Für Einheitsfront gegen Faschismus!*
W. A.
Das Drama der deutschen ArbeiterInnenbewegung im 20. Jahrhundert ist von zwei Eckdaten bestimmt – dem Scheitern der Novemberrevolution 1918 und der Machtübergabe an die Nazis 1933. Die blutige Unterdrückung des politischen und sozialen Aufstands der radikalen Teile der arbeitenden Klasse 1918/1919 war das gemeinsame Werk von Mehrheits-SPD um Ebert-Noske, Kapitalverbänden, Reichswehr und Freikorps. Dieses Bündnis bereitete, wie Sebastian Haffner zu Recht geschrieben hat, das faschistische Deutschland vor.
Eine zentrale Zwischenetappe auf dem Weg in den braunen Abgrund war der verpasste Oktoberaufstand 1923. Sie beendete nicht nur die 1917 in Europa begonnene Phase revolutionärer Erhebungen, sondern öffnete gleichzeitig dem Stalinismus in der Sowjetunion das Tor.
Dort hatte im selben Jahr der zynische Kampf gegen die Linke Opposition in der Kommunistischen Partei Rußlands begonnen. Sie war im Herbst 1923 um prominente Bolschewiki wie Leo D. Trotzki und Jewgeni A. Preobraschenski gebildet worden. Die Linke Opposition forderte einen „neuen Kurs“ – insbesondere die Demokratisierung der Kommunistischen Partei und die planmäßige Industrialisierung der sowjetischen Wirtschaft.
Obwohl ihre Reformvorschläge von der Parteibasis mehrheitlich unterstützt wurden, konnte sie vom Parteiapparat unter Stalin bürokratisch ausgeschaltet werden. Diese Ent- wicklung war im Wesentlichen bereits im Januar 1924 abgeschlossen.
Die genannten Rahmenbedingungen bestimmten die weitere Entwicklung der KPD. Aus ihren Reihen sollte später auch in Deutschland eine linksoppositionelle Strömung entstehen. Ihre geschichtlichen Bezugspunkte sind in der Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 und im Kampf gegen die stalinistische Bürokratisierung des Rätestaates zu finden.
Nach seiner Ausweisung aus der UdSSR im Februar 1929 begann Trotzki damit, die zersplitterten Kräfte der internationalen linksoppositionellen Gruppen zu bündeln. Ziel dieser Bestrebungen war die Reform und politische Wieder- belebung der Dritten Internationale auf der Grundlage ihrer revolutionären Traditionen.
Die bedeutendste deutsche linkskommunistische Organisation mit anfangs rund 6.000 Mitgliedern war der im April 1928 gegründete Leninbund. Allerdings wirkte das vergiftete Erbe der scharfen innerparteilichen Auseinandersetzungen der KPD auf politischer und persönlicher Ebene im linksoppositionellen Spektrum noch lange nach.
Dies war nicht zuletzt ein Ergebnis der vom sowjetischen Geheimdienst GPU seit Mitte der 1920er Jahre begonnenen Zersetzungsarbeit gegenüber links-oppositionellen KommunistInnen. Die deutsche Geheimpolizei konnte diese Aktivitäten übrigens detailliert überwachen. (Vgl. hierzu Günter Wernicke, Operativer Vorgang [OV] „Abschaum“; in: Andreas G. Graf [Hg.], Anarchisten gegen Hitler, Berlin 2001, S. 284 f.)
Ab Sommer 1929 führte ein offener Streit zwischen der Mehrheit um Hugo Urbahns und einer Minderheit um Anton Grylewicz zur Spaltung des Leninbundes. Bereits im Februar 1930 wurde die Minderheit ausgeschlossen. Bei diesem Disput ging es im Kern um die Frage: Reform der KPD oder Schaffung einer neuen Kommunistischen Partei?
Die verdeckte Spitzel- und Spaltungstätigkeit von GPU-Agenten wie Roman Well (d. i. Ruvin Sobolevicius), seinem Bruder Adolf Senin (d. i. Abraham Sobolevicius) oder Jakob Frank verzögerten zunächst die Sammlung der Linken Opposition in Deutschland.
Startprobleme
Die Vereinigte Linke Opposition der K.P.D. (Bolschewiki-Leninisten) (VLO) konnte deshalb erst am 30. März 1930 in Berlin unter großen Schwierigkeiten gegründet werden. Dieser Zusammenschluss von Leninbund-Minderheit mit den Resten der ebenfalls linkskommunistischen Weddinger Opposition um Kurt Landau wurde weniger auf einer festen politischen als auf einer formalen Grundlage vollzogen.
