im Iran häufig als eine Frauenbewegung gegen das Kopftuch beschrieben. Inwieweit trifft das Deiner Meinung nach zu? Wie siehst Du die Rolle der Frauen?
Dies ist ohne Zweifel eine Frauenbewegung und gegen den obligatorischen Hijab (die Kopfbedeckung), aber wir sollten hier zwei Punkte berücksichtigen.
Erstens war diese Frauenbewegung von Anfang an viel mehr als das. Sie schließt alle Menschen ein, die unter systematischer Ungerechtigkeit, Misshandlung und Vernachlässigung durch das iranische Regime leiden. Frauen öffnen dabei neue politische Perspektiven und zeigen emanzipatorische Wege auf, sich gegen die brutalen Autoritäten zu wehren.
Zweitens richtet sich die Bewegung gegen den obligatorischen Hijab, mehr jedoch gegen den Zwang an sich. Dies ist eine Revolution aller Oppositionellen, die das etablierte politisch-religiöse System des Iran aktiv in Frage stellen.
Du arbeitest hier mit Kindern zur Gewaltprävention. Wie geht es den Kindern im Iran momentan? Inwieweit sind oder werden sie in die Aufstände involviert?
Wir sehen eine große Handlungsmacht bei Kindern, besonders bei Mädchen, die als Handelnde statt als Opfer auftreten. Mädchen erfahren und zeigen sich als kraftvoll, stark und entschlossen. Sie können ihre eigenen Grenzen wahrnehmen, ernst nehmen und setzen. Schulen ermöglichen ihnen, ihre Gruppenzusammengehörigkeit stärken zu können und ihre berechtigten Forderungen an das autoritäre Regime hochzuhalten. Sie sind mehrfach als hochgeschätzte Vorkämpferinnen bezeichnet worden, und das ist richtig.
Das Regime versucht aber auch, Kinder für seine eigenen politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Ein Teil dieser Instrumentalisierung besteht darin, Kinder als Soldaten einzusetzen und sie zwangsweise in gewalttätige Konflikte einzubinden. Zur Niederschlagung der Proteste schickt das Regime immer wieder Kinder in Uniform vor, um Erwachsene in ihrem Widerstand zu bremsen. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Regime die Gesundheit und das Leben der Kinder auf brutalste Weise gefährdet. Diese Revolution sollte ein erneutes Engagement für den Schutz und das Wohl von Kindern einfordern. Und wir sollten ihnen wachsam beistehen.
Was kann die arbeitende Klasse hierzulande zur Unterstützung der Aufständischen im Iran tun? Welche Rolle spielt dabei auch die iranische Diaspora?
Ich möchte hier Jean-François Lyotard zitieren, der die Bedeutung von „Zeugen“ hervorhebt. Auch wenn wir von hier aus nur begrenzt an den Aufständen mitwirken können, so spielen wir doch eine wichtige Rolle als Zeug:innen von dem Unrecht, das insbesondere Frauen und die arbeitende Klasse im Iran täglich erfahren. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland können gemeinsam mit der iranischen Diaspora die brutale Unterdrückung und den unerbittlichen Widerstand dagegen in die Öffentlichkeit bringen.
Das bedeutet für mich internationale Solidarität. Die Menschen im Iran spüren diese Solidarität. Bilder von internationalen Protestaktionen geben den Aufständischen Kraft für ihre Kämpfe. Deswegen müssen wir ihnen immer wieder zeigen: Ihr seid nicht allein. Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt stehen hinter euch.
*[Die Fragen stellte N. B.]