Ihr seid nicht allein!“

Inter­view mit einer ira­ni­schen Genos­sin zur Revol­te im Iran*

 

Mil­lio­nen von Men­schen – Frau­en, Arbeiter:innen, die Unter­drück­ten, Geknech­te­ten und Gekne­bel­ten der isla­mis­ti­schen Dik­ta­tur – erschüt­tern seit mehr als 40 Tagen die Herr­schaft des ira­ni­schen Regimes. Avan­ti² sprach dar­über mit der Ira­ne­rin Riri, die sich seit 2020 in Deutsch­land aufhält.

Block der NPA auf der Pariser Solidaritätsdemo mit der Revolte im Iran, 9. Oktober 2022. (Foto: Martin Noda / Hans Lucas.)

Block der NPA auf der Pari­ser Soli­da­ri­täts­de­mo mit der Revol­te im Iran, 9. Okto­ber 2022. (Foto: Mar­tin Noda / Hans Lucas.)

Wie blickst Du auf die aktu­el­len Pro­tes­te im Iran?
Die aktu­el­le Situa­ti­on im Iran ist eine star­ke Ant­wort auf 44 Jah­re Unter­drü­ckung durch das ira­ni­sche Regime. Die­se Revo­lu­ti­on begann mit einer kol­lek­ti­ven Trau­er um eine Frau, Mah­sa Ami­ni, aber die­se Trau­er ende­te nicht mit Trä­nen und Schmerz, son­dern hat die Kraft, sich zu ver­än­dern. Es hat uns alle trans­for­miert und sich in ein tie­fe­res sozia­les Bewusst­sein und eine Wert­schät­zung für die Frau, das Leben und die Frei- heit ver­wan­delt. Aus inten­si­ven Gefüh­len über das, was ver­lo­ren gegan­gen ist, ist eine Kraft ent­stan­den, um das zu revol­tie­ren, was übrig bleibt: um die gesam­te Gesell­schaft in der Revo­lu­ti­on zu ver­än­dern und den Staats­ap­pa­rat mit all sei­nen Unter­drü­ckungs­me­cha­nis­men abzuschaffen.

In den deut­schen Medi­en wer­den die Auf­stän­de im Iran häu­fig als eine Frau­en­be­we­gung gegen das Kopf­tuch beschrie­ben. Inwie­weit trifft das Dei­ner Mei­nung nach zu? Wie siehst Du die Rol­le der Frauen?
Dies ist ohne Zwei­fel eine Frau­en­be­we­gung und gegen den obli­ga­to­ri­schen Hijab (die Kopf­be­de­ckung), aber wir soll­ten hier zwei Punk­te berücksichtigen.

Ers­tens war die­se Frau­en­be­we­gung von Anfang an viel mehr als das. Sie schließt alle Men­schen ein, die unter sys­te­ma­ti­scher Unge­rech­tig­keit, Miss­hand­lung und Ver­nach­läs­si­gung durch das ira­ni­sche Regime lei­den. Frau­en öff­nen dabei neue poli­ti­sche Per­spek­ti­ven und zei­gen eman­zi­pa­to­ri­sche Wege auf, sich gegen die bru­ta­len Auto­ri­tä­ten zu wehren.

Zwei­tens rich­tet sich die Bewe­gung gegen den obli­ga­to­ri­schen Hijab, mehr jedoch gegen den Zwang an sich. Dies ist eine Revo­lu­ti­on aller Oppo­si­tio­nel­len, die das eta­blier­te poli­tisch-reli­giö­se Sys­tem des Iran aktiv in Fra­ge stellen.

Du arbei­test hier mit Kin­dern zur Gewalt­prä­ven­ti­on. Wie geht es den Kin­dern im Iran momen­tan? Inwie­weit sind oder wer­den sie in die Auf­stän­de involviert?
Wir sehen eine gro­ße Hand­lungs­macht bei Kin­dern, beson­ders bei Mäd­chen, die als Han­deln­de statt als Opfer auf­tre­ten. Mäd­chen erfah­ren und zei­gen sich als kraft­voll, stark und ent­schlos­sen. Sie kön­nen ihre eige­nen Gren­zen wahr­neh­men, ernst neh­men und set­zen. Schu­len ermög­li­chen ihnen, ihre Grup­pen­zu­sam­men­ge­hö­rig­keit stär­ken zu kön­nen und ihre berech­tig­ten For­de­run­gen an das auto­ri­tä­re Regime hoch­zu­hal­ten. Sie sind mehr­fach als hoch­ge­schätz­te Vor­kämp­fe­rin­nen bezeich­net wor­den, und das ist richtig.

Das Regime ver­sucht aber auch, Kin­der für sei­ne eige­nen poli­ti­schen Zwe­cke zu instru­men­ta­li­sie­ren. Ein Teil die­ser Instru­men­ta­li­sie­rung besteht dar­in, Kin­der als Sol­da­ten ein­zu­set­zen und sie zwangs­wei­se in gewalt­tä­ti­ge Kon­flik­te ein­zu­bin­den. Zur Nie­der­schla­gung der Pro­tes­te schickt das Regime immer wie­der Kin­der in Uni­form vor, um Erwach­se­ne in ihrem Wider­stand zu brem­sen. Wir dür­fen nicht zulas­sen, dass das Regime die Gesund­heit und das Leben der Kin­der auf bru­tals­te Wei­se gefähr­det. Die­se Revo­lu­ti­on soll­te ein erneu­tes Enga­ge­ment für den Schutz und das Wohl von Kin­dern ein­for­dern. Und wir soll­ten ihnen wach­sam beistehen.

Was kann die arbei­ten­de Klas­se hier­zu­lan­de zur Unter­stüt­zung der Auf­stän­di­schen im Iran tun? Wel­che Rol­le spielt dabei auch die ira­ni­sche Dia­spo­ra?
Ich möch­te hier Jean-Fran­çois Lyo­tard zitie­ren, der die Bedeu­tung von „Zeu­gen“ her­vor­hebt. Auch wenn wir von hier aus nur begrenzt an den Auf­stän­den mit­wir­ken kön­nen, so spie­len wir doch eine wich­ti­ge Rol­le als Zeug:innen von dem Unrecht, das ins­be­son­de­re Frau­en und die arbei­ten­de Klas­se im Iran täg­lich erfah­ren. Die Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter in Deutsch­land kön­nen gemein­sam mit der ira­ni­schen Dia­spo­ra die bru­ta­le Unter­drü­ckung und den uner­bitt­li­chen Wider­stand dage­gen in die Öffent­lich­keit bringen.

Das bedeu­tet für mich inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät. Die Men­schen im Iran spü­ren die­se Soli­da­ri­tät. Bil­der von inter­na­tio­na­len Pro­test­ak­tio­nen geben den Auf­stän­di­schen Kraft für ihre Kämp­fe. Des­we­gen müs­sen wir ihnen immer wie­der zei­gen: Ihr seid nicht allein. Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter auf der gan­zen Welt ste­hen hin­ter euch.


*[Die Fra­gen stell­te N. B.]


Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Novem­ber 2022
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