Als Zentralorgan veröffentlichte die VLO die zweiwöchentlich erscheinende Zeitung Der Kommunist. Die rund 200 Mitglieder zählende VLO war jedoch keine einheitliche, ge- schweige denn eine wirklich handlungsfähige Organisation.
Zudem konnte der immer noch nicht enttarnte stalinistische Provokateur Well als Mitglied der neu gewählten Reichsleitung (RL) der VLO an prominenter Stelle sein spalterisches Treiben fortsetzen.
Erschwerend hinzu kam das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die bürokratisierte KPD ließ kaum Spielraum für die von der VLO angestrebte „Eroberung der Partei für die Lehren des Marxismus-Leninismus“. In den Organisationsrichtlinien des ZK der KPD hieß es: „Jedes trotzkistischer Ideen verdächtige Parteimitglied ist ohne Verfahren unverzüglich auszuschließen.“ Die zeitgenössische linksoppositionelle Presse berichtete über 53 Ausschlüsse von Mitgliedern der Linken Opposition in den Jahren 1930 bis 1933.
Am 6. April 1930 wurde in Paris die Internationale Linke Opposition (ILO) als „Fraktion der Komintern“ gegründet. Die VLO konnte als deutsche Sektion der ILO anfangs nur begrenzte organisatorische und politische Hilfe erwarten – wenn wir von der außerordentlichen Unterstützung Trotzkis einmal absehen.
Bereits im Juni 1930 verschärfte sich in der VLO eine Diskussion über das aktuelle Ausmaß der Bedrohung durch den Faschismus. Ein nur schwer durchschaubares Knäuel von Meinungsverschiedenheiten, Intrigen und Provokationen beanspruchte mehrere Monate lang die Kräfte der Organisation.
In der Folge zerfiel die VLO am 31. Mai 1931 – nur vierzehn Monate nach ihrer Gründung – in zwei Teile. Sie waren nahezu identisch mit der ehemaligen Minderheit des Leninbundes und der Weddinger Opposition. Die GPU konnte einen weiteren Erfolg verbuchen.
Mit der Trennung von der Gruppe um Landau fand die Anfangsphase der Linken Opposition der KPD ihren Abschluss. Mehr als ein Jahr lang hatten interne Querelen die VLO weitgehend gelähmt. Der bescheidene Zuwachs an neuen Kräften war durch die Spaltung wieder verloren gegangen. 80 Mitglieder verließen mit Landau die Organisation. Sie verteilten sich auf Berlin, Ludwigshafen, Leipzig und Hamburg-Harburg.
Insgesamt 150 Mitglieder in Bautzen, Berlin, Bruchsal, Forst, Goldap, Hamborn, Hamburg, Heidelsheim, Königsberg, Leipzig und Magdeburg wagten den Neuanfang.
Da Landau die Kontrolle über die Zeitung Der Kommunist erfolgreich verteidigt hatte, musste die Linke Opposition zunächst mittels eines hektographierten Mitteilungsblattes den Kontakt zu den Gruppen aufrechterhalten. Im Juli 1931 erschien dann endlich die erste Nummer der neuen gedruckten Zeitschrift Permanente Revolution.
Noch im Oktober 1931 sprach die LO selbst von einer „Periode der gewissen Stagnation“, aber im Dezember meinte sie, das „Stadium der Schwächung“ verlassen zu haben und eine langsame Aufwärtsentwicklung feststellen zu können.
Erst jetzt konnte sich die eigentliche Stärke der Linken Opposition der KPD, die scharfsinnige Analyse der Endphase der Weimarer Republik, besser entfalten.
Die massiven Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 hatten das Gefüge Deutschlands fundamental erschüttert. Soziale Verwerfungen ergaben sich aus der verheerenden Massenarbeitslosigkeit, politische durch die Auflösung der parlamentarischen Demokratie und die Erfolge der Nazibewegung insbesondere seit den Reichstagswahlen vom 14. September 1930.
Die sich verschärfende Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems und des bürgerlichen Parlamentarismus, der nur scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Nazi-Bewegung und das katastrophale Versagen der Führungen der Arbeiterorganisationen waren zentrale Themen der LO-Publikationen.
Die auch heute noch beeindruckende Klarheit ihrer Kommentare, Einschätzungen und Aktionsvorschläge verdankten sie vor allem den Stellungnahmen Trotzkis.
Von seinem türkischen Exil in Prinkipo aus verstand er es wie kein Zweiter, immer wieder überzeugende, aktualisierte Antworten auf die „Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ zu geben. Unermüdlich plädierten Trotzki und die Linke Opposition in einer Vielzahl von Artikeln und Broschüren für die Schaffung einer Einheitsfront der ArbeiterInnenbewegung gegen die faschistische Gefahr.
