Bruch mit der Streikvermeidung?
H. N.
Für Anfang Januar plant die IG Metall (IGM) erste Warnstreiks für die Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie. Auch in Mannheim und Umgebung will die Gewerkschaft Druck für ihre Forderungen machen.
Die IGM fordert eine Entgelterhöhung von 6 Prozent für 12 Monate und einen individuellen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung. Für maximal zwei Jahre soll eine Kürzung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 28 Stunden möglich sein. Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen oder Kindern unter 14 Jahren sollen ebenso wie SchichtarbeiterInnen Anspruch auf Entgeltzuschüsse zu haben, um dann entstehende finanzielle Verluste „abzufedern“.
Provokationen des Kapitals
Die Metall-Kapitalisten setzen auch im Südwesten auf verbale und juristische Konfrontation. In den Medien kündigen sie die „härteste Tarifrunde der letzten Jahrzehnte“ an. Sie bieten 200 Euro Einmalzahlung und zwei Prozent Entgelterhöhung für 15 Monate an. Das ist unterhalb der offiziellen Preissteigerungsrate.
Eine Entgelterhöhung soll es aber nur mit gleichzeitiger Arbeitszeitverlängerung geben: 40 Wochenstunden und mehr – ohne Zuschläge für Überstunden. Im Unternehmen des Präsidenten von Gesamtmetall, Rainer Dulger, versucht die Geschäftsleitung eine entsprechende Betriebsvereinbarung vom Betriebsrat mit der Drohung zu erpressen, Investitionen ins Ausland zu verlagern.
Eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich lehnen die Kapitalisten kategorisch ab. Rainer Dulger sagte in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen: „Das Problem liegt nicht so sehr in der Verkürzung auf 28 Wochenstunden […]. [Aber:] Der geforderte Lohnausgleich ist ungerecht, diskriminierend und rechtswidrig. Deswegen lehnen wir ihn ab.“ Ein bestelltes „Rechtsgutachten“ soll zudem nachweisen, dass die Gewerkschaft das Thema Arbeitszeitverkürzung nicht in die Tarifrunde einbringen dürfe.
Welche Antworten?
Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, kommentierte das Verhalten der Gegenseite wie folgt: „Die Arbeitgeber haben in den bisherigen Verhandlungen gezeigt, dass sie den Konflikt mit uns suchen. Ihr Angebot ist eine klare Provokation.“ Er kündigte bundesweite Warnstreiks an. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Gewerkschaft bei einer weiteren Zuspitzung der Tarifrunde erstmals zu 24-Stundenstreiks ohne Urabstimmung aufrufen will.
Aber auch das wird nicht ausreichen. Zumal „wenn Konzerne“, wie Jörg Hofmann das ausdrückt, „den sozialen Kompromiss […] mit Füßen treten“.
Der Geschäftsführer der Mannheimer IG Metall, Klaus Stein, geht in der Analyse weiter als Hofmann und fordert ein Umdenken: „Wir müssen darüber reden, ob Unternehmen ein Teil dieser Gesellschaft sind oder ob wir es akzeptieren, dass sie sich gesellschaftlicher Verantwortung immer mehr entziehen.“
Mit einer geänderten Streiktaktik allein wird die IG Metall der zunehmend offeneren antigewerkschaftlichen Strategie der Kapitalisten keine mittel- und langfristig wirksame Gegenmacht entgegensetzen können.
Angesichts radikaler auftretender Konzerne, angesichts der zunehmender Prekarität von Arbeitsverhältnissen und der drohenden massiven Rationalisierungseffekte von Digitalisierung und „Elektromobilität“ muss endlich das Tabu einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung gebrochen werden.
Es war immerhin die IG Metall, die 1984 mit einem sechswöchigen Streik den Weg zur 35-Stundenwoche trotz massenhafter Aussperrung geöffnet hat. Mittlerweile haben sich jedoch die meisten Gewerkschaftsvorstände und Betriebsräte der „Alternativlosigkeit“ der kapitalistischen Globalisierung und des gnadenlosen Konkurrenzkampfs angepasst.
Tarifpolitische Sprengkraft?
Die Tarifrunde M+E 2018 birgt angesichts der Gewinnsteigerungen im letzten Jahr sehr wohl tarifpolitische Sprengkraft.
Auch die Forderung des IGM-Bezirks Belin-Brandeburg-Sachsen nach einer „verlässlichen“ Anpassung der tariflichen Wochenarbeitszeit Ost (38 Stunden) an den Westen (35 Stunden) trägt dazu bei. Ihre Durchsetzung könnte der künftigen Diskussion über eine 30-Stundenwoche bei vollem Entgelt- und Personalausgleich etwas Schwung geben.