200 Jah­re Karl Marx (6.Teil)

Die „end­lich ent­deck­te poli­ti­sche Form“

 

Manu­el Kellner

 

Nach gän­gi­ger Mei­nung dient der Staat der Gesell­schaft ins­ge­samt, vor allem, wenn die Regie­run­gen aus frei­en Wah­len her­vor­ge­hen. Karl Marx schrieb jedoch im Kom­mu­nis­ti­schen Mani­fest: „Die moder­ne Staats­ge­walt ist nur ein Aus­schuß, der die gemein­schaft­li­chen Geschäf­te der gan­zen Bour­geois­klas­se ver­wal­tet.“ (MEW 4, S. 464.) Die Regie­run­gen müs­sen den Anschein erwe­cken, für alle Bür­ge­rin­nen und Bür­ger da zu sein; in Wirk­lich­keit arbei­ten sie für die Inter­es­sen des Kapi­tals. Ganz all­ge­mein galt für Marx: „poli­ti­sche Gewalt ist im eigent­li­chen Sin­ne die orga­ni­sier­te Gewalt einer Klas­se zur Unter­drü­ckung einer ande­ren.“ (MEW 4, S. 482.)

Dem wider­spricht nicht, dass mit bestimm­ten dik­ta­to­ri­schen und auto­ri­tä­ren Regie­rungs­for­men nur Tei­le der herr­schen­den Kapi­ta­lis­ten­klas­se unmit­tel­bar poli­ti­sche Macht aus­üben. Es ist unter güns­ti­gen Bedin­gun­gen auch mög­lich, Maß­nah­men im Inter­es­se der arbei­ten­den Klas­se durch­zu­set­zen, wie etwa den 10-Stun­den-Tag 1847 in England.

Im März 1850 schrieb Marx im Rück­blick auf die geschei­ter­te Revo­lu­ti­on von 1848/49, die arbei­ten­de Klas­se müs­se „nicht nur auf die eine und unteil­ba­re Repu­blik, son­dern auch in ihr auf die ent­schie­dens­te Zen­tra­li­sa­ti­on der Gewalt in die Hän­de der Staats­macht hin­wir­ken”. (MEW 7, S. 252.) Das stand in der Tra­di­ti­on der zeit­ge­nös­si­schen (vor allem fran­zö­si­schen) Vor­stel­lun­gen von revo­lu­tio­nä­rer Dik­ta­tur, um den Wider­stand der herr­schen­den Klas­se zu bre­chen. Doch bei allen spä­te­ren Äuße­run­gen von Marx wird umge­kehrt sei­ne gegen auto­ri­tä­re Staats­macht gerich­te­te Posi­ti­on deutlich.

Das gilt ganz beson­ders für sei­ne Ver­ar­bei­tung der Erfah­run­gen der Pari­ser Kom­mu­ne von 1871. Sie wür­de „dem gesell­schaft­li­chen Kör­per alle die Kräf­te zurück­ge­ge­ben haben, die bis­her der Schma­rot­zer-Aus­wuchs ‚Staat‘, der von der Gesell­schaft sich nährt und ihre freie Bewe­gung hemmt, auf­ge­zehrt hat.“ (MEW 17, S. 341.) Marx betont die „Art“, in der „nicht nur die städ­ti­sche Ver­wal­tung, son­dern auch die gan­ze, bis­her durch den Staat aus­ge­üb­te Initia­ti­ve […] in die Hän­de der Kom­mu­ne gelegt“ wur­de. (MEW 17, S. 339.)

Das von der Volksrepublik China gespendete Marx-Denkmal in Trier (Foto: Avanti²)

Das von der Volks­re­pu­blik Chi­na gespen­de­te Marx-Denk­mal in Trier (Foto: Avanti²)

Die „Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats“ als Herr­schaft einer Gesell­schafts­klas­se, die von Anfang an den Keim des Abster­bens aller Herr­schaft von Men­schen über Men­schen in sich trägt, stell­te sich Marx nun­mehr als Ver­all­ge­mei­ne­rung der Kom­mu­nal­ver­fas­sung von 1871 in Paris vor:

Die Ein­heit der Nati­on […] soll­te eine Wirk­lich­keit wer­den durch die Ver­nich­tung jener Staats­macht, wel­che sich für die Ver­kör­pe­rung die­ser Ein­heit aus­gab, aber unab­hän­gig und über­le­gen sein woll­te gegen­über der Nati­on, an deren Kör­per sie doch nur ein Schma­rot­zer­aus­wuchs war.“ (MEW 17, S. 340.)

Die Pari­ser Kom­mu­ne war aus frei­en Wah­len her­vor­ge­gan­gen. In ihr waren ver­schie­de­ne poli­ti­sche Strö­mun­gen ver­tre­ten. Die Abge­ord­ne­ten waren ihren Wäh­lern (lei­der nur den Män­nern) rechen­schafts­pflich­tig, jeder­zeit absetz­bar und erhiel­ten durch­schnitt­li­chen Arbei­ter­lohn. Für Marx „war [die Pari­ser Kom­mu­ne] wesent­lich eine Regie­rung der Arbei­ter­klas­se, […] die end­lich ent­deck­te poli­ti­sche Form, unter der die öko­no­mi­sche Befrei­ung der Arbeit sich voll­zie­hen konn­te.“ (MEW 17, S. 342.)

Sein Freund Fried­rich Engels bekräf­tig­te dies 1891: „Der deut­sche Phi­lis­ter ist neu­er­dings wie­der in heil­sa­men Schre­cken gera­ten bei dem Wort: Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats. Nun gut, ihr Her­ren, wollt ihr wis­sen, wie die­se Dik­ta­tur aus­sieht? Seht euch die Pari­ser Kom­mu­ne an. Das war die Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats.“ (MEW 22, S. 199.)

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2018
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