Faschismusanalyse
Das Anwachsen der NSDAP war Trotzki zufolge durch zwei Faktoren bedingt: einerseits der scharfen gesellschaftlichen Krise und andererseits der „revolutionären Schwäche des deutschen Proletariats“.
Wo sich die „fortschrittliche Klasse“, also das Proletariat, unfähig zeige, die Macht zu ergreifen und Wirtschaft und Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage neu zu gestalten, könne der niedergehende, sterbende Kapitalismus nur mittels der barbarischen Methoden des Faschismus aufrecht erhalten werden.
Es sei verhängnisvoll für die Arbeiterklasse, den Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus zu leugnen oder zu verwischen. Zwar bezeichnete er beide als lediglich unterschiedliche Arten kapitalistischer Herrschaft. Aber in der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie sei die Existenz unabhängiger proletarischer Organisationen wie politischer Parteien und Gewerkschaften möglich.
Diese Organisationen bildeten vom Standpunkt der Linken Opposition Keime der proletarischen Demokratie im Rahmen der bürgerlichen Demokratie. Sie waren also für die LO Stütz- punkte, von denen aus die arbeitende Klasse den revolutionären Kampf für ihre Interessen und gegen die Herrschaft des Kapitals führen könnte.
Die Aufgabe eines faschistischen Systems bestehe nicht allein in der Zerschlagung und physischen Vernichtung der „proletarischen Vorhut“, sondern auch darin, die ganze Arbeiterklasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten. Das bedeute die Vernichtung aller proletarischen Organi- sationen und Stützpunkte. Der Nationalsozialismus werde sich nicht auf sein drohendes Vernichtungswerk in Deutschland beschränken, warnte Trotzki. Auch die Sowjetunion müsse mit einer direkten Bedrohung durch ein faschistisches Deutschland rechnen. Denn: „Hitlers Sieg bedeutet Krieg gegen (die) U[d]SSR“.
Was tun?
Die politische Schwäche des Proletariats als zweite Ursache für das Anwachsen des Nationalsozialismus setzte sich Trotzkis Ansicht nach „aus zwei Elementen zusammen: aus der besonderen historischen Rolle der Sozialdemokratie, dieser allmächtigen kapitalistischen Agentur in den Reihen des Proletariats, und aus der Unfähigkeit der zentristischen Leitung der Kommunistischen Partei, die Arbeiter unter dem Banner der Revolution zu vereinigen”.
Die KPD stelle den „subjektiven Faktor“ dar. Hingegen sei die SPD „ein objektives Hindernis, das man hinwegräumen muß“, zumal sie mit ihrer faktischen Verteidigung der Kapital- interessen „alle Bedingungen für den Sieg des Faschismus vorbereitet“ habe.
Grundtenor seiner Schriften war die leidenschaftliche Aufforderung an KPD und Komintern, ihren verhängnisvollen Kurs – die Einschätzung der Sozialdemokratie als Hauptfeind, die Unterschätzung der faschistischen Gefahr – aufzugeben. Denn diese Politik erlaube es der SPD – trotz des auch in den Augen breiter Massen immer offensichtlicher werdenden Bankrotts ihrer reformistischen Politik – weiterhin den Großteil ihrer AnhängerInnen unter Kontrolle zu halten. Stattdessen sollte die KPD zur Einheitsfronttaktik „von oben und von unten“ zurückkehren.
Er war davon überzeugt, dass diese das einzige Mittel sei, um die Arbeiterklasse vereint in den Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus zu führen und um breite Teile der Arbeiterschaft dem Einfluss der SPD-Führung zu entziehen. Zudem schaffe sie auch die Voraussetzung, um später in die Offensive überzugehen.
Mehr als zuvor sah Trotzki die Stärke der revolutionären Partei während der Krise des bürgerlichen Regimes im außerparlamentarischen Massenkampf. Nur auf diesem Gebiet könnten entscheidende Erfolge errungen und die soziale und politische Bedeutung des Proletariats voll zur Entfaltung gebracht werden.
Aufschwung der LO
Auf die Grundzüge der Faschismusanalyse Trotzkis konnte sich die VLO von Anfang an stützen. Als massenwirksames Propagandamittel in Form von Broschüren und Artikeln stand sie der Linken Opposition im Wesentlichen jedoch erst ab Herbst 1931 zur Verfügung.
Seitdem konzentrierte sich die Führung der LO auf die Herausgabe und Verbreitung preiswerter Trotzki-Broschüren. Ab Ende 1931 / Anfang 1932 fanden Trotzkis in kurzen Abständen verfasste Analysen der deutschen Entwicklung einen wachsenden Widerhall bei Mitgliedern von KPD, SPD und Sozialistischer Arbeiterpartei (SAP), ja sogar bei „linksbürgerlichen Kreisen“.
Im Juni 1932 bezifferte Anton Grylewicz die Gesamtauflage der seit April 1931 herausgegebenen Broschüren auf 67.000, von denen zum damaligen Zeitpunkt 55.000 Exemplare verbreitet worden waren.
Appelle wie der folgende im internen Mitteilungsblatt der Reichsleitung waren keine Seltenheit: „Jeder Genosse muß es sich zur Pflicht machen, mindestens 10 Stk. der neuen Broschüre des Gen. Trotzki: ‚Der einzige Weg‘ zu verbreiten.“
Seit Anfang 1932 widmete die LO zudem ihrer Monatszeitung Permanente Revolution verstärkte Aufmerksamkeit. Ab 1. Januar 1932 erschien sie vierzehntägig und schließlich ab Ende Juli 1932 als Wochenzeitung im Zeitungsformat.
Die Auflage, die sich seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe mehr als verdoppelt hatte, wurde im August 1932 mit 5.000 Exemplaren pro Nummer angegeben. Im Vergleich zum Kommunist stellte die Permanente Revolution aufgrund ihres verbesserten Inhalts und des häufigeren Erscheinens sicherlich einen Fortschritt dar. Die Zeitung und die Broschüren Trotzkis waren das eigentliche Bindeglied der LO.
Die propagandistischen Anstrengungen der Linken Opposition erhöhten den Einfluss ihrer Ideen in einem Ausmaß, das im Verhältnis zur Größe der Organisation bedeutend war. In Diskrepanz dazu befand sich die organisatorische Entwicklung der LO, wenn auch seit Ende 1931 ein deutliches Wachstum und die Gründung neuer Ortsgruppen zu verzeichnen waren.
Der Linken Opposition gehörten sowohl winzige Propaganda-Stützpunkte als auch einige wenige, aber örtlich relativ einflussreiche Gruppen in kleineren Städten wie Bruchsal, Oranienburg oder Dinslaken an.
Dem zum größeren Teil aus älteren Kadern bestehenden Kern der LO schlossen sich seit Ende 1931 vor allem jüngere, das heißt 18- bis 35-jährige Menschen an. Trotz ihrer Jugend waren sie meist schon mehrere Jahre Mitglieder, teilweise auch FunktionärInnen der KPD oder des Kommunistischen Jugendverbandes (KJV) gewesen.
Von ihrer sozialen Zusammensetzung her war die LO im Gegensatz zu der auch heute noch verbreiteten Legende des „intellektuellen Trotzkismus“ eine Organisation von ArbeiterInnen. Lediglich in Universitätsstädten wie Berlin oder Leipzig waren StudentInnen stärker vertreten.
Insgesamt dürfte die Linke Opposition Ende 1932 ungefähr 600 Mitglieder in 44 Ortsgruppen und Stützpunkten gezählt haben. Die Organisationsstruktur der LO orientierte sich an den ursprünglichen Prinzipien des demokratischen Zentralismus.
Die Leitung einer Ortsgruppe wurde von der örtlichen Mitgliederversammlung gewählt. Sofern regional eine größere Anzahl funktionsfähiger Ortsgruppen der LO angehörten, konstituierten sie sich auf einer Bezirkskonferenz zu einem Bezirk und wählten sich eine Bezirksleitung. Außer dem bereits 1930 geschaffenen Bezirk Sachsen entstanden bis Anfang 1932 weitere Bezirke unter anderem Rhein-Ruhr, Berlin-Brandenburg, Wasserkante und Südwest.
Die Reichskonferenz, auf der die Ortsgruppen durch Delegierte vertreten waren, wählte das Führungsorgan der LO, die 16-köpfige Reichsleitung. Eine siebenköpfige Redaktionskommission besorgte die Herausgabe der Permanenten Revolution.
Einheitsfront in Bruchsal …
Richten wir an dieser Stelle unser Augenmerk auf die nordbadische Kleinstadt Bruchsal. Denn dort befand sich die mit 100 Mitgliedern stärkste lokale Organisation der LO.
Sehr zum Ärger der führenden badischen KPD-Funktionäre stellten die „Trotzkisten“ dort die einzige kommunistische Kraft dar. Alle Versuche der KPD-Bürokratie, die Bruchsaler LO um Paul Speck zu „liquidieren“, scheiterten an deren starker Verankerung in der Bruchsaler ArbeiterInnennschaft. Die Linke Opposition spielte eine führende Rolle in den örtlichen Gewerkschaften und der Arbeitersportbewegung.
Bei den badischen Kommunalwahlen erhielten die Bruchsaler Linksoppositionellen 889 Stimmen und damit neun Gemeinderatssitze. Im Gemeindeparlament setzten sich die Vertreter der LO vor allem für die Interessen der Erwerbslosen ein.
Auf Initiative der Bruchsaler LO gelang es gegen den anfänglichen Widerstand der örtlichen SPD-Führung, im Oktober 1931 einen paritätischen Aktionsausschuss aus LO, SPD, Gewerkschaften und anderen proletarischen Organisationen zu bilden.
Zu Versammlungen gegen Lohnabbau und Faschismus konnte der Aktionsausschuss jeweils weit über 1.000 Menschen mobilisieren. Das starke Wachstum der Bruchsaler LO-Gruppe und ihr Einfluss in den umliegenden Ortschaften Forst, Bretten und Heidelsheim verdankte sie nicht zuletzt diesen Bemühungen.
Offensichtlich auf Anweisung einer höheren Parteiinstanz verließ die SPD 1932 das Einheitskomitee. Die „bewusste Sprengungspolitik“ des örtlichen SPD-Führers, so meinte die Bruchsaler Linke Opposition, sei dadurch erleichtert worden, dass ihre Einheitsfrontpolitik nicht über Bruchsal hinaus verwirklicht worden war.
Trotz dieses Rückschlags konnte die Bruchsaler LO ihren politischen Einfluss ausweiten. Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 erhielt die LO für die KPD 1.000 Stimmen, die SPD lediglich 500 Stimmen. In seiner Broschüre Was nun? nannte Trotzki Bruchsal „trotz der bescheidenen Ausmaße ein Vorbild für das ganze Land“.
… und in Oranienburg
Eine andere relativ einflussreiche Ortsgruppe der Linken Opposition befand sich in Oranienburg.
Die KPD schloss dort am 8. Januar 1932 Helmut Schneeweiß, den örtlichen Leiter des Kampfbundes gegen den Faschismus wegen angeblicher Zugehörigkeit zur LO aus. Die KPD zog damit einen Schlussstrich unter die schon längere Zeit schwelenden Differenzen in der Einheitsfrontfrage. 56 weitere Mitglieder des Kampfbundes, die sich mit Schneeweiß solidarisiert hatten, wurden ebenfalls ausgeschlossen.
Mit entscheidend für den Übertritt der Oranienburger DissidentInnen zur Linken Opposition war die politische Anziehungskraft der Schriften Trotzkis. Die neue LO-Gruppe und der Proletarische Selbstschutz Oranienburg, einer Nachfolgeorganisation des Kampfbundes, waren personell weitgehend deckungsgleich.
Dank dieser fast 100 ArbeiterInnen und Erwerbslose umfassenden Organisation stellte die Oranienburger LO einen für die örtlichen Verhältnisse beachtlichen politischen Faktor dar. Sie wurde sofort im Sinne der Einheitsfrontbestrebungen der LO aktiv.
Das Arbeiter-Mai-Komitee, ein Bündnis aus LO bzw. Proletarischem Selbstschutz und SPD organisierte 1932 eine erfolgreiche 1. Mai-Demonstration. Es zeigte derart deutlich die isolierenden Folgen der ultralinken KPD-Politik auf, dass die KPD sich kurze Zeit später gezwungen sah, dem in Arbeiter-Kampfkomitee umbenannten Einheitsfrontorgan beizutreten.
Das aus je fünf VertreterInnen von LO, SPD und KPD zusammengesetzte Komitee entfaltete eine intensive Aktivität. Außer der Veranstaltung mehrerer antifaschistischer Kundgebungen und der Schaffung von Arbeiterschutzstaffeln widmete es der koordinierten Betriebs- und Erwerbslosenarbeit besondere Aufmerksamkeit.
Ähnlich wie in Bruchsal übte die Oranienburger Einheitsfrontbewegung einen starken Einfluss auf die umliegenden Ortschaften aus. Auch dort entstanden Einheitsfrontkomitees und Selbstschutz-Organisationen der ArbeiterInnenschaft.
In verschiedenen anderen Städten ergriff die LO die Initiative zur Bildung lokaler Einheitsfrontausschüsse. Meist scheiterten diese Bestrebungen jedoch schon im Anfangsstadium, weil die LO dort zu schwach war, um den Widerstand sozialdemokratischer und stalinistischer Funktionäre zu brechen.
Letzte Warnung
Anfang Januar 1933 schlug die Permanente Revolution erneut Alarm: „1933 [wird] das Jahr der Entscheidung sein“. (Permanente Revolution, 3. Jg., Nr. 1, 1. Januarwoche 1933.) Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler stellte für die Linke Opposition das Ende der Epoche der „bonapartistischen“ Übergangsregimes dar, der mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Regierungen Papen und Schleicher.
Einige Tage nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 lieferte Leo Sedow von Berlin aus seinem Vater und Genossen Leo Trotzki eine ernüchternde Beschreibung der Lage: „Was wir durchleben ähnelt einer Auslieferung der Arbeiterklasse an den Faschismus […] An der Spitze Unentschlossenheit, niemand weiß, was er tun soll; an der Basis kein Vertrauen in unsere eigenen Kräfte. […] Wenn jetzt nicht eine entschlossene Aktion geschieht […], ist eine schreckliche Niederlage unvermeidlich. Diese Aktion […] ist […] meiner Meinung nach nicht mehr sehr wahrscheinlich.“ (Leo Sedow, 05.02.1933, zit. nach Pierre Broué, Trotzki, Köln o. J. [2003], S. 880.)
Noch ein letztes Mal warnte die Permanente Revolution: „Hitlers Programm ist die völlige Zerschlagung aller politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterschaft, um den Weg für eine noch ungeheuerlichere Verelendung der Arbeiterschaft zu öffnen. Sein außenpolitisches Ziel ist der Krieg mit Sowjetrußland.“ (Permanente Revolution, 3. Jg., Nr. 5, 1. Februarwoche 1933, Hervorhebungen im Original.)
In dieser politisch entscheidenden Situation organisierte die GPU eine erneute Spaltung der Linken Opposition. Bereits im Herbst 1932 hatten Roman Well und sein Bruder Adolf Senin durch eine erneute Verschärfung der organisationsinternen Debatte diesen Schritt vorbereitet.
Es war kein Zufall, dass dies fast zeitgleich zu Trotzkis Reise nach Kopenhagen im November 1932 und der dortigen inoffiziellen Konferenz der Internationalen Linken Opposition geschah.
In der zweiten Januar-Hälfte 1933 versuchten Well und Konsorten der ArbeiterInnenöffentlichkeit mit einer gefälschten Ausgabe der Permanenten Revolution weiszumachen, dass die Mehrheit der LO politisch und organisatorisch mit Trotzki und der ILO gebrochen habe. Sowohl die Rote Fahne der KPD als auch das Komintern-Organ Inprekorr verbreiteten umgehend die Meldung vom „Zusammenbruch der deutschen Trotzki-Gruppe“. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Es gelang der GPU mit diesem Coup lediglich, etwa 35 Mitglieder von der LO abzuspalten.
Bezeichnenderweise kommentierten andere linke Organisationen wie SAP, KPO, Leninbund und die Landau-Gruppe mit unverhohlener Befriedigung die Spaltung.
Zwar fiel es der LO nicht schwer, die absurden Behauptungen der stalinistischen Agenten als „bestellte Arbeit“ zu widerlegen. Dennoch musste die LO zugeben: „Daß solche Leute so lange in unseren Reihen weilten, ist sicher Ausdruck unserer Schwäche.“
Widerstand und Emigration
Die Machtübergabe an Hitler und die Errichtung der Nazi-Diktatur markierte für Trotzki die „bedeutendste Niederlage in der Geschichte der Arbeiterklasse“. Erneut hatte die Linke Opposition im Wettlauf mit der politischen Entwicklung wichtige Zeit verloren: Aufgrund der Auseinandersetzungen mit der Well-Gruppe konnte die ursprünglich für Ende Januar 1933 geplante Reichskonferenz der LO erst in der Illegalität stattfinden.
Am 11. und 12. März 1933 trafen sich Delegierte der Ortsgruppen, Vertreter der Reichsleitung und der ILO in Leipzig, um die neue Situation zu analysieren. Hauptaufgabe sei es, den Widerstand der Arbeiterklasse zu organisieren, den Aufbau einer neuen Kommunistischen Partei lehnte die Konferenz noch ab.
Zwar glaubte sich die Linke Opposition im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut auf die Illegalität vorbereitet, aber sie musste bereits in den ersten Monaten der NS-Diktatur zahlreiche Verhaftungen vor allem in den örtlich bekannten Gruppen hinnehmen (Bruchsal, Oranienburg, Westdeutschland, Leipzig …).
Schon nach Papens Staatsstreich am 20. Juli 1932 hatte die LO auf Beschluss der Reichsleitung mit der Vorbereitung auf die Illegalität begonnen. Die Ortsgruppen waren in kleine, drei bis fünf Personen umfassende Gruppen aufgeteilt worden. Diese wählten jeweils eine Leitungsperson, die zusammen mit den anderen auf Ortsebene eine sogenannte Fünfergruppe bildete. Diese wiederum wählte eine Kontaktperson zur Bezirksleitung bzw. direkt zur Reichsleitung.
Durch diese Maßnahmen sollte die LO besser vor dem Zugriff staatlicher Repressionsorgane geschützt werden. Trotz der geringen Größe und der spärlichen materiellen Ressourcen der Linken Opposition dürfen ihre organisatorischen und propagandistischen Anstrengungen im Widerstand nicht unterschätzt werden.
Die Zugehörigkeit zur Internationalen Linken Opposition erwies sich erneut als großer politischer und organisatorischer Vorteil. Sie milderte anfangs die Probleme, die aus der zwangsläufigen Trennung in eine im Untergrund arbeitende Inlands- und eine im Exil aktive Auslandsorganisation resultierten.
Es war deshalb auch kein Zufall, dass Unser Wort, die neue Zeitung der LO, schon ab Mitte März 1933 in Prag herausgegeben werden konnte. Unser Wort war nicht nur eine der ersten Zeitschriften der illegalen deutschen Opposition gegen die Nazis, sie war auch eine der Publikationen, die am längsten überlebte.. Ihre letzte Ausgabe erschien im Sommer 1941 in New York.
Insgesamt flüchteten zunächst etwa 50 Mitglieder der Linken Opposition ins Ausland. Nicht nur in Prag, sondern auch in Paris, Amsterdam, Antwerpen, Basel, Wien, Reichenberg, Kopenhagen und London entstanden Gruppen und Stützpunkte. Sie betreuten von dort aus den jeweils geographisch benachbarten Inlandsbezirk. So war zum Beispiel die Amsterdamer Gruppe für die westdeutsche LO zuständig.
Im Sommer 1933 wurde Paris als Sitz des Auslandskomitees (AK) bestimmt. Das Auslandskomitee stellte die offizielle Führung der LO dar. Allerdings war die Verbindung zwischen Exil- und Inlandsgruppen sehr fragil. Wege und Möglichkeiten der Kommunikation und des Materialtransports mussten erst mühsam gefunden, weiterentwickelt und oft neu hergestellt werden.
Obwohl die Gestapo die Kontakte mit dem Ausland immer wieder unterbrechen konnte, besaßen die meisten Inlandsgruppen zunächst ausreichende technische und politische Ressourcen, um eigenständig arbeiten zu können.
Neben illegal hektographierten Flugblättern und Zeitschriften (wie Das andere Deutschland, Der Vortrupp, Die kritische Parteistimme, Der Rote Kurier) konnte sich der Widerstand auf das Zentralorgan Unser Wort stützen. Es wurde nach Deutschland eingeschmuggelt und beispielsweise in Berlin vervielfältigt.
Wie Oskar Hippe, ein führendes Mitglied der Gruppe berichtete, stellte die Berliner LO etwa 300 bis 400 kleinformatige Fotoabzüge von jeder Zeitungsseite her und verkaufte die Reproduktionen zusammen mit einem einfachen Vergrößerungsglas der Warenhauskette Woolworth an interessierte Kontakte.
Kurs auf eine neue Partei
Offensichtlich konnte die LO in den ersten Monaten der Nazi-Diktatur die durch Verhaftungen entstandenen Lücken teilweise wieder schließen. Sie vermochte sogar kurzzeitig, neue Kräfte vor allem aus SPD und KPD zu gewinnen. Dadurch war trotz des NS-Terrors die Funktionsfähigkeit der LO zunächst relativ gut gesichert, aber die politische Verständigung über die neue Lage stand noch aus.
Zur gleichen Zeit, als die Mehrheit der LO auf ihrer Reichskonferenz den Kurs auf eine neue Partei ablehnte, hatte Trotzki für die Vorbereitung einer neuen Kommunistischen Partei plädiert. Die kampflose Niederlage der KPD im Frühjahr 1933, die er mit der politischen Kapitulation der SPD zu Beginn des Ersten Weltkriegs verglich, bedeute ihr Ende als revolutionäre Partei.
Für die Internationale Linke Opposition stand nun nicht mehr die bisher angestrebte „Reform“ der Komintern, sondern der Aufbau einer neuen, keineswegs als „trotzkistisch“ verstandenen Internationale auf der Tagesordnung.
Der Bruch der ILO mit ihrer bisherigen Orientierung und die Wende zum Aufbau neuer revolutionärer Parteien und einer neuen Internationale führte zu Namensänderungen. Seit Herbst 1933 nannte sich die LO Internationale Kommunisten Deutschlands (IKD), die ILO hieß seitdem Liga der Kommunisten-Internationalisten (LKI).
In dieser Phase war die SAP ein enger Bündnispartner. Aber noch bevor die damaligen Vereinigungsverhandlungen zwischen SAP und ILO/LKI bzw. SAP und LO/IKD endgültig scheiterten, legte das Auslandskomitee der LO/IKD mehr Wert als bisher darauf, die eigene Organisation in der Öffentlichkeit herauszustellen.
So erregten die Übertritte der ehemaligen KPD-Reichstagsabgeordenten Maria Reese sowie der prominenten Altkommunisten Karl Friedberg (d. i. Karl Retzlaw) und Erich Wollenberg zur IKD einiges Aufsehen.
Entscheidende Schläge
Abgesehen von den schweren Verlusten in den ersten Monaten nach der Machtübergabe an die Nazis war die Linke Opposition und spätere IKD zunächst weitgehend vor weiteren Verhaftungen verschont geblieben.
Aber von November 1935 bis Ende 1936 – im Laufe eines Jahres – waren die Strukturen des innerdeutschen IKD praktisch zerschlagen worden. Nach dieser Verhaftungswelle verfügte die IKD seit Anfang 1937 nur noch über zwei intakte Gruppen, die eine in Berlin-Charlottenburg, die andere in Dresden. In weiteren Städten standen lediglich einzelne Mitglieder noch in Kontakt mit dem Auslandskomitee.
Die Verhafteten mussten teilweise eine mehrjährige Untersuchungshaft ertragen, während der die Gestapo durch Folterung weitere Informationen über die IKD zu erpressen versuchte. Die Anklagen wegen „Vorbereitung des Hochverrats“ dienten als Grundlage für die Verhängung meist hoher Gefängnis- oder Zuchthausstrafen.
Für viele Opfer der NS-Justiz war nach der Verbüßung ihrer Haftstrafen der Leidensweg nicht beendet. Vor allem die WiderstandskämpferInnen, die die Gestapo als Leitungsmitglieder der IKD identifizieren konnte, wurden danach in Konzentrationslager in „Schutzhaft“ überführt.
Eine nicht bekannte Zahl von linksoppositionellen Kommunisten wurde in der Gefangenschaft durch Nazis ermordet, teilweise wie im Falle Werner Scholems mit Unterstützung von Stalinisten. Viele der Verurteilten mussten während des Zweiten Weltkriegs im Strafbataillon 999 Kriegsdienst leisten. Nach Schätzung des Auslandskomitees waren 1940 mindestens 150 IKD-Mitglieder Gefangene des Regimes.
Versuch einer Bilanz
Welches Resümee können wir ziehen? Die ersten drei Jahre des organisierten deutschen „Trotzkismus“ waren geprägt von der scharfen Krise der ArbeiterInnenbewegung. Anfang 1933 schlugen die Nazis die deutsche ArbeiterInnenbewegung vernichtend.
Das politische Versagen der sozialdemokratischen II. und der stalinistischen III. Internationale (Komintern) war offenkundig geworden. Die bedeutendste sozialdemokratische und die größte kommunistischen Partei der damaligen kapitalistischen Welt wollten keine Einheitsfront gegen den Faschismus bilden. Auch die deutschen Gewerkschaften hatten kampflos kapituliert.
SPD und KPD hatten die politische Spaltungund Lähmung der Arbeiterbewegung zu verantworten, die direkt in die verheerende Kapitulation von 1933 führte. Sie ermöglichte nicht nur die blutige faschistische Diktatur, sondern auch den Triumph des stalinistischen Terrorregimes.
Dies war eine historische Niederlage, die bis heute nachwirkt.
Die Linke Opposition konnte diese katastrophalen Entwicklungen nicht verhindern, aber sie skizzierte eine realistische Alternative zum ideologisch begründeten Versagen der sozialdemokratischen und stalinistischen Partei-Führungen. Eine Alternative, deren Grundgedanken auch für den heutigen Kampf gegen den Faschismus und dessen kapitalistischen Nährboden sehr aktuell sind.
Die Geschichte von LO (und IKD) ist ein konkreter Beleg für die oft unterschätzte oder gar missachtete Funktion kleiner Organisationen. Zum einen als sensible Seismographen sich ankündigender gesellschaftlicher und politischer Veränderungen. Zum anderen als Zentren praktischen politischen Widerstands, der keinen Vergleich zur Wirksamkeit von parlamentarisch orientierten und bürokratisierten Massenparteien zu scheuen braucht.
Der mutige und selbstlose Einsatz hunderter Genossinnen und Genossen von LO und IKD gegen die Barbarei ist vor dem Vergessen zu bewahren.